Rosa von Praunheim

Leben und Überleben in Neukölln

Rosa von Praunheim im Studio
Filmemacher Rosa von Praunheim im Studio von Deutschlandfunk Kultur. Er hat zwei neue Filme über den Szenebezirk Neukölln gedreht. © Deutschlandradio Kultur / Stefan Ruwoldt
Moderation: Dieter Kassel · 22.06.2017
Vielfalt, Lebendigkeit, Kreativität – diese Mischung im Berliner Bezirk Neukölln fasziniert Rosa von Praunheim schon länger. Jetzt hat er zwei neue Filme über den Szenekiez gedreht. "Ich wollte ein Neukölln festhalten, das jetzt noch unheimlich interessant ist", sagt der Regisseur.
"Überleben in Neukölln" heißt ein Dokumentarfilm von Rosa von Praunheim, der auf dem heute beginnenden Filmfest München zu sehen ist. Das Herz des Regisseurs schlägt schon länger für die brodelnde Buntheit dieses Berliner Bezirks. Jetzt kommt auch sein Film "ACT. Wer bin ich" über ein Theaterprojekt mit Neuköllner Jugendlichen in unsere Kinos.
Der Szenebezirk Neukölln sei sehr lebendig – im negativen wie im positiven Sinne, sagt Regisseur von Praunheim im Deutschlandfunk Kultur:
"Ich habe da recherchiert und viele tolle Leute kennen gelernt, die ich teilweise dann auch porträtiert habe. Das ist endlos. Es ist wirklich sehr, sehr lebendig. Es erinnert mich ein bisschen an New York wie es früher war, also diese Vielfalt. Und das findet man jetzt eigentlich in Berlin. Und speziell eigentlich in Neukölln."
In dem Dokumentarfilm "Überleben in Neukölln" porträtiert von Praunheim verschiedene Künstler und deren Leben in einem Bezirk, der zunehmend von steigenden Mieten und der allgegenwärtigen Gentrifizierung bedroht ist:
"Ich wollte ein Neukölln festhalten, das jetzt noch unheimlich interessant ist. Als Dokumentarist ist das natürlich spannend zu sehen: Wie kommt das, das sich da plötzlich so eine tolle Szene ansiedelt mit so vielen interessanten Menschen?"

Neuköllns Zukunft zwischen Gentrifizierung und Kreativität

Wie wird die Zukunft des Künstlerviertels Neukölln aussehen? Der Prozess der Gentrifizierung lasse sich wohl auch in Neukölln nicht aufhalten, sagt von Praunheim. Er glaubt aber entschieden an den Überlebenswillen künstlerischer Kreativität:
"Das Schöne ist ja, dass Kunst lebendig bleibt, eine Stadt lebendig bleibt. Und in New York sind die Künstler dann alle nach außerhalb von Manhattan gezogen. Das hat ja auch einen Vorteil, dass es nicht nur auf einen Platz zentriert ist, sondern sich auch ausbreitet. Also das hat immer Vor- und Nachteile. Und Künstler sind immer sehr erfinderisch und überraschen uns mit ihren Ideen."
Prognosen für die Entwicklung des Szenebezirks Neukölln will von Praunheim nicht abgeben. Mit Aussagen über die Zukunft liege man meistens immer falsch, meint von Praunheim. Und zeigt sich dann doch eher skeptisch:
"Der nächste Weltkrieg, der muss ja irgendwann kommen. Und ob dann ganz Berlin zerstört ist und ob wir dann irgendwo auf eine Planeten auswandern, darüber mache ich mir keine Gedanken. Außerdem bin ich dann auch nicht mehr auf der Welt und gucke dann irgendwo zu. Das ist doch das Spannende am Leben, das wir nicht wissen, was passiert. Das immer wieder überraschende Dinge kommen." (ue)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der Berliner Regisseur Rosa von Praunheim hat sich irgendwie so ein bisschen in den Stadtteil Neukölln verliebt, wo er zwar selbst nicht wohnt, wo er aber im vergangenen Jahr schon ein Theaterstück inszeniert hat, um dann anschließend zwei Dokumentarfilme zu drehen, die sich beide auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit Neukölln beschäftigen. Der eine heißt "Act", zeigt die Arbeit eines Theaters mit Neuköllner Jugendlichen, der kommt heute in die Kinos in einigen ausgewählten Städten.
Der andere heißt "Überleben in Neukölln" und zeigt Künstler und viele schräge Figuren, die in diesem Stadtteil leben, obwohl es auch dort immer teurer wird und immer schwieriger, so sein Eckchen zu finden. Ich habe mich mit Rosa von Praunheim über diese Filme, über das Theaterstück und überhaupt über sein Verhältnis zu Neukölln unterhalten und ihr erstmal gefragt, was er eigentlich zum Beispiel besonders großartig findet an diesem Stadtteil.
Rosa von Praunheim: Es ist erstmal so ein Szenebezirk. Aus der ganzen Welt kommen Leute hin und leben dort. Das hat ja angefangen, dass erstmal die Mieten sehr billig waren. Inzwischen hat sich das geändert, aber es sitzen sehr viele interessante Leute da und es ist sehr lebendig, im Negativen wie auch im Positiven.
Kassel: Das war jetzt ein Punkt. Gibt es noch mehr, oder ist es einfach nur das, dass es so ein bisschen, sagen wir mal, so sehe ich das teilweise, das coolere Kreuzberg inzwischen geworden ist?
von Praunheim: Ach, da gibt es so vieles, was man – ich hab ja da recherchiert und hab viele tolle Leute kennengelernt, die ich teilweise dann auch porträtiert habe. Aber das ist endlos. Es ist wirklich sehr lebendig. Ich meine, das, was früher so New York war, daran erinnert mich das so ein bisschen, diese Vielfalt. Und das findet man jetzt eigentlich in Berlin und speziell in Neukölln.

Das Neukölln der arabischen Klans und der Parallelgesellschaften

Kassel: Nun ist Neukölln allerdings auch über die Grenzen Berlins hinaus bekannt für Phänomene wie kriminelle arabische Klans, muslimische Parallelgesellschaften, Dreck und Gewalt. Ist das ein Teil von Neukölln, den Sie, wenn Sie selbst da sind, einfach so ignorieren können?
von Praunheim: Es geht einem ja auf die Nerven, wenn man nur diese Schlagzeilen hört, weil das ist ja auch so sensationell. Diese ganzen Porträts von Kriminellen und weiß nicht was – natürlich gibt es das alles, aber ich bin eigentlich jemand, der eher konstruktiv ist und gern auch ein positives Bild vermittelt und sagt, da gibt es auch tolle Leute, es gibt tolle Ansätze, und es gibt auch Wege raus. Und gerade auch mit den migrantischen Jugendlichen oder so.
Ich meine, eben durch das Theater, das eben Maike Plath gemacht hat, gibt es da eine Möglichkeit eben, dass sie da Anerkennung finden, dass sie nicht nur sich benachteiligt fühlen., Und dadurch dann nur die einzige Möglichkeit haben, sauer zu sein, aggressiv zu werden und Unsinn anzustellen. Ich finde immer, bei so Problemgeschichten, ist doch schöner, wenn man da auch einen Weg raus findet, Positives sieht, als nur zu sagen, das ist alles furchtbar, da kann man nicht hingehen.
Kassel: Das Theaterprojekt, da sind wir einerseits bei "Act", dem Film, der ins Kino kommt in Deutschland. Aber bei dem anderen Dokumentarfilm, der in München zu sehen sein wird, da wiederum machen Sie es fast umgekehrt. Der heißt "Überleben in Neukölln", bezieht sich auf diesen berühmten Film über Leben in New York, und da geht es um Künstler, um sehr besondere Menschen, die in Neukölln eben überleben, und da finden Sie eigentlich in diesem Positiven ja das Negative. Denn was sich, glaube ich, viele Leute außerhalb Berlins sich gar nicht vorstellen können, ist, dass Teile von Neukölln inzwischen ja unglaublich teuer sind, und dass dieses, was Sie beschrieben haben, dieses New York ähnliche, inzwischen eigentlich bedroht ist von der berühmten Gentrifizierung.

"Von Kunst wird man selten reich"

von Praunheim: Genau. Aber trotzdem sind immer noch viele Leute da geblieben. Es sind immer noch viele Künstler, die dann – ich meine, im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten ist ja Berlin immer noch am billigsten, dessen muss man sich auch so gewahr werden. Und da findet man immer wieder Nischen und auch Möglichkeiten, da zu leben. Natürlich ist es für alle Künstler, das sind ja da Künstlerporträts in "Überleben in Neukölln", immer schwer zu überleben, mit wie viel Geld auch immer. Von Kunst wird man selten reich, und umso schöner ist es, wenn Leute einfach kreativ sind, was Neues machen und was ausprobieren.
Kassel: Aber gerade bei der Gentrifizierung, man muss das erklären – Neukölln, es gibt da ein Gebiet, das nennt man seit Langem schon Kreuz-Kölln, und das ist eben dieses Grenzgebiet Neukölln-Kreuzberg, das ist immer jünger geworden, immer szeniger, schon auch immer touristischer. Da passiert etwas, was ja in allen Großstädten passiert ist. New York, da haben wir jetzt schon den Vergleich mehrfach gehabt. Bleiben wir bei Manhattan. Das kann sich eigentlich kein Mensch mehr leisten, kein normaler Mensch, auch kein Künstler, es sei denn, er ist schon einer von denen, die ihre Werke für Millionen versteigern.

Kann der Prozess der Gentrifizierung aufgehalten werden?

Sagen Sie, das ist der Weg der Welt, und Neukölln wird irgendwann auch ein Bezirk sein, der halt teuer ist, der gentrifiziert ist? Oder sagen Sie wie manche Stadtforscher, das ist auch etwas, was man aufhalten kann und aufhalten muss?
von Praunheim: Das ist eine schwierige Frage. Natürlich ist es so. Die Künstler entdecken einen Bezirk, dann wird es bekannt, dann wird es teuer, und dann ziehen die Künstler wieder in den nächsten Stadtteil. Das wird hier auch so sein, dass sich das ändert. Das Leben ist nun mal (so) – man kann das ja nicht subventionieren, dass man sagt, da ist jetzt ein Künstlerviertel, und jetzt werden alle Wohnungen subventioniert. Das kann man sicher nicht überall machen.
Und das Schöne ist ja, dass eine Kunst lebendig bleibt, eine Stadt lebendig bleibt. Und in New York sind die halt natürlich dann alle nach außerhalb von Manhattan gezogen, die Künstler, in unheimlich viele Stadtteile. Das hat ja auch einen Vorteil, dass es nicht nur zentriert ist auf einen Platz, sondern dass sich das dann auch ausbreitet. Also das hat immer Vor- und Nachteile, und Künstler sind immer sehr erfinderisch und überraschen uns mit ihren Ideen. Also natürlich wollte ich festhalten ein Neukölln, das jetzt noch unheimlich interessant ist. Und als Dokumentarist ist das natürlich spannend zu sehen. Wie kommt das, dass sich da plötzlich eine so tolle Szene ansiedelt mit so vielen interessanten Menschen.

Neuköllns Zukunft - zwischen Nobelbezirk und No-Go-Area?

Kassel: Wollen wir mal in die Zukunft blicken. Was glauben Sie, was wird Neukölln dann sein? Der ganz teure Nobelbezirk, wo normale Menschen nicht mehr leben können, oder eine Art No-Go-Area, in der alles kaputt gegangen ist?
von Praunheim: Ich glaube, in die Zukunft blicken, da liegt man immer falsch.
Kassel: Aber macht Spaß, oder?
von Praunheim: Weiß ich nicht, aber – der nächste Weltkrieg, der muss ja irgendwann kommen, und ob da nun ganz Berlin zerstört ist, ob wir auf einen Planeten auswandern irgendwo, das sind alles so – darüber mache ich mir keine Gedanken. Außerdem bin ich dann auch nicht mehr auf der Welt, gucke dann irgendwo zu.
Nein, das ist doch das Spannende am Leben, dass wir nicht wissen, was passiert, dass immer wieder überraschende Dinge kommen. Berlin war schon so oft totgesagt, und dann kam wieder ein Boom. Jetzt ist es momentan ein Boom. Wir wissen nicht, wie das weitergeht. Und das finde ich auch spannend am Leben. Wenn wir das wüssten, wäre das Leben langweilig.
Kassel: Rosa von Praunheim über Neukölln und seine beiden Neukölln-Filme. Der eine, "Act", läuft ab heute in ausgewählten Kinos in Deutschland, der andere, "Überleben in Neukölln", eröffnet morgen das Filmfest in München.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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