Rolle eines Beratergremiums
In "Imperialismus vom Grünen Tisch" des Autors Hartmut Pogge von Strandmann geht es um deutsche Kolonialpolitik und mit dem Kolonialrat um eine der dafür wichtigsten Institutionen.
"Unsere Zukunft", so hatte Kaiser Wilhelm II. 1898 in Stettin ausgerufen, "liegt auf dem Wasser." Und nicht nur, wer zu Hause eine Weltkarte oder gar einen Globus besaß, konnte dies für einen seltsamen Gedanken halten.
Am Ende des 19. Jahrhunderts stieg das dynamisch glühende Deutsche Kaiserreich, das vor Kraft kaum laufen konnte, als Parvenu in das Geschäft globaler Kolonialpolitik ein. Spät, aber mit großem Schwung hat sich die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren der deutschen Kolonialpolitik, die zuvor eher als Randbereich behandelt wurde, zugewandt.
Jetzt hat der deutsche Historiker Hartmut Pogge von Strandmann, als Schüler Fritz Fischers einer der Pioniere deutscher Kolonialismusforschung und eine Art Grandseigneur der deutschen Geschichte an der Universität Oxford, eine Studie über den Kolonialrat vorgelegt. Der 1890 gegründete Kolonialrat war das zentrale Beratungsgremium deutscher Kolonialpolitik. In ihm sollten vor allem ökonomische, finanzielle und technische Kompetenzen gebündelt werden - heute würde man von einer Mischung aus think tank und Lobbyistenverein sprechen.
Pogge von Strandmann seziert in seiner Studie kunstvoll das Großhirn der deutschen Kolonialpolitik. Von hier aus wird die Gesamtheit kolonialpolitischer Akteure erkennbar – Kaiser, Regierung, die wirtschaftlichen pressure groups, die Gouverneure, der Reichstag.
Wie alles in der Moderne, so waren auch die ursprünglich simplen Triebfedern kolonialer Gier - Gold, Land und Frauen - im Imperialismus der Hochindustrialisierung komplexer geworden. Kolonialismus war ein kompliziertes Geschäft, das nicht nur von diversen, sondern auch von divergierenden Interessengruppen betrieben wurde.
Sichtbar werden ökonomische Partikularinteressen von Großindustriellen, wissenschaftliche und pseudo-wissenschaftliche Expeditionen sogenannter Entdecker und brutale Einzelfiguren, die im Stil der spanischen Conquistadoren durch die Lande zogen.
"Trotz der Kritik, die vom Reichstag, von Missionaren und vom späteren Kolonialstaatssekretär Dernburg an der Verhängung der Prügelstrafe geäußert wurde, konnte der ehemalige Kolonialrichter von Weichmann noch auf dem Kolonialkongress von 1910 die Meinung äußern, dass man die Achtung des Schwarzen lediglich den Nilpferdpeitschen und deren Komparativ, den Maschinengewehren, zu verdanken habe."
Der Leser trifft auf ambitionierte Gouverneure und schießwütige Kolonialoffiziere, Siedler mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, staatliche Prestigeträume, imperialistische Agitationsvereine, wild gewordene Dorfschullehrer und Missionare voll überbordender Energie, die christlichen Glauben oder europäische Lebensweise feilboten. Und dies sind nur einige Spieler auf den Feldern des "Great Game", wie die Engländer die imperialistische Aufteilung der Welt genannt haben.
Zu den Stärken des auf die deutsche Innenpolitik konzentrierten Buches gehört es, Ziele und Agitation unterschiedlichster Parteien und Interessengruppen im Prisma des Kolonialrats aufzuspalten wie Licht in Spektralfarben. Die Analyse der innenpolitischen Konflikte und Entscheidungsabläufe dürfte zum Präzisesten gehören, das über deutsche Kolonialpolitik vorliegt.
Pogge von Strandmann analysiert unter anderem die Debatten um Arbeitsdisziplin und Haussklaverei, ein über Samoa zu verlegendes "Weltkabel", die Anpassung des deutschen Strafrechtes an die sehr freihändig definierten Bedürfnisse von Afrikanern und immer wieder die scharfe Kolonialismuskritik, die im Reichstag von Sozialdemokraten und Zentrumsabgeordneten vorgebracht wird.
Dem Ende des Kolonialrates nach 1905 und der neuen, durch den Großbanker Bernhard Dernburg dominierten Ära deutscher Kolonialpolitik, gehen zwei der brutalsten Kolonialkriege in Afrika voraus. Zumindest im Fall von Deutsch Südwestafrika richten deutsche Kolonialtruppen ein völkermordnahes Massaker an. Pogge von Strandmann streift beide Kriege und stellt im letzten Kapitel die Frage nach Parallelen mit dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten:
"Der Aufbau eines Ostimperiums hatte die Zerstörung souveräner Staaten in Europa und die Zerschlagung der Sowjetunion zur Grundlage und basierte auf der Umpolung des deutschen Imperialismus von einer Ausrichtung auf Übersee auf den ostdeutschen Kontinent. Die alten imperialistischen Kreise, die bis 1941 beziehungsweise 1943 auf ein Überseereich gesetzt hatten, sahen sich durch Kräfte hinter der Schaffung eines kontinentalen Ostimperiums überspielt."
Die Frage nach den Kontinuitätslinien, die bis in den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg reichen, eine Frage, die den Autor bereits vor 50 Jahren im Kreis um Fritz Fischer umtrieb, wird hier nicht beantwortet, aber doch gestellt.
Das Buch besitzt alle Stärken der Geschichtswissenschaft alter Schule: umfassende und detaillierte Sachkenntnis, gründliches Quellenstudium, präzise Rekonstruktion politischer Entscheidungsprozesse. Es vermeidet neologistische Geschwätzigkeit, postmoderne Begriffsfanfaren und Pseudotheorien.
Die Darstellung zeigt allerdings auch nur wenig Gespür für die Stärken neuerer "postkolonialer" Ansätze. Kulturhistorische Erweiterungen, Analyse konkreter Herrschaftsverhältnisse vor Ort, Überprüfung der Distanz zwischen Herrschaftsphantasien und lokalen Verhältnissen sucht man hier vergeblich. Wer die Grob- und Feinmechanik deutscher Kolonialpolitik studieren und präzise Einblicke in die Funktionsweise von Interessenpolitik erhalten will, ist mit dem Band jedoch bestens bedient.
Hartmut Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonialpolitik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und zivilisatorischen Bemühungen
Christoph Links Verlag, Berlin 2009
Am Ende des 19. Jahrhunderts stieg das dynamisch glühende Deutsche Kaiserreich, das vor Kraft kaum laufen konnte, als Parvenu in das Geschäft globaler Kolonialpolitik ein. Spät, aber mit großem Schwung hat sich die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren der deutschen Kolonialpolitik, die zuvor eher als Randbereich behandelt wurde, zugewandt.
Jetzt hat der deutsche Historiker Hartmut Pogge von Strandmann, als Schüler Fritz Fischers einer der Pioniere deutscher Kolonialismusforschung und eine Art Grandseigneur der deutschen Geschichte an der Universität Oxford, eine Studie über den Kolonialrat vorgelegt. Der 1890 gegründete Kolonialrat war das zentrale Beratungsgremium deutscher Kolonialpolitik. In ihm sollten vor allem ökonomische, finanzielle und technische Kompetenzen gebündelt werden - heute würde man von einer Mischung aus think tank und Lobbyistenverein sprechen.
Pogge von Strandmann seziert in seiner Studie kunstvoll das Großhirn der deutschen Kolonialpolitik. Von hier aus wird die Gesamtheit kolonialpolitischer Akteure erkennbar – Kaiser, Regierung, die wirtschaftlichen pressure groups, die Gouverneure, der Reichstag.
Wie alles in der Moderne, so waren auch die ursprünglich simplen Triebfedern kolonialer Gier - Gold, Land und Frauen - im Imperialismus der Hochindustrialisierung komplexer geworden. Kolonialismus war ein kompliziertes Geschäft, das nicht nur von diversen, sondern auch von divergierenden Interessengruppen betrieben wurde.
Sichtbar werden ökonomische Partikularinteressen von Großindustriellen, wissenschaftliche und pseudo-wissenschaftliche Expeditionen sogenannter Entdecker und brutale Einzelfiguren, die im Stil der spanischen Conquistadoren durch die Lande zogen.
"Trotz der Kritik, die vom Reichstag, von Missionaren und vom späteren Kolonialstaatssekretär Dernburg an der Verhängung der Prügelstrafe geäußert wurde, konnte der ehemalige Kolonialrichter von Weichmann noch auf dem Kolonialkongress von 1910 die Meinung äußern, dass man die Achtung des Schwarzen lediglich den Nilpferdpeitschen und deren Komparativ, den Maschinengewehren, zu verdanken habe."
Der Leser trifft auf ambitionierte Gouverneure und schießwütige Kolonialoffiziere, Siedler mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, staatliche Prestigeträume, imperialistische Agitationsvereine, wild gewordene Dorfschullehrer und Missionare voll überbordender Energie, die christlichen Glauben oder europäische Lebensweise feilboten. Und dies sind nur einige Spieler auf den Feldern des "Great Game", wie die Engländer die imperialistische Aufteilung der Welt genannt haben.
Zu den Stärken des auf die deutsche Innenpolitik konzentrierten Buches gehört es, Ziele und Agitation unterschiedlichster Parteien und Interessengruppen im Prisma des Kolonialrats aufzuspalten wie Licht in Spektralfarben. Die Analyse der innenpolitischen Konflikte und Entscheidungsabläufe dürfte zum Präzisesten gehören, das über deutsche Kolonialpolitik vorliegt.
Pogge von Strandmann analysiert unter anderem die Debatten um Arbeitsdisziplin und Haussklaverei, ein über Samoa zu verlegendes "Weltkabel", die Anpassung des deutschen Strafrechtes an die sehr freihändig definierten Bedürfnisse von Afrikanern und immer wieder die scharfe Kolonialismuskritik, die im Reichstag von Sozialdemokraten und Zentrumsabgeordneten vorgebracht wird.
Dem Ende des Kolonialrates nach 1905 und der neuen, durch den Großbanker Bernhard Dernburg dominierten Ära deutscher Kolonialpolitik, gehen zwei der brutalsten Kolonialkriege in Afrika voraus. Zumindest im Fall von Deutsch Südwestafrika richten deutsche Kolonialtruppen ein völkermordnahes Massaker an. Pogge von Strandmann streift beide Kriege und stellt im letzten Kapitel die Frage nach Parallelen mit dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten:
"Der Aufbau eines Ostimperiums hatte die Zerstörung souveräner Staaten in Europa und die Zerschlagung der Sowjetunion zur Grundlage und basierte auf der Umpolung des deutschen Imperialismus von einer Ausrichtung auf Übersee auf den ostdeutschen Kontinent. Die alten imperialistischen Kreise, die bis 1941 beziehungsweise 1943 auf ein Überseereich gesetzt hatten, sahen sich durch Kräfte hinter der Schaffung eines kontinentalen Ostimperiums überspielt."
Die Frage nach den Kontinuitätslinien, die bis in den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg reichen, eine Frage, die den Autor bereits vor 50 Jahren im Kreis um Fritz Fischer umtrieb, wird hier nicht beantwortet, aber doch gestellt.
Das Buch besitzt alle Stärken der Geschichtswissenschaft alter Schule: umfassende und detaillierte Sachkenntnis, gründliches Quellenstudium, präzise Rekonstruktion politischer Entscheidungsprozesse. Es vermeidet neologistische Geschwätzigkeit, postmoderne Begriffsfanfaren und Pseudotheorien.
Die Darstellung zeigt allerdings auch nur wenig Gespür für die Stärken neuerer "postkolonialer" Ansätze. Kulturhistorische Erweiterungen, Analyse konkreter Herrschaftsverhältnisse vor Ort, Überprüfung der Distanz zwischen Herrschaftsphantasien und lokalen Verhältnissen sucht man hier vergeblich. Wer die Grob- und Feinmechanik deutscher Kolonialpolitik studieren und präzise Einblicke in die Funktionsweise von Interessenpolitik erhalten will, ist mit dem Band jedoch bestens bedient.
Hartmut Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonialpolitik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und zivilisatorischen Bemühungen
Christoph Links Verlag, Berlin 2009

Cover: "Hartmut Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch"© Christoph Links Verlag