Roman über 1930er-Jahre

Jüdische Mode-Metropole Berlin

Berlin war in den 1920er- und 30er-Jahren Zentrum der Prêt-à-porter-Mode.
Berlin war in den 1920er- und 30er-Jahren Zentrum der Prêt-à-porter-Mode. © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Von Alice Lanzke · 24.04.2015
Berlin wird in der internationalen Modeszene immer wichtiger. Doch kaum jemand weiß, dass die Stadt bereits in den 1920er- und 30er-Jahren Modezentrum war - dank jüdischer Konfektionäre. Wie die Nazis dem ein Ende bereiteten, davon erzählt der Roman "Ehrenfried und Cohn" von Uwe Westphal.
Zweimal im Jahr beherrschen Designer, Models und Fotografen Berlin - nämlich immer dann, wenn die Fashion Week stattfindet. Jedes Mal wird dabei auch über die wachsende Bedeutung der Stadt für die internationale Modeszene geredet – und vergessen, welchen Stellenwert Berlin in eben jener Szene schon einmal hatte: als Zentrum der Prêt-à-porter-Mode in den 1920er- und 30er-Jahren.
Jüdische Konfektionäre hatten einen besonderen Anteil am Erfolg der Branche: Obwohl sie nur 40 Prozent der Unternehmen besaßen, waren sie für drei Viertel des Umsatzes verantwortlich – bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen.
Vor der Arisierung bildete der Hausvogteiplatz den quirligen Mittelpunkt der Modeindustrie. Geht man heute die Treppe des gleichnamigen U-Bahnhofs hoch, so kann man auf den Stufen die Namen jüdischer Modeunternehmen lesen, die dem Raubzug der Nazis zum Opfer fielen.
Auf dem Platz setzt sich das Mahnmal fort: Drei schmale Edelstahlrechtecke formen ein Dreieck und erinnern so an Ankleidespiegel. Steht man in der Mitte des Dreiecks, geben die Spiegel den Betrachter mehrfach gebrochen wieder.
Mit Kleinanzeigen auf der ganzen Welt gesucht
Zu den Initiatoren des 2000 fertig gestellten "Denkzeichens Modezentrum Hausvogteiplatz" gehört der Journalist und Autor Uwe Westphal. Westphal hat den jüdischen Konfektionären nun erneut ein Denkmal gesetzt: mit dem Roman "Ehrenfried & Cohn". Darin beschreibt er das Schicksal eines fiktiven Berliner Modeunternehmens in den Jahren 1935 und 36:
Ausschnitt aus dem Buch: "Mode war Massenware für die Metropole Berlin. Ein zweimal jährlich stattfindender saisonaler Auftrieb der großen und kleinen Eitelkeiten, veranstaltet für die Durchschnittsfrau. Und das sollte alles natürlich in erschwinglichen Preislagen, in standardisierten Größen und am besten in unendlicher Menge zur Verfügung stehen - Ehrenfried & Cohn lieferten nicht nur Mode, so sah es jedenfalls Ehrenfried, sie schufen einen Lebensstil, hier, in der Metropole Berlin."
Kurt Ehrenfried und Simon Cohn stehen vor ihrem größten Triumph - einer spektakulären Modeschau kurz vor den Olympischen Spielen. Schleichend aber wird der Traum zum Albtraum. Stück für Stück verlieren die jüdischen Unternehmer ihr Eigentum, ihre Mitarbeiter und schließlich ihre Existenz. Am Ende kann auch Ehrenfried die Augen nicht länger verschließen und muss erkennen, dass die Katastrophe schon längst eingetroffen ist.
Autor Westphal kennt sich bestens mit dem Thema aus: Schon 1986 veröffentlichte er ein renommiertes Sachbuch dazu und konnte sich nun auf die Recherchen jener Zeit stützen. Damals hatte Westphal mit Kleinanzeigen auf der ganzen Welt nach jüdischen Konfektionären und ihren Nachkommen gesucht:
"Ich bekam sehr sehr viel Post auf meine Anfragen. Und ich habe dann mich in die Tiefen der Berliner Archive, Oberfinanzdirektion, DDR-Staatsarchiv begeben und habe dort sehr viel gefunden - eigentlich mehr, als ich erwartet hatte, denn selbst das Klauen von jüdischem Eigentum wurde dokumentiert, wie der Deutsche so ist."
Nur wenige materielle Zeugnisse
Westphal beschreibt in "Ehrenfried & Cohn" mit nüchternen Worten, wie die Verhältnisse für die jüdischen Konfektionäre immer dramatischer werden. Als Leser baut sich die Spannung vor allem durch die Frage auf, ob Ehrenfried den Ernst der Situation rechtzeitig realisieren wird – für Verlegerin Nea Weissberg ein Vorteil der Romanform:
"Beim Roman leben die Figuren. Und Leute, die gar keine Ahnung haben, können sich eine Person raussuchen, identifizieren und können so an der Entwicklung, die es gegeben hat, bis zur Arisierung teilnehmen, und haben dadurch Sympathie, Empathie, Mitgefühl. Das ist anders, also für jüngere Menschen sehr geeignet."
Das Buch schafft aber noch etwas anderes: Es dokumentiert eine Zeit, von der es nur wenige materielle Zeugnisse gibt. Das weiß kaum jemand besser als Christine Waidenschlager, Modekuratorin des Berliner Kunstgewerbemuseums:
"Wir haben eben sehr sehr wenige originale Kostüme. Wir haben zum Beispiel vom Modehaus Gerson, vom Modehaus Mannheimer so gut wie nichts! Warum? Ich weiß es nicht. Weil die Menschen dann damals die Etiketten rausgetrennt haben, um eben kein Kleidungsstück eines jüdischen Modehauses zu tragen."
"Ehrenfried & Cohn" ruft nun zumindest die Geschichte der jüdischen Konfektionäre Berlins ins Gedächtnis – eine Würdigung, die sich Uwe Westphal generell wünschen würde:
"Ich kritisiere nicht die Jungen, die Fashion Week machen und die Tolles machen wollen: großartige Idee, weiter so, fantastisch. Berlin war immer ein quirliger Pool von neuen Ideen. Aber: Sich ab und zu mal zurück zu erinnern an diejenigen, die zuerst da waren und die Großartiges geleistet haben, das wäre vielleicht mal angesagt."
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