Roman zur Finanzkrise

Angst muss man sich leisten können

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Die österreichische Schriftstellerin und Journalistin Doris Knecht © imago / Manfred Siebinger
Von Edelgard Abenstein · 13.04.2015
In Doris Knechts Roman "Wald" verliert eine erfolgreiche Modedesignerin infolge der Finanzkrise ihre bürgerliche Existenz. Allein und ohne Geld schlägt sie sich auf dem Land durch. Nach Ansicht unserer Kritikerin ein "fabelhafter Überlebensroman".
Eigentlich heißt sie Marianne. Weil das für eine erfolgreiche Modedesignerin mit Laden in bester Innenstadtlage zu provinziell klingt, streicht sie die letzten Buchstaben. Marian, das ist modern, genderübergreifend, international.
Wie ihren Namen, so stylt sie ihr ganzes Leben: tüchtig, hochprofessionell und sehr selbstbestimmt. Bis die Finanzkrise zuschlägt. Sie verliert alles, das Loft über den Dächern Wiens, Freunde, Liebhaber, ihre ganze Existenz. Das Einzige, was bleibt, ist ein geerbtes Haus auf dem Land, eine Bruchbude mit ein paar verholzten Ribiselstauden im Garten.
Vom Luxusgeschöpf zur zähen Überlebenskünstlerin
Der erste Winter bringt Marian beinahe um: die Kälte, der Hunger, die Feindseligkeit der Dorfbewohner, ohne Geld, ganz allein auf sich gestellt. Aber jetzt hat sie sich angepasst, die verwöhnte Mitvierzigerin, die alles weiß über Marketing, puristische Kleiderschnitte, Selbstoptimierung, aber nichts darüber, wieviel Phantasie, welche Körperkraft es kostet, um satt zu werden.
Überleben - davon erzählt die Österreicherin Doris Knecht in ihrem dritten Roman - ist brutal, bedeutet harte Arbeit. Die blanke Not macht aus dem Luxusgeschöpf Marian eine zähe Überlebenskünstlerin. Eine Läuterung ist das nicht. Marian wird kein besserer Mensch auf dem Land, aber sie entdeckt vergrabene Talente in sich.
Keine Spur mehr von Laktoseintoleranz, die einst allgegenwärtige Altersphobie schwindet mit der Unerreichbarkeit des geliebten 100-Euro-Peeling-Puders. Angst kann sie sich nicht mehr leisten, zumindest nicht mehr die hysterische Angst vor Einbrechern, die sie mit einem dreifachen Superschloss einst von ihrer Wohnung abzuhalten hoffte, genauso wenig wie Ekel, wenn sie eine zappelnde Made als Köder am Angelhaken aufspießt.
Sind letztlich auch Gefühle nur Handelsware?
"Wald" beschwört kein Idyll herauf, es wird nicht geraunt - nirgendwo auch nur ein Hauch von beschaulicher Eichendorff-Metaphorik. Hart, manchmal plakativ, rau dank verlangsamender Austriazismen lässt Doris Knecht einen sogartigen Ton entstehen. Sie zeigt die Protagonistin in ihrem Land-Dasein an einem einzigen Tag. Wie sie Maiskolben auf den Feldern klaut, fürs Mittagessen angelt, Brot bäckt, Kartoffeln hortet - Arbeiten, die viel Zeit zum Nachdenken lassen darüber, was in ihrem Leben schief lief und warum.
Diese Konstruktion bringt galligen Witz ins assoziierende Erzählen: So fällt Marian beim Ausnehmen einer Forelle ein, dass sie nie dauernd einen Mann neben sich brauchte, es genügte ihr "die Gewissheit, dass ein Mann zu ihr gehörte, da war, "irgendwo atmete", obwohl sie, quasi zur "Vervollständigung ihres Lebens nach Romantik verlangte" und Verletzungen nach Liebesaffären mit Hilfe ihrer Therapeutin heilte.
Ganz anders die Beziehung zu Franz, einem verheirateten Großbauern. Die ist ein Geschäft, er bringt ihr Lebensmittel, versorgt sie mit Brennholz, sie wird seine Geliebte. Doch - und das bleibt offen - unterscheidet sich diese Währung so sehr vom romantischen Liebesentwurf? Vielleicht sind am Ende auch Gefühle nur Handelsware. Nicht unbedingt tröstlich, aber für Trost ist ein so fabelhafter Überlebensroman zuallerletzt zuständig.

Doris Knecht: Wald
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2015
272 Seiten, 19,95 Euro

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