„Aufstand der letzten Generation“

Autobahnblockaden: Ist das noch ziviler Ungehorsam?

04:13 Minuten
Klimaaktivisten bei einer Autobahnblockade, sie sitzen auf dem Aspalt und haben sich mit Sekundenkleber die Hände am Boden festgeklebt, 04.02.2022.
Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der "letzten Generation" wollen die Politik zum Handeln zwingen. © picture alliance / dpa / Carsten Koall
Ein Kommentar von Pauline Pieper · 20.02.2022
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Klimaktivistinnen und -aktivisten, die sich mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festkleben und den Verkehr lahmlegen: Die Blockaden der letzten Woche haben viele verärgert. Erweist die "letzte Generation" ihrem Anliegen damit einen Bärendienst?
Die einen sprechen von Terrorismus, die anderen von legitimem zivilen Ungehorsam: Die Autobahnblockaden der Gruppe von Klimaaktivist*innen, die sich „Aufstand der letzten Generation“ nennen, sorgten in der vergangenen Woche für Diskussionen.
Dabei wird weniger das Anliegen der Gruppe hinterfragt. Ein Wegwerfverbot für Lebensmittel erscheint vielen vernünftig. Die Methoden der Aktivist*innen hingegen erregen die Gemüter. Und tatsächlich stellt sich nicht nur die Frage, ob Autobahnblockaden ein legitimes Mittel sind, sondern auch, ob sie ein erfolgversprechendes Mittel sind. Schließlich ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, wie erzürnte Pendler*innen durch die Blockade vom Wegwerfverbot überzeugt werden sollen.

Ein avantgardistischer ziviler Ungehorsam

Die Aktivist*innen selbst sehen sich in der Tradition des zivilen Ungehorsams. Gemeinhin versteht man darunter moralisch begründete Handlungen, die bewusst gegen das Gesetz verstoßen, um politische Verhältnisse zu verändern.
Ziviler Ungehorsam wird in liberalen Demokratien unterschiedlich gerechtfertigt. Laut dem Sozialphilosophen Robin Celikates lassen sich drei allgemeine Rechtfertigungsmodelle unterscheiden. Gegen geltende Gesetze kann erstens das individuelle Gewissen in Anschlag gebracht werden oder aber zweitens verletzte Grundrechte oder Gerechtigkeitsprinzipien.
Im Falle der Autobahnblockaden ließe sich vom dritten, dem avantgardistischen Modell der Rechtfertigung sprechen: Man sieht die Gesellschaft auf eine Katastrophe zusteuern, die nur durch Umsetzung der vorgebrachten Forderungen aufgehalten werden könne. So rechtfertigen die Autobahn-Aktivist*innen ihr Tun mit einem drohenden Klimanotstand, der auch in Deutschland zu Nahrungsmittelknappheit führen werde.

Apokalypse now?

Dieser durchaus apokalyptische Tonfall des „Aufstandes der letzten Generation“ macht aber eine Schwierigkeit deutlich: Wenn die eigene Forderung als einzig richtige Maßnahme gegen den Weltuntergang inszeniert wird, ist kaum noch eine demokratische Diskussion über die Angemessenheit von Maßnahmen möglich.
Andererseits: Rechtfertigen die einhelligen Warnungen aus der Wissenschaft vor der tatsächlich existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel nicht vielleicht die Dramatik der Inszenierung? Und haben endlose und ermüdende Parlamentsdebatten und Klimakonferenzen nicht längst bewiesen, dass aus ihnen keine ausreichend effektiven Maßnahmen folgen?

Und die Erfolgsaussichten?

Aber abgesehen davon, ob die Autobahnproteste legitim sind, stellt sich die Frage nach ihren Erfolgsaussichten. Schlagzeilen über verärgerte Autofahrende, im Stau feststeckende Rettungswagen und Wut über Gesetzesverstöße – erweist die Autobahnaktion dem übergeordneten Anliegen der Klimabewegung einen Bärendienst?
Pauline Pieper steht in einem Park, im Hintergrund in der Unschärfe sind Bäume zu sehen, und schaut lächelt in die Kamera.
Denkt darüber nach, welche Protestformen angemessen und vor allem auch erfolgsversprechend sind: Pauline Pieper.© Birte Mensing
Die entscheidende Frage ist hier, welches Ziel eine Protestform hat. Legale Protestformen wie Demonstrationen wollen die öffentliche Meinung beeinflussen. Diese soll dann im deliberativen Prozess bis auf die Entscheidungsebene durchsickern. Das kann bekanntlich manchmal sehr lange dauern.
Radikalere Protestformen wollen hingegen nicht unbedingt moralisch überzeugen. Stattdessen soll eine größtmögliche Störung die Regierung dazu zwingen, die geforderten Maßnahmen umzusetzen. Bei der Autobahnblockade soll also das verursachte Chaos zum Einlenken nötigen – und nicht die Autofahrenden selbst sollen überzeugt werden. Ein solcher Protest wäre aber nur dann erfolgreich, wenn genug Menschen mitmachen würden. Das steht momentan jedoch nicht in Aussicht.
Auch wenn die Protestform der Autobahnblockade weitestgehend auf Ablehnung stoßen mag, bleibt doch zu hoffen, dass der politische Gehalt ihrer Forderungen in den Diskurs hineinwirkt. Die Diskussion über die Protestform sollte also die Diskussion der Protestinhalte nicht überschatten. Denn mit einer Sache haben die Aktivist*innen sicherlich recht: Je schneller gegen den Klimawandel vorgegangen wird, desto besser.

Pauline Pieper studiert Philosophie im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Sozialphilosophie und Kritische Theorie.