Roman

Was wurde aus New Wave?

Neben zahlreichen synthetischen Klängen erzeugte es auch Rhythmen. Aufgenommen in Köln am 15.12.2012.
"Musik spielt direkt auf der Haut", sagt die Romanfigur Marlene - das kleine Casio-Piano war im New Wave der frühen 1980er-Jahre bei Musikern beliebt. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Helmut Böttiger |
In Norbert Niemanns Roman "Die Einzigen" treffen sich zwei Mitglieder einer New-Wave-Gruppe der 80er wieder. Harry hat sich von der Musik abgewandt, Marlene lebt für sie. Ein außerordentliches Buch über die Kraft der Kunst.
Um Norbert Niemann ist es in letzter Zeit ruhiger geworden. Als er 1997 mit dem fulminanten Roman "Wie man’s nimmt" den Klagenfurter Bachmann-Preis gewann, war sein Name in aller Munde. Die beiden folgenden Romane waren ebenfalls hochinteressant, aber keine so großen Verkaufserfolge mehr. Sein neuer Roman "Die Einzigen" erscheint nun nicht mehr, wie die bisherigen, im Hanser-Verlag, sondern im Berlin Verlag – vielleicht hatte wegen dieser Änderung kaum einer mehr den Namen Niemann auf der Rechnung, wenn es um die wichtigen Romane dieses Jahres ging.
Verkrustete Strukturen aufbrechen
Dabei ist „Die Einzigen“ ein außerordentliches Buch. "Die Einzigen" ist der Name einer New-Wave-Gruppe aus den achtziger Jahren, und der Autor verfolgt die Protagonisten bis heute: Was ist aus dem Konzept geworden, den Massengeschmack mit Pop zu unterwandern und die verkrusteten Strukturen aufzubrechen? Dabei wird die Vergangenheit keineswegs verklärt. Die Hauptfigur Harry Bieler verspürt schon nach wenigen Jahren eine "Abneigung gegen die immer noch abgewetzten schwarzen Hosen", gegen seine alte Szene: "Hielten sich nach wie vor für unangepasst, nichtspießig, autark. Glaubten alles zu durchschauen."
Es geht hier nicht einfach um die Dialektik des Pop, um das Problem, dass aus einer ursprünglich irgendwie subversiv gemeinten Affirmation des kapitalistischen Konsums letztlich eine schiere Affirmation geworden ist – die in die langen Jahre der Regentschaft Helmut Kohls hineingewachsene Wohlstandsgeneration inhalierte ja fast naturgemäß die raffiniertesten Techniken des Zynismus, des Opportunismus und der selbstreferenziellen Theoriebildung. In diesem Roman geht es um mehr.
Der Körper als das letzte mögliche Reservoir
Ein paar Jahre nach Auflösung der Band trifft Harry Marlene Krahl wieder. Sie war so etwas wie der intellektuelle Kopf der Gruppe. Harry, der sich bald über die Grenzen seiner musikalischen Möglichkeiten im Klaren war, hatte schließlich die mittelständische Firma seines Vaters übernommen. Marlene aber beschäftigte sich mit musikalischer Avantgarde. Als er sie in Venedig besucht, führt sie ihm ihr Studio vor, sie experimentiert mit elektronischer Musik. Man müsse selbst zum Instrument werden, sagt sie: "Musik spielt direkt auf der Haut." Plötzlich geht es um grundsätzliche Fragen, um Lebensentwürfe, um die Rolle der Kunst.
Niemann zeigt sehr differenziert die wirtschaftlichen und kulturellen Prozesse der letzten Jahre. Die Sätze stimmen, die Interieurs, die Atmosphäre. Und vor allem auch die Geheimnisse. Alles mündet in einem großen, widersprüchlichen, vielschichtigen Bild: die Musik, die Marlene ohne alle Kompromisse anstrebt, setzt rigoros den eigenen Körper ein und begreift ihn als das letzte mögliche Reservoir. Das hat etwas Verstörendes, aber auch Unbedingtes. Landläufige Popattitüden und die Diskurse des Kulturpessimismus lässt dieser Roman weit hinter sich. Er hält der Generation der heute 50-Jährigen einen Spiegel vor.

Norbert Niemann: Die Einzigen. Roman
Berlin Verlag, Berlin 2014
300 Seiten, 19,99 Euro