Monopolist des Ölzeitalters

Aufstieg und Zerschlagung des Rockefeller-Konzerns

34:07 Minuten
Vor blauem Himmel ist eine verlassene Tankstelle zu sehen. Davor steht ein rostiges Schild "Standard Oil Products".
John D. Rockefeller gründet am 10. Januar 1870 im Alter von 30 Jahren in Cleveland die Standard Oil Company. © Getty Images / Corbis / John van Hasselt
Von Caspar Dohmen · 02.11.2022
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Er war der erste Dollarmilliardär: John D. Rockefeller baute Ende des 19. Jahrhunderts einen Ölkonzern auf, der die Märkte dominierte - bis er 1911 zerschlagen wurde. Damit beginnt die moderne Wettbewerbspolitik und der Kampf gegen Monopole.
„Keiner von uns hätte sich je das Ausmaß der späteren Expansion träumen lassen“, schreibt der Mann, dessen Reichtum sprichwörtlich war, in seinen Memoiren: John Davison Rockefeller.
Er war der erste Dollarmilliardär, Besitzer großer Ländereien im Hudson Valley und prächtiger Villen. Er gründete die Rockefeller Foundation, die „das Wohl der Menschheit auf der ganzen Welt“ fördern soll, finanzierte die Gründung der Universität von Chicago und stellte hohe Schecks für die Eliteuniversitäten Harvard und Yale aus. Sein Vermögen machte er mit dem Stoff, der die Moderne antrieb und befeuerte: ÖL!
Rockefeller baute Ende des 19. Jahrhunderts einen Konzern auf, der den nationalen und internationalen Markt dominierte - bis er 1911 in einem bis dahin nie erlebten Akt zerschlagen wurde.

Muss der Staat Monopole zerschlagen? 

Soll oder muss der Staat Monopole zerschlagen und für marktwirtschaftlichen Wettbewerb sorgen? Lange hielten sich die US-Regierung und die einzelnen Bundesstaaten zurück – schließlich lebte hier jemand exemplarisch den ganz großen amerikanischen Traum – und verteilte nebenbei entlang des Weges links und rechts viel Geld. Das hatte er mit anderen Industrietycoonen seiner Zeit gemeinsam - und natürlich auch mit den Datenmilliardären unserer Zeit.

‘Ich will keine Kosten scheuen, ich will das edelste Haus haben, das man mit Geld bauen kann.‘ Nach einer Pause - er hatte Lauras Lächeln nicht bemerkt - sagte er: ‚Laura, würdest du die Haupthalle mit Enkaustikfliesen oder nur mit ausgefallenen Mustern aus hartem Holz verlegen?‘ Laura lachte ein gutes, altmodisches Lachen, das mehr von ihrer früheren Natürlichkeit enthielt als jeder andere Laut, der seit vielen Wochen aus ihrem Mund kam. Sie sagte: ‚Du hast dich nicht verändert, Washington. Du fängst immer noch an, ein Vermögen zu verprassen, sobald du in der Ferne davon hörst; du wartest nie, bis der erste Dollar davon in die Nähe von hundert Meilen kommt‘, - und sie küsste ihren Bruder zum Abschied und ließ ihn sozusagen in seinen Träumen schwelgen.

Aus dem Roman „The Gilded Age: A Tale of today“ von Mark Twain und Charles Dudley Warner

In ihrem 1873 erschienenen Roman „The Gilded Age: A Tale of today“ beschreiben Mark Twain und Charles Dudley Warner wie die Gier nach Geld die Gesellschaft durchdringt. Der Titel „The Gilded Age“, das vergoldete Zeitalter, wird später zum Namen der Ära nach dem amerikanischen Bürgerkrieg.
Vier Jahre hat der Bürgerkrieg getobt. 1865 siegen die Nordstaaten über die Südstaaten.
„Spätestens seitdem war klar, dass die USA als eine Einheit auch weiter bestehen würden, es entstand ein nationaler Markt“, sagt Axel Jansen, Vizedirektor am Deutschen Historischen Institut in Washington. „Das war verzahnt mit der Auflösung der politischen Blockade, die der Bürgerkrieg dann gelöst hatte, dass die südstaatlichen Eliten also gewisse wirtschaftliche Entwicklungen auch blockierten, gerade auch den Eisenbahnbau. Das war ja immer Politikum gewesen, auch vor dem Bürgerkrieg. Der Eisenbahnbau boomte und dadurch entstand sozusagen in der Fläche ein Netz und auch ein nationaler Markt.“
Stadt und Land werden verbunden. Von 1867 bis 1900 wächst das Schienennetz gewaltig, vor allem zwischen der West- und Ostküste von 50.000 auf 310.000 Kilometer.

Das Industriezeitalter nimmt Gestalt an

„Das zog natürlich alle möglichen Industrien mit sich, also gerade der Stahlbau, also Eisenbahnschienen, die wollen auch gegossen werden, die wollen auch verlegt werden“, sagt Axel Jansen. „Das ermöglichte wiederum auch den Vertrieb von Waren in der Fläche usw., also eine enorme Dynamik in der Wirtschaft, gefördert durch eine Expansion in der Fläche, gefördert durch Einwanderung, gefördert durch ein Wachstum der Städte bis hin auch zu den ersten Wolkenkratzern.“
Häuser, Fabriken Betriebe, Schulen, Universitäten und Museen schießen aus dem Boden. Massenfertigung und Massenkonsum. Das Industriezeitalter nimmt Gestalt an. Technologische Erfindungen werden am laufenden Band gemacht: Telefone. Elektrische Lokomotiven. Verbrennungsmotoren. Phonographen. Innerhalb von drei Jahrzehnten werden in den USA mehr als 500.000 Patente angemeldet. Zehnmal mehr als in den sieben Jahrzehnten zuvor.
„Das goldene Zeitalter war eine Zeit des massiven technologischen Wandels“, sagt Laura Philips Sawyer von der Law School im US-Bundesstaat Georgia. In ihrem Buch „American Fair Trade: Proprietary Capitalism, Corporatism, and the New Competition“ beschäftigt sie sich mit der Ära, in der sich die Wirtschaftsgeografie der USA einschneidend veränderte.
„Es gab neue Großunternehmen, aber auch horizontale Zusammenschlüsse, bei denen sich verschiedene Hersteller zusammentaten und sagten: Lasst uns das Problem des Preiswettbewerbs lösen, indem wir uns koordinieren und entweder Preise festlegen oder Märkte aufteilen. Teilweise suchten sie nach Stabilität in dieser Zeit des schnellen technologischen Wandels. Denn es gab Phasen extrem fallender Preise, wofür sie Lösungen suchten.“
Erfinderische Pioniere und entschlossene Investoren formierten Trusts und Industriegiganten, deren Namen auch außerhalb der USA bis heute bekannt sind: etwa John Pierpont Morgan im Finanzsektor, Andrew Carnegie im Stahl, Thomas Mellon bei Aluminium oder John D. Rockefeller auf dem Ölmarkt.
Alle bemühten sich auch als Philanthropen einen Namen zu machen. Gleichzeitig gingen sie wegen ihrer ruppigen Geschäftsmethoden aber auch als „Räuberbarone“ in die Geschichtsbücher ein.

Die Kartelle prägen die Wettbewerbspolitik

„Die Monopole oder allgemeiner Kartelle aus dem späten 19. Jahrhundert, also die sogenannten Trust, haben definitiv die ökonomische Sichtweise der amerikanischen Wettbewerbspolitik sehr geprägt.“ Tomaso Duso arbeitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und gehört der Monopolkommission an, die sich im Auftrag der Bundesregierung mit Fragen des Wettbewerbs beschäftigt.
„Die Wettbewerbspolitik in den USA wird nicht umsonst Anti-Trust genannt. Dass große Unternehmen kleine Konkurrenten mit aggressiven Unterkostenpreisen zerquetschen, ist ein fester Bestandteil der Folklore des amerikanischen Kapitalismus und werden beispielhaft von Figuren wie John Rockefeller und dem Standard-Oil-Trust personifiziert.“
Der amerikanische Unternehmer und Ölmagnat John D. Rockefeller sitzt an einem Schreibtisch und guckt in die Kamera. In der rechten Hand hält er einen Stift.
Nutzt wie kein Zweiter die Chancen des neuen Ölgeschäfts: John Davison Rockefeller.© Getty Images / ullstein bild Dtl.
John D. Rockefeller. Sohn eines Quacksalbers. Zweites von sechs Kindern. 1839 geboren. Wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Nutzt wie kein Zweiter die Chancen des neuen Ölgeschäfts. Taktiert geschickt. Riskiert viel. Vertraut als einer der ersten Industriellen wissenschaftlichen Methoden. Wird der reichste Mann seiner Zeit. Der erste Dollar-Milliardär. Verlässt sich aber nicht allein auf sein unternehmerisches Geschick, sondern schmiedet Kartelle, spioniert Konkurrenten aus und unterbietet sie mit Dumpingpreisen.
„Wenn man sich Standard Oil ansieht und was Rockefeller und Flagler und sein Hausanwalt S.C. Dodd taten: Vieles davon war kreative Zerstörung und kluge Geschäftsstrategie!“, sagt Laura Philips Sawyer. So baute das Ölunternehmen auch eine Flotte von Tankwagen auf, erst für die Schiene, später für die Straße.
„Auch bei den Pipelines haben sie alle möglichen Innovationen gemacht, die für die Verbraucher von Vorteil waren. Aber dann gab es Momente, in denen sie eine Grenze überschritten und versuchten, ihre Konkurrenten zu vernichten. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir Polizei, Überwachung und Regulierung brauchen. Sie müssen die Gesetze durchsetzen, um einen Markt funktionsfähig zu halten.“

Das gesamte Erdinnere schien aus diesem Loch bersten zu wollen; es brüllte und rauschte wie am Niagara, dann schoss eine schwarze Säule in die Luft, 200 Fuß, 250, genau wusste es niemand, und fiel donnernd auf die Erde zurück, eine dicke, schwarze, schlammige, glitschige Flüssigkeit. Werkzeug und anderes schweres Gerät wurde in der Gegend umher geschleudert, sodass die Männer um ihr Leben rennen mussten. Das Saugbecken lief voll, ging über wie ein zu heftig kochender Suppentopf und ergoss sich den Abhang hinunter.

Upton Sinclair in seinem Roman „Öl“

So beschreibt der US-Schriftsteller Upton Sinclair in seinem Roman „Öl“ den Moment, in dem man auf Öl stößt.
Schon die indigenen Ureinwohner Nordamerikas nutzten Erdöl, das bisweilen an der Oberfläche austritt, aber nur in kleinen Mengen.
Im 19. Jahrhundert beleuchtete man in Europa und den USA die gute Stube bevorzugt mit Waltran. Aber nur wenige konnten es sich leisten, ihre Wohnungen jeden Abend damit zu hell zu machen. Andere saßen im Dunkeln oder begnügen sich mit schlechteren Alternativen: Schweineschmalz. Talg. Baumwollsamenöl.

1859 wird die erste US-Ölquelle angebohrt

Was fehlte, war ein preisgünstiges und sauber brennendes Leuchtmittel. Das änderte sich am 27. August 1859. Da bohrte ein Ingenieur in Pennsylvania die erste Ölquelle der USA an.
Der Ölboom beginnt in Pennsylvania und schwappt später rüber in andere Landesteile wie Texas und Kalifornien. Die Schwarz-Weiß-Fotografien von Landschaften, die von stählernen Bohrgeräten und kreiselnden Pumpen übersät sind, gehören zu den ikonischen Bildern Amerikas überhaupt.
Auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist ein Ölfeld zu sehen, auf dem eine Ölfontäne in den Himmel schießt.
Ein Ölfeld in der Nähe von Los Angeles um 1933: Der Ölboom beginnt 1859 in Pennsylvania und schwappt später rüber in andere Landesteile wie Texas und Kalifornien.© imago / United Archives International
John D. Rockefeller, 30 Jahre alt, gründet am 10. Januar 1870 in Cleveland die Standard Oil Company.
„Rockefeller war ein sehr geduldiger, ein konzentrierter, ein auch durchsetzungsfähiger Mensch, der auf die Details achtete und der sich für Zahlen interessierte. Ihm gelang es durch seine Netzwerke in der Stadt, die er schon aufgebaut hatte, als er noch im Handelsgeschäft tätig war, sich sehr schnell in Cleveland durchzusetzen“, sagt Axel Jansen.
Quasi aus dem Nichts erschafft er eines der größten wirtschaftlichen Imperien der Geschichte. Zeitweise kontrolliert es rund 90 Prozent des heimischen Ölmarkts und etwa zwei Drittel des globalen.
Sein Erfolgsrezept beruht vor allem auf der Kontrolle von Transport und Verarbeitung des fossilen Rohstoffs in Pipelines und Raffinerien. Rockefeller wird mächtig mit der Kontrolle der Adern des Ölgeschäfts.
Anfangs ist er nur einer unter vielen in der Boombranche. Aber er wird zum „Titan“. So überschreibt der US-Journalist Ron Chernow seine Biografie über den Ölmagnaten.

Für seine Bewunderer ist das Jahr 1872 das ‚annus mirabilis‘ im Leben von John D. Rockefeller, während es für seine Kritiker das dunkelste Kapitel darstellte. Das Jahr offenbarte sowohl seine besten als auch seine problematischsten Qualitäten als Geschäftsmann: seine visionäre Führungsstärke, seine mutige Beharrlichkeit, seine Fähigkeit, strategisch zu denken, aber auch seine Herrschsucht, seine messianische Selbstgerechtigkeit und seine Verachtung für jene kurzsichtigen Sterblichen, die den Fehler machten, sich ihm in den Weg zu stellen.

US-Journalist Ron Chernow in seiner Biografie "Titan"

Monopole und Kartelle waren in den früh industrialisierten Ländern weit verbreitet. In Europa gab es sogar viele staatliche Monopole. Große Teile der Elite waren davon überzeugt, dass Monopole und Kartelle eine effiziente Art der Wirtschaftsorganisation sind. Auch Rockefeller, der Studierenden erklärte: „Das Wachstum großer Unternehmen ist lediglich das Überleben des Fähigsten (…), das Gesetz der Natur, das Gesetz Gottes.“
Eine Karikatur, die den Standard-Oil-Präsidenten John D. Rockefeller als "König der Welt" zeichnet.
Monopole und Kartelle waren in den früh industrialisierten Ländern weit verbreitet - Standard-Oil-Chef Rockefeller wusste das ganz besonders für sich zu nutzen.© Getty Images / Bettmann Archive
Aber er hilft den Naturgesetzen und Gott auch immer etwas nach, indem er heimliche und unfaire Bündnisse schmiedet, um seine Ziele zu erreichen. Mehrere Unternehmen aus der Öl- und Transportbranche bilden Ende 1871 einen mächtigen Trust: Die South Improvement Company. Von den 2000 Aktien hält die Gruppe Geschäftsleute um Rockefeller 900.

Mächtiger Trust: South Improvement Company

Zwei Zwecke verfolgen die Beteiligten. Sie wollen den ruinösen Preiskampf der Fernbahnen beim Transport von Öl beenden. Dazu wollen sie die Ölfracht gleichmäßiger auf die Pennsylvania Railroad, die Erie Railroad und die New York Central Railroads verteilen. Und sie wollen die Produktionsmenge von raffiniertem Öl begrenzen. Denn damals gibt es ein erhebliches Überangebot an Verarbeitungskapazitäten. Das drückt den Preis.
Mit der Bildung zweier Kartelle – eines auf der Seite der Eisenbahnen und das andere aufaeiten der Ölverarbeiter – sollen die Probleme beider Seiten gelöst werden, zulasten der nicht beteiligten Firmen und der Endverbraucher.

Eine von Rockefellers Stärken in Verhandlungssituationen war, dass er herausfand, was er wollte und was die andere Partei wollte, und dass er für beide Seiten vorteilhafte Bedingungen aushandelte. Anstatt die Eisenbahnen zu ruinieren, verhalf Rockefeller ihnen zum Erfolg, wenn auch auf eine Weise, die seine eigene Position stärkte.

Biograf Ron Chernow

Man einigt sich in geheimer Absprache. Aber das Arrangement findet den Weg in die Öffentlichkeit. Am 26. Februar 1872 kann man in der Zeitung lesen, dass sich die Frachtraten für Öl über Nacht verdoppeln würden. Alle müssten den neuen Preis zahlen, außer einigen wenigen Betreibern von Raffinieren aus Cleveland, Pittsburgh und Philadelphia, welche alle mit einer Schattenfirma verbunden seien: der South Improvement Company.
Protest bricht sich Bahn. Eindrücklich beschreibt ihn die berühmte Journalistin Ida Tarbel 30 Jahre später in ihrer 19-teiligen Serie über Standard Oil.

Innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Bekanntgabe der Erhöhung der Frachtraten fand im Opernhaus von Titusville eine Massenversammlung von dreitausend aufgeregten, gestikulierenden Ölmännern statt. In der Menge befanden sich Produzenten, Makler, Raffineure, Bohrer und Pumpenarbeiter. Ihre Stimmung zeigte sich an den Mottos auf den Transparenten, die sie trugen: ‚Nieder mit den Verschwörern‘ – ‚Kein Kompromiss‘.

Journalistin Ida Tarbel über die Proteste gegen die Kartelle

Ida Tarbel zeigte in ihrer Reihe im Magazin „McClure“ schonungslos die Schattenseiten des Monopolkapitalismus auf. Sie selbst hatte das Geschehen als Teenager vor Ort erlebt, als die unabhängigen Förderer und Verarbeiter von Öl die South Improvement Company als „Monster“ verfluchten.

Rockefeller ist zweigleisig gefahren

Dabei tätigt die Gesellschaft kein einziges Geschäft. Denn die Behörden heben nach wenigen Monaten im April 1872 ihre Zulassung auf. Die unabhängigen Unternehmer jubeln.
Rockefeller triumphiert. Stillschweigend. Denn er ist zweigleisig gefahren.
Allein die Existenz der South Improvement Company und die Berichte über deren Geschäftsvorteile hatte unbeteiligte Betreiber von Raffinerien in Angst und Schrecken versetzt. Deren Panik nutzt Rockefeller schonungslos aus und kauft im Februar und März 1872 reihenweise Raffinerien in Cleveland auf - 22 von 26 Betrieben.

In der Tat war die Standard Oil Company der einzige Konzern, der von dem kurzlebigen Unternehmen profitiert hatte. Ihr Geschäft hatte sich in den wenigen Monaten zwischen der Gründung und dem Ende der Verschwörung mehr als verdreifacht.

Journalistin Ida Tarbel

Rockefeller kontrolliert nun die Verarbeitung von Öl in der Region, deren Bedeutung für die globale Ölindustrie damals ähnlich groß war wie die von Saudi-Arabien für den Ölmarkt unserer Tage.

Es war wirklich der erste große Schritt auf John D. Rockefellers Marsch zur industriellen Vorherrschaft. Denn sobald er das Monopol über die Raffinerien in Cleveland hatte, zog er weiter und tat dasselbe in Pittsburgh, Philadelphia, Baltimore, New York und den anderen Raffineriezentren. Das war also der entscheidende Wendepunkt in seiner Karriere, und es war gleichzeitig eine der beschämendsten Episoden seiner Laufbahn.

Biograf Ron Chernow

Standard Oil erobert Märkte und unterläuft Gesetze.
Wer damals in den USA ein Unternehmen gründen will, braucht eine Genehmigung des jeweiligen Bundesstaates. In mehreren Staaten gleichzeitig darf ein Unternehmen damals nicht tätig sein.
Rockefeller umgeht das Verbot. Er gründet Firmen in unterschiedlichen Bundesstaaten. Am Ende sind es 34.

Spürbare Folgen des Monopolkapitalismus

„Die Amerikaner haben sich damals über die Macht von Standard Oil aufgeregt. Je nachdem wie man den Markt definiert, hat die Firma 90 Prozent des Marktes oder mehr kontrolliert.“ Der Journalist Barry Lynn war Chefredakteur des Magazins „Global Buisness“ in Washington. Dabei beschäftigte er sich viel mit den bis heute spürbaren Folgen, die die Herausbildung des Monopolkapitalismus im Gilded Age für die Menschen hatte und mit ihrer daraus resultierenden Wut auf das System. “Sie fühlten, dass dies ausbeuterisch war. Sie sahen die Grundprinzipien des amerikanischen demokratischen Systems verletzt.“
1890 reagiert die US-Politik mit einem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs.
Ökonom Tomaso Duso: „Der Sherman-Act ist die Geburtsstunde der Wettbewerbspolitik, nicht nur in den USA, sondern überall in der Welt. Da zum ersten Mal wurde formalisiert, in einem Gesetz formalisiert, dass der Versuch Märkte zu monopolisieren illegal war. Das war neu.“
Senator John Sherman im Schwarz-Weiß-Porträt
Senator John Sherman, Namensgeber eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs.© picture alliance / World History Archive
Der Namensgeber und US-Senator John Sherman fürchtete: Ohne eine Begrenzung der Macht der Konzerne würden die Sozialisten stärker werden.
„Der Sherman-Anti-Trust-Act ist das erste Bundesgesetz, das sich auf die Größe und Struktur von Unternehmen mit Ausnahme von Eisenbahnen konzentrierte. Der Gedanke war, dass viele Unternehmen viel zu groß geworden waren und in Kartellstrukturen operierten oder sich so zusammengeschlossen haben, dass sie einen ganzen Markt kontrollieren. Ziel war eine solche Art von Machtkonsolidierung zu verhindern und in einigen Fällen deren Auflösung zu erleichtern“, sagt Barry Lynn.
Zunächst geschieht wenig.
"Das Problem war“, so Barry Lynn weiter, „dass das ursprüngliche Gesetz sehr vage gehalten war. Die sehr konservativen Gerichte dieser Zeit haben es schnell in ein Instrument verwandelt, mit dem die Eigentümer der großen Unternehmen in der Lage waren, die organisierte Arbeiterschaft und Genossenschaften der Landwirte anzugreifen.“

Sherman-Act wirkt sich gegenteilig aus

Ein Schock war für Arbeiterinnen und Arbeiter die Entscheidung im Fall „Regierung gegen E. C. Knight Co.“ von 1895. Die Richter stuften das Zuckerimperium zwar als Produktionsmonopol ein. Trotzdem griff der Sherman-Act ihrer Ansicht nach nicht, weil die Firma kein übergeordnetes Handelsgewerbe sei. Stattdessen erachteten es die Richter aber als möglich, dass Streiks über mehrere Bundesstaaten hinweg, als Gesetzesverstoß gegen den Sherman-Act angesehen werden könnten.
„Die Auswirkungen des Gesetzes waren das Gegenteil von dem, was die Menschen erwartet haben und die Verfasser gewollt hatten“, sagt Barry Lynn.
Die höchsten Gerichte schwächten die Arbeiterklasse anstatt die Monopol-Kapitalisten.
“Es dauerte lange, bis sich die Rechtsprechung dahingehend änderte, dass die Bundesregierung in den zwischenstaatlichen Handel eingreifen darf. Aber ich denke, es gibt auch eine Geschichte zu erzählen, wie der US-Supreme-Court darum kämpft, die richtigen Regeln für die Anwendung des Kartellrechts gegen große Unternehmen zu finden. Es blieb eine große Ungewissheit hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage bis zur New-Deal-Periode in den 1930er-Jahren“, sagt Laura Philips Sawyer.

Rockefeller im Mittelpunkt der Monopol-Debatte

Rockefeller hält die Forderungen nach einer Zerschlagung von Standard Oil anfangs für folgenloses Wortgeklingel. Dabei steht der Milliardär im Mittelpunkt der Debatte um die Macht von Monopolen.
Die Journalistin Ida Tarbell hat sich mit Standard Oil ein gutes Beispiel herausgesucht, um der Öffentlichkeit die Macht der Monopole zu zeigen. Dabei hilft ihr der Zugang zu einem Topmanager von Standard Oil, sagt der Historiker Axel Jansen.
„Er plauderte dann auch ganz offen und erzählte ihr von den verschiedenen Strategien, die das Unternehmen anwendete, auch um Konkurrenten teilweise zu zwingen, sich den Vorgaben von Standard zu beugen. Also gerade auch die geheimen Strukturen, die geheimen ‚Machenschaften‘, könnte man sagen, des Unternehmens, die in der Öffentlichkeit nicht so bekannt waren.“
Die Berichte schlagen ein wie eine Bombe.
„Das baute dann in der Öffentlichkeit schon sehr viel Druck auf, warum? Weil das rührte an Grundfesten der Überzeugung der amerikanischen Wirtschaft, die eigentlich so funktionieren sollte, dass jeder dort seinen Weg gehen können sollte. Es wurde aber sehr deutlich, dass ein Verhalten wie dasjenige von Standard Oil, einen freien Marktzugang natürlich verunmöglichte. Das baute so viel öffentlichen Druck auf, dass wiederum die Politik reagieren musste“, sagt Axel Jansen.
Obwohl der Journalistin auch Fehler unterlaufen, schweigt Rockefeller zu den schweren Vorwürfen. Was hätte er auch sagen sollen?

Der Hauptgrund für Rockefellers Schweigen war, dass er nicht nur ein paar von Tarbells Behauptungen abstreiten konnte, ohne zuzugeben, dass viele andere wahr waren. Denn hinter den eingestreuten Irrtümern lag ein harter Kern von Wahrheit.

Biograf Ron Chernow

Schließlich entschließt sich die US-Regierung für die Zerschlagung von Standard Oil.

Zerschlagung von Standard Oil

„Das waren in dem Fall Theodore Roosevelt und andere, die dann Standard auch vor Gericht brachten. Aber dem nicht genug, es musste natürlich auch der Supreme Court letztlich mitspielen. Erst als der Supreme Court, die Entscheidung der amerikanischen Behörden aufrechterhielt, Standard Oil zu zerschlagen, das war im Jahr 1911, erst dann war sozusagen wirklich eine Entscheidung getroffen worden, dass Standard ja auf diese Weise nicht würde weiter machen können“, sagt Historiker Axel Jansen.
Aber wie soll man den riesigen Konzern zerlegen?
“Was können wir damit machen? Sollten wir ihn vertikal aufteilen? Sollten wir die Produktion vom Transport trennen. Man meinte schließlich, dass es am einfachsten sei, Standard Oil einfach an den Staatsgrenzen aufzulösen. Zu diesem Zeitpunkt war es in 34 Staaten tätig, deshalb ist es in 34 Teile zerlegt worden“, sagt Barry Lynn.

Rockefeller profitiert von juristischer Niederlage

Aber selbst noch von dieser juristischen Niederlage profitiert John D. Rockefeller.
Der Aktienkurs der Firma sinkt wegen der Zerschlagung. Rockefeller nutzt das, um Aktien im großen Stil zu kaufen. Es lohnt sich. Denn bald setzt der Siegeszug des Autos ein.
„Das Automobil, aber natürlich auch Lkws und auch in der Landwirtschaft werden zunehmend Maschinen verwendet, die mit Öl getrieben sind, also zum Beispiel Schweröl in Schiffen oder in großen Maschinen, auch in Lokomotiven oder eben Benzin in Automobilen und in landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Das sind natürlich enorme Märkte, die sich da aufgebaut haben, also zwischen 1900 und 1920 hat sich sozusagen die gesamte Wirtschaft da einmal umgedreht und man hat das Erdöl in ganz andere Produkte transformiert und verkauft“, sagt Axel Jansen.
“Das Mittel der Zerschlagung von Firmen, insbesondere im Fall von Standard Oil, war damals relativ unwirksam. Rockefeller hielt weiter Treffen in seinem New Yorker Hauptquartier ab, bei denen alle Teile des Unternehmens vertreten waren. Mit der Zeit kam es dann zu erneuten Zusammenschlüssen bei den Ölraffinerien“, erklärt Laura Philips Sawyer.
In gewisser Weise macht Rockefeller also weiter wie bisher. Trotzdem hat der Eingriff positive Folgen für den Wettbewerb.
Ökonom Tomaso Duso: „Zum Beispiel hat man nach der Spaltung Markteintritte beobachtet und neue Unternehmen – Gulf und Texaco – sind in den Markt eingetreten. Es ist klar, dass man denkt, dass diese Aufspaltung eine Auswirkung auf den Wettbewerb in dem Markt hatte und viele sagen, dass das auch so eine treibende Kraft für die Expansion des gesamten Markts war und auch für die Innovation.”

Mächtige Erben von Standard Oil

Die Erben von Standard Oil blieben mächtig.
Als sieben Schwestern gehen die sieben westlichen privaten Ölkonzerne in die Annalen ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg drei Jahrzehnte lang den Weltmarkt beherrschten. Drei davon sind Nachfolgeunternehmen von Standard Oil. Am mächtigsten davon ExxonMobil. Es ist – gemessen am Umsatz – das sechstgrößte US-Unternehmen und der weltweit zweitgrößte Ölkonzern. Es entstand 1999 aus den beiden Ex-Gesellschaften von Standard Oil: Standard Oil of New Jersey und Standard Oil Company of New York.
Aufnahme einer ExxonMobil-Tankstelle in Houston, Texas, USA. Der Exxon-Schriftzug ist deutlich zu erkennen.
ExxonMobil: Das mächtigste Nachfolgeunternehmen von Standard Oil.© Getty Images / Brandon Bell
Heute sind von den sieben Schwestern nur noch vier übrig: ExxonMobil, Chevron, Royal Dutch Shell und BP. Diese Konzerne sind immer noch groß und mächtig. Aber der größte Ölkonzern der Welt ist ein staatliches Unternehmen: Saudi Aramco macht sechsmal mehr Umsatz als ExxonMobil.
Die US-Wettbewerbsbehörden zerschlagen später noch andere Unternehmen. In den 1980er-Jahren den Telekommunikationsriesen AT&T. Anfang der 2000er-Jahre einigte sich die Softwareriese Microsoft mit den Wettbewerbshütern. Aber seitdem gibt es für große Konzerne kaum noch Gegenwind in den USA, im Gegenteil.
Die kritische Sichtweise auf Monopole wurde zu einer Minderheitenmeinung. Monopole galten wieder als unbedenklich, wenn sie Verbraucher mit günstigen Produkten versorgten. Der Maßstab zur Beurteilung verengte sich wieder auf den Preis. Die Gefahren der Machtkonzentration in den Händen weniger für die Demokratie und die anderen Schattenseiten der Monopole spielten keine Rolle mehr. So wie im Gilded Age.

„The Antitrust-Paradox“ ändert Sicht auf Kartelle

Einen entscheidenden Impuls für die Rolle rückwärts gab der Jurist Robert Bork aus der neoliberalen Kaderschmiede in Chicago. 1978 publizierte er das Buch „The Antitrust-Paradox“.
“Es war unglaublich einflussreich, und ich denke, dass die Wissenschaftler und Anwälte, die in dieser Zeit im Kartellrecht tätig sind, alle damit aufhören und mit der Lektüre des Buches begannen. Denn er hat wirklich versucht, die Art und Weise, wie wir über die Absichten des Kongresses in Bezug auf das Sherman-Kartellgesetz denken, neu zu gestalten, und das ist ihm größtenteils gelungen“, sagt Laura Philips-Sawyer.
„Ich würde fast sagen, dass besonders in den USA, man von einer wettbewerbspolitischen Ära vor Bork und einer wettbewerbspolitischen Ära nach Bork reden kann“, bekräftigt Tomaso Duso.
Mächtige Männer wie Ronald Reagan in den USA und mächtige Frauen wie Margret Thatcher in Großbritannien setzen Bork‘s Ideen in Politik und Richter setzten sie in Recht um. Megafusionen folgen.

Heute herrschen Google, Amazon und Co.

Später entstehen mit der Digitalisierung neue marktbeherrschende Großunternehmen: Google, Facebook, Amazon und Co.
Die neoliberalen Vordenker und Politiker erklären, wenn es den Reichen lang genug gut geht, sickere der Wohlstand nach unten in die Gesellschaft durch. Trickle Down nennen sie diesen Effekt. Wissenschaftlich belegt wird er nie.
Stattdessen geht die Schere zwischen Reichen und Armen wieder auseinander wie im Gilded Age.
Barry Lynn schreibt in den 90er-Jahren viel über die Vorteile der globalen Arbeitsteilung. Schließlich könnten deretwegen die Menschen in den USA immer billiger einkaufen. Dann bebt 1999 in Taiwan die Erde und manche Gewissheit von Lynn löst sich gleich mit auf.
„Ein paar Tage nach dem Erdbeben in Taiwan wurden alle Fließbänder in Kalifornien, Texas, Europa und China stillgelegt. Denn das Erdbeben hatte den Transport von Halbleitern aus Taiwan zu all diesen Fabriken in der ganzen Welt unterbrochen. Mit anderen Worten: Die gesamte Produktion einer bestimmten Art von Halbleitern war an einem einzigen Ort auf der Welt konzentriert worden“, sagt Barry Lynn.

Pandemie zeigt Abhängigkeiten auf

Was würde passieren, wenn die Chinesen Taiwan angreifen, fragt sich Lynn. Könnten sie damit die gesamte amerikanische Computerproduktion lahmlegen?
Konsequenzen zieht damals keiner.
Zwei Jahrzehnte später demonstriert die Pandemie, welche Folgen die Abhängigkeiten von wenigen großen Anbietern haben können. Erneut sind viele überrascht, als in den USA und Europa wichtige Teile fehlen und die Produktion in vielen Bereichen wegen fehlender Chips zurückgefahren werden muss. Und die Gefahr eines Angriffs von China auf Taiwan ist geblieben.
Anfang der 2000er-Jahre machte Barry Lynn mit Büchern und Artikeln auf das Problem von Monopolen aufmerksam. Aber die Resonanz ist gering. Er kündigt, geht zu einem liberalen Think Tank. Dort bekommt er selbst die Macht von Konzernen zu spüren. Der Think Tank feuert ihn, nachdem er die Verhängung einer Rekordstrafe durch die EU-Kommission an Google gelobt hat. Er gründet einen eigenen Think Tank. Eine seiner Mitarbeiterin wird die Juristin Lina Khan.
Sie hatte schon während ihres Studiums für Aufsehen in der Fachwelt gesorgt, mit ihrem Aufsatz „Amazon‘s Antitrust Paradox“. Präzise arbeitet sie heraus, wie sich das Unternehmen für eigene Produkte auf der eigenen Plattform Vorteile gegenüber dritten Anbietern verschaffte. Ihr Fazit: Monopole sind gefährlich für die Wirtschaft, selbst wenn sie Waren zu niedrigen Preisen verkaufen.

Warnungen finden mehr Gehör

Mit der Zeit finden die Warner mehr Gehör. 2016 treffen sie die demokratische Senatorin Elizabeth Warren und einige Monate später horcht Barry Lynn bei einer Rede von ihr auf.
„Das erste Mal, dass ich dachte, dass wir wirklich vorankommen, war im Juni 2016. Und das war, als Senatorin Warren eine Rede hielt, eine wirklich wichtige Rede. Sie sprach über die Gefahren, die von der extremen Konzentration von Macht, von Kontrolle und Kapazität ausgehen. Sie sprach darüber in ganz anderen Worten, sie sprach von einer Bedrohung unserer Freiheit, von einer Bedrohung der Demokratie.“
US-Präsident Joe Biden machte Lina Khan sogar zur Chefin der US-Wettbewerbsbehörde. Die US-Wettbewerbshüter haben Klagen gegen Google und Facebook eingereicht. Eine Zerschlagung der Digitalriesen scheint nicht ausgeschlossen.
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