Aus für die Gemeinde trotz voller Gottesdienste
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Mönche leben nicht unbedingt im Kloster, sie leiten auch ganz normale Gemeinden wie St. Ludwig in Berlin. Doch Ende August ziehen sich die Franziskaner dort zurück. Einige Gemeindemitglieder macht das fassungslos.
Abschied von einer Innenstadtgemeinde. Seit 1986 leben vier Franziskanermönche in Berlin-Wilmersdorf, einem dicht besiedelten Bezirk, nur wenige hundert Meter vom Kurfürstendamm entfernt. Im Laufe dieser Jahrzehnte sind viele persönliche Beziehungen der Bewohner zu den vier Patres der St. Ludwig-Gemeinde entstanden. Auch der Autor dieser Reportage wird sie vermissen, wenn der Orden sich in diesem Sommer aus der Gemeinde zurückzieht.
Als vor gut vier Jahren meine Ehe und damit auch die Familie auseinanderbrach, nach 25 gemeinsamen Jahren, fand ich nach dem ersten Trennungsjahr, ohne es vorgehabt zu haben, an einem Winterabend den Weg in die St. Ludwig-Kirche. Dort wurde, wie jeden Tag um 18:30 Uhr, die Heilige Messe gefeiert. Der Sommer kam, und mit ihm die Abende am Springbrunnen auf dem St. Ludwig-Kirchplatz vor oder nach den Abendmessen. Oft kam ich ins Gespräch mit den Gemeindemitgliedern, auch zu Themen wie Tod oder Geburten. Die Kontakte erzeugten in mir ein vages Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinde.
Die Gemeinde als Familie
Auch andere Gottesdienstbesucher haben diese Erfahrung gemacht. "Ich bin wegen St. Ludwig in dieses Viertel gezogen", erzählt ein Gemeindemitglied. "Da waren die Franziskaner schon da, in anderen Besetzungen. Es war immer ein familiäres Gefühl. Also, es ist eine große katholische Familie."
Eine Gläubige ergänzt: "Was das Franziskanische ist für mich? Nicht über den Leuten zu sein, sondern bei den Leuten."
Pater Maximilian ist einer dieser Franziskaner. Er leitet die St. Ludwig-Gemeinde. Mit ihm sind Pater Damian, Pater Josef und Pater Norbert. Die allabendlichen Messen sind ihnen besonders wichtig. "Man wusste einfach, in St. Ludwig abends um halb Sieben gibt es eine Messe", sagt Pater Maximilian. "Die Leute sind ja auch auf Rituale aus, dass man sagt: Das baue ich mir in meinen Tag ein."
Mit dem Rückzug der Franziskaner aus der Gemeinde steht diese Kontinuität in Frage.
Dass die Patres weiterziehen, sei für ihren Orden an sich nicht ungewöhnlich, erklärt Pater Maximilian: "Wir sind im Gegensatz zu den Benediktinern nicht auf die stabilitas loci verpflichtet, dass wir also das ganze Leben lang im selben Kloster bleiben, sondern so alle sechs Jahre und alle neun Jahre tritt bei uns automatisch ein Wechsel ein. Das heißt, dann wird man wieder an einen anderen Ort geschickt und dort eingesetzt, meistens mit einer ganz anderen Aufgabe, in die man sich erst wieder einarbeiten muss. Das macht das Leben spannend."
Hier ist die Kirche sonntags voll
Aus St. Ludwig zieht sich der Orden nun aber ganz zurück – obwohl die Messen immer gut besucht waren. Anderswo wurden und werden die Bänke in den Kirchen leerer und leerer. In die St. Ludwig-Kirche kamen in der Zeit vor Corona an jedem Wochenende mehr als 1000 Besucher zu den insgesamt fünf Gottesdiensten. Besonders gut besucht war dabei immer der "Gottesdienst für Ausgeschlafene" am Sonntagmittag um zwölf Uhr.
Diese Gemeinde ist Heimat. Wohl auch, weil die Franziskaner auf viele so authentisch wirken. "Ich glaube, das Authentische macht man immer an Personen fest", sagt Pater Maximilian. "Es hing immer an der Person, die da kommt, und wie der so drauf ist. Ich würde das jetzt nicht überbewerten – also, dass die Franziskaner besser wären als Diözesan-Priester, da möchte ich keinen Vergleich anstellen."
240 Franziskanermönche, die in Keuschheit, Gehorsam und Armut leben, gibt es noch in Deutschland, verteilt auf 30 Klöster und Konvente. Mehr als 100 von ihnen sind über 80 Jahre alt, nur 15 Mönche sind derzeit unter 50. Die Überalterung ist ein Problem, und daher werden selbst Standorte wie St. Ludwig aufgegeben. "Es ist allgemein so, man will sich nicht mehr festlegen", beobachtet Pater Maximilian. "Man denkt eher in Lebensabschnitten, lebenslänglich mag keiner."
Abschied der Patres macht die Menschen fassungslos
Als Anfang Oktober 2019 der oberste Franziskaner, der Provinzialminister Cornelius Bohl, am Ende des Gottesdienstes in St. Ludwig vor der versammelten Gemeinde die Entscheidung verkündete, waren die Leute fassungslos. Stimmen aus der Gemeinde:
"Ich war sowas von erschrocken und traurig. Und dann über die Wochen muss man es akzeptieren lernen."
Und: "Das ist ein enormer Einschnitt für uns alle, die Franziskaner haben einen guten Geist geschaffen, den wir jetzt vermissen."
Oder: "Man muss sehen, dass Veränderung, immer auch Veränderung von Heimat ist, wenn Sie so wollen."
Und: "Was kommt danach? Da müssen wir uns überraschen lassen. Man muss das Beste daraus machen. Aber der Glaube bleibt."
Oder: "Ich bin so verwachsen mit der Gemeinde, dass ich den Weg jetzt auch weitergehe. Ich werde jetzt nicht irgendwas boykottieren. Innerlich Abschied genommen habe ich schon."
Fusion mit der Nachbargemeinde
Pater Maximilian und Pater Damian gehen an andere Orte, wo sie auch gebraucht werden. Pater Norbert und Pater Josef bleiben in Berlin, ziehen sich aber in eine Altersruhestätte zurück. Im Rahmen eines pastoralen Prozesses mit dem Titel: "Wo Glauben Raum gewinnt" wurde entschieden, dass die Gemeinde St. Ludwig, schon jetzt verbunden mit der Albertus Magnus Gemeinde, in wenigen Jahren mit der Nachbargemeinde "Maria unter dem Kreuz" zusammengelegt wird.
Die neue Großpfarrei wird dann an die 30.000 Gläubige umfassen. Das sieht nach viel Arbeit aus für die Nachfolger des guten franziskanischen Geistes.
Manchmal denke ich heute noch, es war dieser gute Geist der Franziskaner, der mir in meiner Lebenskrise half. Nach drei folgenden Jahren und vielen Abendmessen konnte ich mich aufrichten, nach vorn sehen, wieder atmen, Leben spüren.