Roman "Flammenwerfer"

Zwischen Kunst und Revolte

Eine Hand hält eine Pistole. CZ 75 SP-01 SHADOW, Standard size duty and defence pistol, cal. 9 mm Luger; 9x21.
Die Autorin erliegt der Faszination von Schusswaffen. © picture alliance / dpa / Rene Fluger
Von Edelgard Abenstein · 08.05.2015
Im New Yorker Underground werden Läden geplündert und in Rom brennen in "Flammenwerfer" von Rachel Kushner die Barrikaden. Wer in den 70er-Jahren autonom und alternativ sein will, schafft sich seine eigenen Gesetze.
Ob im New Yorker Underground Läden geplündert werden oder in Rom die Barrikaden brennen, Gewalt ist der rote Faden, an dem der Roman erzählt wird.
Als literarische Sensation, "erzählerisches Naturereignis, als "schnellstes Buch" zwischen PS, Kunst und Revolte wurde das Buch in den USA gefeiert. Auch hier ist die Kritik über den zweiten Roman der 44-jährigen Rachel Kushner des Lobes voll. Ein schillernder Cocktail über "Schusswaffen, den aufrührerischen Geist der 70er-Jahre und nackte Frauen".
"Flammenwerfer" spielt zunächst in Manhattan, ein raues Pflaster, wo Andy Warhols Factory den Ton angibt. Man macht Kunst mit dem Körper, das Leben wird zur permanenten Performance, wer in einem Diner kellnert, erklärt das schon mal zum kreativen Akt. Man geht mit dem Revolver im Stiefel zu Vernissagen, quasselt unaufhörlich. Auffallen ist alles.
Auf dem Motorrad durch die Salzwüste
Mittendrin die junge Kunststudentin Reno, sehr hübsch und sehr naiv. Weil sie dazugehören möchte, rast sie auf ihrem Motorrad durch die Salzwüste von Utah, um danach die Reifenspuren zu fotografieren. An die Hand genommen wird sie von Sandro Valera, erfolgreicher Konzeptkünstler und Erbe einer italienischen Motorraddynastie. Bei einem Familienbesuch am Comer See endet die Liebesgeschichte, Reno gerät in den Umkreis der Roten Brigaden, wirft sich einem der Anführer an den Hals und wird unwissentlich in einen Terrorakt verwickelt.
Ob im New Yorker Underground Läden geplündert werden oder in Rom die Barrikaden brennen, Gewalt ist der rote Faden, an dem der Roman erzählt wird. Wer autonom und alternativ sein will - die Zauberwörter der Zeit - schafft sich seine eigenen Gesetze, zur Not mit Schusswaffen. Letztlich erliegt auch die Autorin dieser Faszination.
Fabelhafte Passagen
Es gibt atmosphärisch gelungene, auch sprachlich fabelhafte Passagen: die Utah-Rennstrecke - "ein weißer See, der wie eine flachgehaltene Messerklinge zur Sonne zurückloderte", die Lower Eastside New Yorks, die (lange vor der Gentrifizierung) in Müll, Drogen, Kriminalität versinkt; das snobistische Milieu des Geldadels in Italien, das keinem Aufsteiger Zutritt gewährt. Auch das Drama der Ich-Erzählerin, die ihrem Anpassungsdrang zum Trotz nicht zu einer aktiven Rolle findet, wird plastisch eingefangen.
Dabei holt die Autorin weit aus. Von den militanten Fantasien der Kunst- und Politbewegungen der 70er-Jahre schlägt sie, nicht wirklich überraschend, den Bogen zurück zu den italienischen Futuristen und deren Flirt mit dem Faschismus. Aber es knirscht im Getriebe, wenn sie die Zeitebenen miteinander verschränkt, vom Vater Valera, der zu den "flammenwerfenden" Arditi des Ersten Weltkriegs gehörte, mit Mussolini sympathisierte und dank dessen Unterstützung sein Motorradimperium gründete.
Verloren an die Früchte der Recherche
Als Figur bleibt er genauso blass wie die meisten Protagonisten, die kaum über das Klischee hinauskommen: eiskalte Galeristinnen, bramarbasierende Großkünstler, durchgeknallte Avantgardefilmer, mannstolle Upperclass-Ladies. Neben gekonnt gesetzten temporeichen Szenen verliert sich der Roman allzu oft in seinen Recherchefrüchten, endlosen Debatten über Befreiungstheorien und Genialität, über das Vergehen der Zeit und Geschwindigkeit als Impuls der Moderne.
So liest sich der Roman als boshafte, wohl kalkulierte Satire auf Kunstbetrieb und revolutionäre Posen. Mehr aber auch nicht.
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