Rosa von Praunheim wird 75

"Ich finde toll, dass man sich selber toll findet"

Filmregisseur Rosa von Praunheim nebst einem Hausschwein in seiner Berliner Wohnung.
Filmregisseur Rosa von Praunheim nebst einem Hausschwein in seiner Berliner Wohnung. © dpa / picture alliance / Silas Stein
Rosa von Praunheim im Gespräch mit Susanne Burg · 25.11.2017
Er schreibt jeden Morgen ein Gedicht, kommt mit Schwein zum Interview und findet, dass jeder Mensch eine wunderbare Geschichte habe. Heute feiert Rosa von Praunheim seinen 75. Geburtstag − unter anderem mit einem Buch, einem neuen Film und demnächst auch einem Musical.
Susanne Burg: Es sind gerade regelrecht die Rosa-von-Praunheim-Festspiele, die stattfinden. Es gibt einen neuen Dokumentarfilm des Filmemachers im Kino, "Überleben in Neukölln", es gibt ein Buch "Wie wird man reich und berühmt?", heute eröffnet die Berlinale Galerie Raab eine Ausstellung mit den aktuellen Bildern von Rosa von Praunheim, und im Januar wird es am Deutschen Theater eine Uraufführung seines Theaterstücks geben. Aber noch zentraler: Heute wird Rosa von Praunheim 75 Jahre alt, und weil ich schlecht von ihm erwarten kann, dass er an diesem Geburtstag Interviews gibt, habe ich ihn vor ein paar Tagen getroffen und ihn natürlich erst mal auf den Geburtstag und die vielen Aktivitäten angesprochen. Es gibt ja Menschen, die ihren Geburtstag einfach ignorieren, aber ignorieren wäre nicht für Sie, oder? habe ich ihn gefragt.
Rosa von Praunheim: Nein, überhaupt nicht, nein, nein. Ich möchte gefeiert werden, und ich meine, ich bin ja nicht so kommerziell, und deswegen muss man so Geburtstage natürlich nutzen, damit die Leute noch merken, dass man nicht tot ist.
Burg: Sie arbeiten seit 50 Jahren als Künstler, haben sehr viele Filme gemacht und machen immer weiter – teilweise, schreiben Sie in Ihrem Buch, das jetzt erschienen ist, "Wie wird man reich und berühmt?", weil Sie sehr wenig Rente bekommen und arbeiten müssen, aber wie würden Sie denn Ihren Grundimpuls beschreiben zu schöpfen?
Praunheim: Warum ich kreativ bin – keine Ahnung. Ich meine, vielleicht liegt es in den Genen. Ich kenne die Gene ja nicht so, weil meine Mutter habe ich ja nie kennengelernt und meinen Vater erst recht nicht. Also insofern waren das sicher bedeutende Persönlichkeiten, die mir alles vererbt haben, denn meine Pflegeeltern, die sind eigentlich eher naturwissenschaftlich interessiert gewesen, und da war ich so ein Fremdkörper, und mit dieser überströmenden Fantasie, das fanden sie ein bisschen seltsam, aber sie haben mich trotzdem geliebt.

Unverschämte und liebevolle Fragen

Burg: Wie wichtig, würden Sie denn sagen, ist Menschenliebe und Neugier? Weil ich finde, was sich bei Ihnen durch die Filme zieht, ist so ein Grundinteresse an Menschen.
Praunheim: Ja. Also ich liebe Menschen, ich liebe auch Tiere, also mein Schweinchen! Nein, aber ich liebe alle Menschen, und ich finde das blöd, wenn Leute sagen, also da gibt es Doofe und Dumme und Dicke und weiß nicht was für Menschen. Ich finde, jeder Mensch hat eine wunderbare Geschichte. Man muss nur direkt fragen können und reintauchen sozusagen in fremdes Leben, und das gelingt mir sehr gut. In den 50 Jahren habe ich gelernt, direkte Fragen zu stellen, unverschämte Fragen zu stellen oder liebevolle Fragen zu stellen, und ich bekomme eigentlich immer sehr viel zurück.
Burg: Ihr neuer Film heißt "Überleben in Neukölln", und da porträtieren oder reden Sie mit verschiedenen Personen, die in Neukölln leben, in Nordneukölln vor allem. Da ist zum Beispiel Stefan Stricker, der sich Juwelia nennt, eine Galerie betreibt, in der auch Shows stattfinden. Warum haben Sie diesen Mikrokosmos Neukölln gewählt?
Praunheim: Also mein Co-Regisseur ist Markus Tiarks, mit dem ich seit zehn Jahren zusammenarbeite, und der lebt in Neukölln, und der hat mir immer brühwarm die wildesten Geschichten von Neukölln erzählt, und da hat sich ja unheimlich viel getan. Also erst mal von so einem Randbezirk mit viel Problemen, hat sich dann internationaler Hotspot, kultureller Hotspot gebildet, und das ist jetzt Neukölln. "Überleben in Neukölln" ist eben gewidmet Juwelia, die seit langer Zeit ihre Passion lebt, zu malen, zu entertainen, zu singen.
Ich verehre sie sehr, und ich finde es gut, wenn Leute so dran bleiben und sagen, also ich habe noch nicht den großen Erfolg, aber ich mache trotzdem weiter, weil es meins ist, weil ich das liebe. Sie bezeichnet sich ja auch als die schönste Frau Neuköllns, und als wir mit ihr nach New York gegangen sind, weil sie da eine Ausstellung hatte, da war sie dann auch die schönste Frau New Yorks, und ich finde das toll, diese Unverschämtheit. Ich finde toll, dass man sich selber toll findet, und ich finde, wir haben alle diesen Titel der schönsten Frau oder des schönsten Mannes verdient, und auch dieses Selbstbewusstsein, dass man zu sich steht, sich liebt und auch Lust hat sich zu präsentieren.
Burg: Das schreiben Sie auch in Ihrem Buch, wo es darum geht, so ein bisschen jungen Filmemachern nahezubringen, was Ihnen wichtig ist oder was Sie finden, was wichtig ist, um gute Filmemacher zu werden.
Praunheim: Ja, genau.
Burg: Und Sie beginnen damit, dass jeder Mensch einzigartig ist und dazu auch stehen sollte.
Praunheim: Genau, und das ist ja mein … Das Buch "Wie wird man reich und berühmt?" ist ja aus meiner Erfahrung als Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen, inzwischen Filmuniversität in Potsdam-Babelsberg. Da habe ich sehr viel Spiele mit den Studenten gemacht, sehr viel Spaß und habe immer wieder versucht zu vermitteln, dass das keine anstrengende Haltung ist sozusagen, wo man am Computer sitzt, sein Drehbuch schreibt und sich unheimlich zermürbt und so weiter, sondern dass man wirklich da auch Methoden haben kann, über Improvisation, ich habe auch Hypnose unterrichtet und so, also dass man viele sinnliche Elemente haben kann, um Filme oder überhaupt Kunst im Allgemeinen zu machen, um kreativ zu sein, denn es muss ja Spaß machen.

"Du musst einige Jahre an Intensität reinstecken"

Burg: Wenn ich noch mal aus Ihrem Buch zitieren darf, da schreiben Sie: "Ich sage, interessiert euch für soziale Probleme, und ihr bekommt Preise, aber ich rede gegen Wände. Anscheinend wollen viele keine Preise, sondern lieber ihre Freundin mit roten Haaren nackt durch den Wald schicken oder endlose Diskussionen in Wohngemeinschaften führen." Befeuern Filmhochschulen genau eine solche Haltung vielleicht auch?
Praunheim: Es gibt so viele unterschiedliche Filmhochschulen und so viele unterschiedliche Lehrer, aber es gehört eben eine gewisse Intensität dazu. Es ist nicht die Schule, die dir das jetzt alles beibringen kann. Die macht dich nicht zum Genie, sondern du musst das selbst machen, und du musst selbst diese Lust dran haben, kreativ zu sein, und du musst bei der Stange bleiben. Du musst halt ständig was machen. Ich schreibe jeden Morgen ein Gedicht. Mein Co-Regisseur Markus Tiarks fotografiert sich jeden Morgen nackt und stellt das auf Facebook. Ich meine, das ist schon erst mal so ein kreativer Beginn, aber man sagt ja, ich mache es nur einmal im Monat oder manche machen dann, kurz bevor sie sich bei der Filmschule bewerben, zwei Monate vorher fangen sie an, ihren ersten Film zu drehen. Das genügt nicht. Ich glaube, man muss schon einige Jahre an Intensität reinstecken, um zu sehen, habe ich überhaupt den Spaß, habe ich überhaupt die Begabung.
Burg: Zu Gast heute in "Vollbild", dem Filmmagazin im Deutschlandfunk Kultur, ist Rosa von Praunheim und sein rosa Schweinchen, nicht zu vergessen! Anlässe für den Besuch gibt es viele: den 75. Geburtstag, seit Donnerstag läuft Ihr neuer Dokumentarfilm im Kino, "Überleben in Neukölln", und es kommt am nächsten Donnerstag auch ein Spielfilm in die Kinos, und zwar "120 BPM" von Robin Campillo, und der hatte in Cannes im Wettbewerb Premiere. Darin geht es um den französischen Zweig von Act Up, also jener Organisation, die 1987 in New York gegründet wurde, um Aufmerksamkeit auf die damalige Aids-Epidemie zu lenken. Rosa von Praunheim hat sich den Film netterweise für das Gespräch hier angesehen. Wie war die Erfahrung für Sie?
Praunheim: Sehr gut, sehr gut. Ich fand es hochinteressant, dass man sozusagen so eine dokumentarische Sache, also so eine authentische Sache, die passiert ist, denn Act Up habe ich ja mitbekommen, ich habe in New York gedreht, auch dokumentiert in meinem Film "Positiv", die politische Bewegung von Leuten mit Aids und auch von Künstlern, "Schweigen = Tod" ist dann der Film …
Burg: Genau, der 1990 quasi zu der Zeit herausgekommen ist.
Praunheim: Genau. Und dann habe ich auch einen Film hier in Berlin gemacht, "Feuer unterm Arsch", und habe Act Up hier in Berlin mitbegründet mit Andreas Salmen. Also ich kenne das Thema sehr gut, und ich fand es toll, dass die eben nicht eine Dokumentation, sondern einen Spielfilm gemacht haben. Sie spielen diese Diskussionen nach und die Konflikte, die damit zusammenkommen und natürlich auch die tragischen Schicksale. Ich finde, es ist toll gespielt, sehr, sehr intensiv. Mir war nur am Ende das Sterben zu lang. Also ich bin jemand, der eigentlich diese sentimentalen Sachen nicht so mag, sondern die Stärke wirklich von Act Up war, dass es eine vitale Gruppe war und dass, glaube ich, auch viele, die damals HIV hatten oder dann auch Aids hatten, denen hat das geholfen, dass sie politisch aktiv waren und nicht einfach nur zu Hause sich selbst bemitleidet haben, und deswegen finde ich es eigentlich wichtig, dass man diese Vitalität zeigt, und das zeigt der Film. Es sind leider unheimlich viele gestorben, auch von meinen Freunden, und das ist ein Wunder, dass es mich noch gibt.

"Ich habe die als Mörder beschimpft"

Burg: Der Film zeigt ja auch die politischen Richtungskämpfe, die es in der Gruppe gab, also durch welche Aktionen will man Aufmerksamkeit erzeugen. Einige sind dann radikaler gewesen, haben Farbbeutel geschleudert, andere eben nicht. Haben Sie diesen Kampf auch so erlebt?
Praunheim: Ich habe ihn sehr, sehr stark erlebt, weil er sich auch gegen mich gewendet hat. Ich habe ja dann dieses Outing gemacht auf dem Höhepunkt der Aids-Krise, und da plötzlich waren alle gegen mich, auch die, die für das Outing vorher waren. Dann hatten sie jemand Unbequemen, politischen Querulanten, hatten sie dann so aus dem Weg geschafft. Nein, ich habe gerade mit den linken Sexualwissenschaftlern große, große Probleme gehabt, die das Propagieren von Safersex gar nicht so gut fanden, weil die sagten, also wenn wir uns selbst einschränken, dann wird Homosexualität verboten und so weiter, wir brauchen diese Freiheit, diesen Freiraum und so weiter, und das waren endlose Diskussionen, und da war ich auch sehr wütend und habe die danach als Mörder beschimpft und so weiter, also da bin ich ziemlich weitgegangen, weil es ging mir ums Leben retten.
Jetzt haben wir wieder eine Situation, und das ist ganz wichtig auch zu sagen, dass jetzt, wo es jetzt so Mittel gibt, und da nennt sich eins PrEP, dass man so eine Pille nehmen kann, und dann kann man also ohne Kondom Sex haben, dass das von vielen jetzt genutzt wird. Man weiß nicht, wie schädlich diese Pille auch sein kann, außerdem ohne Kondom kriegst du auch viele andere Krankheiten. Du kannst Tripper, Syphilis, Hepatitis C kriegen und so, und ich verstehe nicht, dass da zum Teil die Aids-Hilfen da auch das mitpropagieren, dieses PrEP. Gut, ich bin jetzt raus aus dieser politischen Szene, aber damals wäre ich sehr wütend gewesen.
Burg: Sie sind raus aus der politischen Szene, aber als Filmemacher ja politisch aktiv. Es ist natürlich in den letzten 40 Jahren viel passiert. Es gibt inzwischen die Homo-Ehe, viele Rechte, aber wie hat das Ihr Filmemachen und den Blick auf die politische Situation verändert?
Praunheim: Gut, also dass es hier in Mitteleuropa oder besonders Deutschland jetzt Ehe für alle und den ehemaligen schwulen Bürgermeister Klaus Wowereit und so weiter, und so weiter, aber auf der anderen Seite kommen ja unheimlich viele Leute aus anderen Ländern hierher. Ich meine, wir haben jetzt gerade eine große Flüchtlingswelle, und das sind zum Teil islamisch sehr streng erzogene Menschen, die natürlich überhaupt nichts mit Schwulen und Lesben am Hut haben, und da hilft eigentlich nur Aufklärung.
Burg: Wie schätzen Sie es denn ein? In Deutschland könnte man ja meinen, es ist sehr viel einfacher geworden, schwule Themen ins Fernsehen zu bringen, Filme zu machen mit schwulen Themen. Ist das so?
Praunheim: Das kann ich so generell nicht beurteilen. Ich meine, ich habe da immer das Glück gehabt, dass es mir gelungen ist, aber ich bin da sicher auch eine Ausnahme. Also viele von meinen Kollegen, die schwule Themen anbieten, denen wurde immer gesagt, ja, aber Rosa von Praunheim macht das ja schon, aber ich bin ja nicht nur allein. Ich meine, jetzt gibt es Jochen Hick, der wunderbare Filme zu dem Thema macht, auch sehr konsequent, und es gibt da so ein paar Leute, die das machen, aber sicher zu wenig. Ich habe auch eine Serie geschrieben mit schwulen Geschichten, und das ist sehr schwer, das zu verkaufen.
Burg: Aber es gibt einiges von Ihnen, ein Buch gibt es, das ist gerade im Martin Schmitz Verlag erschienen, das heißt "Wie wird man reich und berühmt?", es gibt seit Donnerstag einen Film von Ihnen im Kino, "Überleben in Neukölln", und die Berliner Galerie Raab stellt die neuesten Bilder von Rosa von Praunheim aus.
Praunheim: Und es gibt im Deutschen Theater am 21. Januar die Uraufführung meines autobiografischen Musicals, "Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht".
Burg: Das kann man sich auch schon in den Kalender schreiben. Und es gibt natürlich auch erst mal den Geburtstag zu feiern, den 75. Ihnen alles Gute dafür! Vielen Dank auch für Ihren Besuch!
Praunheim: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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