Rücktritt von Franziska Giffey

"Eine klassische Flucht nach vorn"

08:50 Minuten
Porträt der Familienministerin Franziska Giffey, 2021.
Nicht mehr Bundesministerin: Franziska Giffey (SPD) will aber offenbar Regierende Bürgermeisterin in Berlin werden. Sie lege die Karten auf den Tisch, meint Stefan Aust. © imago / IPON
Stefan Aust im Gespräch mit Anke Schaefer · 19.05.2021
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Angesichts der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit tritt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) zurück. Der Journalist Stefan Aust ist überrascht. Giffey sei eine "tüchtige Person". Reine Taktik sieht er in der Entscheidung nicht.
Franziska Giffey (SPD) kommt einem offenbar drohenden Entzug ihres Doktortitels zuvor und gibt ihr Amt als Bundesfamilienministerin auf. "Ich bin überrascht", bekennt der Journalist Stefan Aust.
Der Herausgeber von WeltN24 und frühere "Spiegel"-Chefredakteur mutmaßt: "Vielleicht sind das auch Auflösungserscheinungen der Regierung." Allerdings habe sich der Schritt wohl auch "ein bisschen" angebahnt.
Der Journalist und Autor Stefan Aust im Porträt
Der Journalist und Autor Stefan Aust© imago / teutopress
Nach Vorwürfen wegen unsauberen Arbeitens bei der Dissertation hatte die Freie Universität Berlin Giffey 2019 zunächst eine Rüge erteilt. Seither trug die SPD-Politikerin ihren Doktortitel nicht mehr. Zuvor hatte sie betont, als Ministerin zurückzutreten, sollte ihr der Titel aberkannt werden. Nach einem neu aufgenommenen Plagiatsverfahren der FU droht dieser Schritt nun wahrscheinlich im Juni. Aust kommentiert dazu:
"Ich finde es traurig, weil ich finde, es ist eine tüchtige Person, wenn man einmal davon absieht, dass sie ein bisschen an ihrer Stimme arbeiten könnte. Aber es ist eigentlich auch schon bedenklich, wie heutzutage jede Doktorarbeit auf Kommafehler nachträglich untersucht wird und dadurch politische oder andere Karrieren plötzlich enden. Es ist ja nicht das erste Mal, aber vielleicht muss auch nicht jeder einen Doktortitel haben."
An ihrer Spitzenkandidatur für die SPD zur Berliner Abgeordnetenhauswahl im September will Giffey wohl festhalten. War ihr Rücktritt also nur ein politisches Manöver? "Ob das rein taktisch ist, kann ich mir nicht so richtig vorstellen", sagt Aust. Es scheine aber so ernst für sie zu sein, dass sie "diesen Job" jetzt dafür aufgebe.
Der Journalist meint: "Das ist eine klassische Flucht nach vorn. Im Endeffekt ist es ja auch so, wenn die Öffentlichkeit, wenn die Wähler nun wissen, welche Vorgänge da sind, dann können sie das ja in ihre Entscheidung, ob sie sie wählen oder nicht, mit einbeziehen." Giffey lege quasi die Karten auf den Tisch. "Das finde ich auch in Ordnung so."

Die kommissarische Nachfolge

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wird nun Giffeys Amt kommissarisch übernehmen. Das verwundert den Politologen Stefan Marschall [AUDIO] . Es hätte die Chance gegeben, jemand anderes aufzubauen - über die Wahl hinaus, meint er.
Außerdem setze man mit der Entscheidung ein Signal, dass das Thema Kinder und Jugendliche nicht oben auf der Agenda stehe. In Zeiten der Pandemie hält er das für "skurril": "Dieses Amt ist ja kein irrelevantes Amt", sagt er. "Es ist kein Gedöns, es ist ganz zentral."
Womöglich sei das ein Strategiefehler der SPD: "Das ist ein Themengebiet, das für die Sozialdemokratie ganz wichtig ist. Es lässt sich sehr stark verbinden mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit. Es ist insofern auch ein Markenkern der Sozialdemokratie, der hier mit berührt wird. Und den sollte man nicht so ohne weiteres aufgeben", so Marschall.
(bth)
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