Roman

Düsteres Begehren

David Cronenberg bei der Präsentation seines Films "Maps to the Stars".
Bislang nur als Regisseur bekannt: David Cronenberg bei der Präsentation seines Films "Maps to the Stars". © picture alliance / dpa / Warren Toda
Von Manuela Reichart · 13.10.2014
Der kanadische Regisseur David Cronenberg erzählt in seinem Romandebüt "Verzehrt" die abgründige Geschichte eines jungen Journalistenpaares und ihrer sexuellen Fantasien. Zu Beginn gelingt ihm das gekonnt und spannend, zum Ende hin verliert er aber seine Figuren aus den Augen.
Der erste Roman des kanadischen Regisseurs entführt uns dahin, wo auch seine Filme oft angesiedelt sind: in die düsteren Regionen des Begehrens und der Körper.
Nach zwei Dritteln dieser Geschichte um ein junges Journalistenpaar, das meistens getrennt lebt, aber fast immer übers Netz verbunden ist, liest man einen Satz, der den Eindruck der gesamten Lektüre zusammenfasst: "Als ich zu Hause ankam, brummte mir der Schädel, als wäre er das Gefäß voller wilder Insekten; vielleicht war es mein Kopf, der amputiert werden musste."
Nach knapp 400 Seiten, die von Amputationen und vermeintlichem Kannibalismus, Autoaggressionen und sexuellen Fantasien, von einem charismatischen französischen Intellektuellenpaar und der Faszination für Nordkorea erzählen - nicht zu vergessen einem Ende, das viele Fäden der verwickelten Geschichte ziemlich lose hängen lässt, rauscht der Kopf und man schaut ratlos aus dem Buch hervor.
David Cronenberg ist ein gebildeter Autor, in Literatur- und Philosophiegeschichte ebenso bewandert wie auf dem neuesten technischen Stand aller Kommunikationsmittel. Das merkt man diesem verwickelten literarischen Debüt des 71-Jährigen an.
Ein modernes Paar mit Bindungsangst
Das junge amerikanische Journalistenpaar arbeitet an verschiedenen Storys: Er ist gerade in Budapest auf den Spuren eines dubiosen Arztes ohne Examen, der Krebspatienten (und vor allem Patientinnen) mit seltsamen Methoden behandelt und später als Fachmann für unnötige Amputationen auftreten wird.
Sie recherchiert einen spektakulären Mord in Paris. Ein berühmter Philosoph hat offenbar seine ebenso berühmte Ehefrau, Philosophin wie er, ermordet, zerstückelt und verzehrt.
Sie sieht die schrecklichen Bilder im Netz, er hat dagegen realen Sex mit einer todgeweihten Krebspatientin. Sie setzt auf die Realität des Netzes, er auf die vernetzte Realität. Zwischen ihren Aufträgen und Recherche-Obsessionen treffen die beiden sich auf dem Amsterdamer Flughafen. Er ist auf dem Weg nach Kanada, sie nach Japan. Ein modernes Paar mit Bindungsangst und jeder erdenklichen technischen Ausrüstung.
Verworren und voller Anspielungen
Die Geschichte ist verworren und voller Anspielungen: Der Mord in Paris wird sich kreuzen mit dem ungarischen Quacksalber, das Interview, das der Medizinjournalist mit dem Namensgeber einer seltenen Geschlechtskrankheit führen will, führt geradewegs über die verstörte Tochter dieses alten Arztes zurück zum französischen Intellektuellenpaar.
David Cronenberg verwebt seine Geschichte um Wahnsinn, intellektuelle Magie und politische Verblendung geschickt und facettenreich. Das ist spannend und gekonnt erzählt. Dass und wie er sie allerdings auflöst, wie er Figuren einfach aus den Augen verliert, sie am Ende in den undurchsichtigen Tiefen Nordkoreas verschwinden lässt und eine politische Dimension der Geheimhaltung und Zerstörung aus dem Hut zaubert, das ist denn doch eine dramaturgische Drehung zu viel - und enttäuschend.

David Cronenberg: "Verzehrt", Roman
Aus dem Englischen von Tobias Schnettler
S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2014
397 S., 22,99 Euro

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