Zukunftsforscher Rolf Kreibich

"Wir müssen Kompromisse eingehen"

37:11 Minuten
Porträt von Rolf Kreibich vor dunklem Fotostudiohintergrund. Er trägt ein dunkelgraues Jackett, Hemd und Krawatte.
Der Zukunftsforscher Rolf Kreibich, geboren 1938 in Dresden, floh vor dem Mauerbau aus der DDR in den Westen. Später half er anderen bei der Flucht. © Fotostudio Urbschat
Moderation: Katrin Heise · 23.02.2022
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In den 60er-Jahren war Rolf Kreibich der jüngste Universitätspräsident der Welt. Mit 84 Jahren ist der Physiker und Soziologe seiner Uni, der FU Berlin, noch immer treu und widmet sich der Frage, wie die Menschheit "zukunftsfähig" werden kann.
Das Leben von Rolf Kreibich, das kann man ohne Übertreibung so formulieren, hat einen abenteuerlichen Verlauf genommen: Flucht aus der DDR, verleumderischer Verdacht auf Zusammenarbeit mit der Stasi, erster Präsident der Freien Universität Berlin. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt.
Schon seine Fächerkombination an der Uni war in den 1960er-Jahren mehr als ungewöhnlich. Erst studierte er Mathematik und Physik an der Freien Universität, kurz FU, später kam noch die Soziologie hinzu. Und Kreibich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, was er damit anfangen kann:
"Das war einer der Hauptgründe, weshalb ich dann die Zukunftsforschung angepeilt habe. In den Vereinigten Staaten gab es schon Gruppen, die interdisziplinäre zusammenarbeiteten und fantastische Ergebnisse erzielt haben. Und mir wurde immer klarer, dass die eigentlichen Probleme nicht linear auf der Physik liegen, nicht auf der Chemie, sondern zwischen den sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächern."

Seiner Zeit voraus

Heute gilt Rolf Kreibich als renommierter Zukunftsforscher. Seit 1990 ist er Direktor des Sekretariats für Zukunftsforschung an der FU Berlin. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Bundesverdienstkreuz.
Gerade hat Kreibich ein neues Buch veröffentlicht: "Die Menschheit zukunftsfähig machen. Ein Plädoyer für eine Zweite Aufklärung und Nachhaltige Entwicklung." "Zweite Aufklärung", was bedeutet das genau?
"Wenn wir weiterhin meinen", sagt der Physiker, "wir müssen egoistisch handeln und nur für uns die Schäflein ins Trockene bringen, dann reicht das nicht mehr für eine Zukunftsentwicklung. Wir müssen Kompromisse eingehen." Wichtig sei auch, "dass unsere Justiz viel stärker auf die soziale Gerechtigkeit setzt."

Verständnis für „Letzte Generation"

Für Proteste, etwa von Aktivisten der "Letzten Generation", äußert er deshalb auch ein gewisses Verständnis.
"Dass heute junge Menschen meinen, dass sie die letzte Generation seien, die tatsächlich noch lebensfähig ist auf dieser Erde, das ist nicht ganz falsch. Wir haben eine ganze Reihe von sogenannten Kipppunkten, ob beim Klimaschutz, ob das bei der Biodiversität ist oder der Verseuchung der Meere."

Vom Krieg geprägt

Ein Leben für die Wissenschaft, das sei, so Kreibich, nicht vorherbestimmt gewesen. "Meine Eltern waren überhaupt nicht wissenschaftlich orientiert. Meine Mutter war Schneiderin, mein Vater kaufmännischer Angestellter." 1938 in Dresden geboren, habe ihn der Krieg geprägt.
"Ich wollte daher unbedingt in die politische Sphäre hineingehen. Das ging natürlich nicht in der DDR, weil ich sehr frühzeitig merkte, wie brutal auch die DDR zuschlagen kann." Kreibich hatte erlebt, wie Studentenfreunde, "die für die Demokratie eingetreten sind", zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Noch vor dem Mauerbau floh Kreibich in den Westen, eine spontane Entscheidung, so der Wissenschaftler. Nach einer Flugblattaktion habe die Stasi nach ihm und anderen gesucht. Kreibich half später anderen in den Westen zu fliehen, als so genannter Fluchthelfer holte er auch seine Frau, die Mutter und weitere Familienangehörige nach. Das sollte ihm später Schwierigkeiten mit dem Verfassungsschutz einbringen.

Der jüngste Hochschulpräsident der Welt

An der Freien Universität in West-Berlin setzte Kreibich sein Studium fort, schrieb sich hier auch für Soziologie ein.
Sieben Jahre, ab 1969, war Kreibich der erste Präsident der FU, bis dahin wurde die Universität nur von Rektoren geleitet. Damals, mit 30 Jahren, galt er als der jüngste Hochschulpräsident der Welt. Und das in einer ereignisreichen Zeit.
"Die Studentenbewegung tobte auf der Straße und im Campus. Und wir hatten mit dem Universitätsgesetz mehrere wichtige Aufgaben. Der Präsident war dann für alles verantwortlich, sowohl für den akademischen Bereich, als auch für den Dienstleistungsbereich, für die Lehre und die Forschung."

Rolf Kreibich: „Die Menschheit zukunftsfähig machen. Ein Plädoyer für eine Zweite Aufklärung und Nachhaltige Entwicklung“
NOEL-Verlag, Oberhausen 2021
368 Seiten, 19,80 Euro

1980 wurde Rolf Kreibich plötzlich beschuldigt mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben. Die Vorwürfe klingen absurd. Man habe nicht glauben wollen, dass er die komplizierte Flucht von Schwiegervater, Schwager und Schwägerin ohne Hilfe hatte organisieren können. Man habe ihn daher für einen Spitzel der Stasi gehalten.
"Am Ende", erzählt Kreibich, "erwiesen sich diese Vorwürfe natürlich als haltlos."
Heute, mit 84 Jahren, engagiert sich der ehemalige FU-Präsident für ein "Haus für die Vereinten Nationen". In Berlin soll es einmal stehen, als Symbol dafür, dass "dieses Berlin eine ganz friedliche Stadt ist", sagt Kreibich. "Das Haus soll ein Informations-, Kommunikations- und Kooperationszentrum werden."
(ful)

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