Hannah Ross: „Revolutions“

Teufel im Rock

06:26 Minuten
Buchcvoer „Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt veränderten“ von Hannah Ross
© mairisch Verlag

Hannah Ross

Aus dem Englischen von Daniel Beskos

Revolutions. Wie Frauen auf dem Fahrrad die Welt verändertenmairisch Verlag, Hamburg 2022

320 Seiten

24,00 Euro

Von Edelgard Abenstein · 24.03.2022
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Jedes Fortbewegungsmittel verändert die Welt - auch das Fahrrad. In "Revolutions" von Hannah Ross erfährt man viel Neues darüber, wie es das Leben der Frauen befeuerte, und dass Freiheitsgefühle nicht aufzuhalten sind.
Wer radelt, rollt geschmeidig an jedem Stau vorbei. Wer radelt, kommt schneller voran. Das war schon so, als das Fahrrad, wie wir es heute kennen, vor 150 Jahren erfunden wurde, lange bevor es Autos gab. Natürlich galt das damals für alle. Wie geradezu bahnbrechend das aber für Frauen war, darauf verweist bereits der kämpferische Titel auf dem Buch der englischen Autorin Hannah Ross: „Revolutions“.
Das Fahrrad machte Frauen mobil. Es war leicht, erschwinglich und wartungsfreundlich. Und es war das schnellste Fortbewegungsmittel auf den Straßen, zuverlässiger als ein teures Pferd oder die von Männerhand geführte Kutsche. Mit dem Fahrrad konnte man kommen und gehen, und noch dazu kostenlos, wie und wohin es einem gefiel.
Der Besitz eines Fahrrads kam, wie die damals wichtigste Frauenzeitschrift der USA schrieb, der einer weiblichen „Unabhängigkeitserklärung“ gleich. Kein Wunder, dass Frauen sich begeistert auf den Sattel stürzten und während es ersten Fahrradfiebers in der Geschichte Europas und Nordamerikas bereits ein Drittel der Fahrer ausmachten.

Gegen Widerstände rund um die Welt

Mitreißend, wie Hannah Ross die weibliche Fahrradbewegung quer durch die Jahrzehnte aufrollt. Wie sich Pionierinnen der ersten Stunde gegen die ärztliche Warnung vor dem angeblichen Verlust der Gebärfähigkeit die Straßen und schließlich den Globus eroberten.
Im September 1894 brach die 24-jährige Annie Londonderry, eine lettisch-jüdische Migrantin, mit einem Satz Wechselkleidung und einem Revolver von Chicago aus auf, um als erste Frau die Welt mit dem Fahrrad zu umrunden.
Drei Radrennfahrerinnen stehen auf einem Siegerpodest.
Die britische Radrennfahrerin Beryl Burton (m.) während einer Siegerehrung 1967.© imago/United Archives International
Knapp ein Jahr später kam sie wieder in Chicago an und nahm ihren Preis in Höhe von 10.000 Dollar entgegen. Ihren baltischen Namen hatte sie – in einem Akt von Selbstvermarktung durch den der sponsernden Getränkefirma ersetzt. Auch die Mode änderte sich. Unpraktische lange Röcke und Korsetts waren passé, über Pluderhosen trugen Frauen jetzt luftige Oberteile.
Immer wieder berichtet die Autorin von zu überwindenden Hindernissen, wenn Frauen in die Pedale stiegen. Denn immer wieder nutzten sie das Fahrrad als Mittel politischen Protests. Angefangen von den radelnden Suffragetten über die Heldinnen des niederländischen Widerstands in den 1940er-Jahren bis zu Mädchen und Frauen heute im Iran, in Afghanistan oder in Saudi-Arabien, die sich gegen Verbote das Radfahren ertrotzten.

Von Rekorden und Lakritzbonbons

Natürlich wird auch von Medaillen und Rekorden erzählt, von aberwitzigen Trainingsprogrammen, der Schufterei beim Erklimmen hoher Berge und Abfahrten im Geschwindigkeitsrausch. Da sind die großen Radfahrikonen, die Italienerin Alfonsina Strada, der „Teufel im Rock“, die als erste Frau 1924 beim ‚Giro d’Italia’ mitfuhr.
Oder die gönnerhaft als „Hausfrau von York“ titulierte Beryl Burton, die den britischen Top-Favoriten bei einem Rennen kurz vor dem Ziel abhängte, nachdem sie ihm beim Überholen noch ein Lakritzbonbon zugesteckt hatte.
Ihre Quellen – Journale, Tagebücher, Autobiografien – bezieht die Autorin im Wesentlichen aus dem englischsprachigen Raum. Leider fehlt ein Literaturverzeichnis, was die Brauchbarkeit des Buches als umfangreiche Sport- und Sozialgeschichte etwas schmälert.
Auch hätte man sich bei allem erzählerischen Schwung mitunter eine pointiertere thesenhafte Zuspitzung gewünscht. Doch dank der reportagehaften Erlebnisnähe und der farbigen Details ist das Buch (auch jüngeren) Leserinnen zu empfehlen. Und männlichen Radfahrern jeden Alters, versteht sich, natürlich auch.

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