Robert Omar Hamilton kritisiert Ägyptens Regime

"Eine Atmosphäre der permanenten Paranoia"

Ein Wahlplakat für den ägyptischen Präsidenten Abdel-Fattah el-Sisi in Kairo.
Trotz der Repression im Land: Omar Robert Hamilton gibt die Hoffnung auf einen Wandel nicht auf. © dpa-Bildfunk / AP / Nariman El-Mofty
Von Cornelius Wüllenkemper · 27.03.2018
Die Repression unter Ägyptens Machthaber Al-Sisi ist schlimmer als je zuvor, meint der Schriftsteller Omar Robert Hamilton. Dennoch glaubt er: Die Revolution ist nicht am Ende, wir haben nur eine Schlacht verloren.
Mitte Januar 2018. Endlich hat die Verbindung nach Kairo geklappt, mithilfe einer verschlüsselten Sprach-App. Ein normales Telefonat hatte Omar Robert Hamilton als zu unsicher abgelehnt. "Die Revolution ist unaufhaltsam. Das Einzige, was sie tun können, ist, den Stecker zu ziehen, die Leitung zu kappen", so steht es in seinem Revolutionsroman "Stadt der Rebellion". Und genau das ist passiert. Nach dem Machtatritt von Ägyptens Alleinherrscher Abd al-Fattah as-Sisi 2014 haben sie den Stecker gezogen.
"Eine der Regierungsmaßnahmen besteht darin, das Internet so weit wie möglich zu blockieren. Rund 400 Webseiten haben sie gesperrt, VPN-Verbindungen sind blockiert, Skype ist blockiert. Seit drei Jahren versuchen sie, die Online-Welt unter ihre Kontrolle zu bringen, durch Überwachung und Sperrung. Kritische Blogs oder Online-Magazine sind offline."
Omar Robert Hamilton wurde 1984 als Kind einer Literaten-Familie in London geboren. Kurz nach der Revolution, im Sommer 2011 zog der Journalist und Filmemacher nach Kairo. Er rief das Medienkollektiv "Mosireen" ins Leben, das die gewalttätigen Konfrontationen zwischen Staatsgewalt und den Demonstranten dokumentiert. Wenige Tage vor unserem Telefonat stellten die Aktivisten ihr gesamtes Archiv aus der Revolutionszeit online – als "Gedächtnis des Volkes", wie Hamilton sagt. Filmen in der Öffentlichkeit? Unmöglich, die Polizei verhaftet uns sofort, ist er sich sicher. Der Jahrestag der Revolution in einigen Tagen? Abgesagt, meint Hamilton lakonisch.

Immerhin: Das Schreiben können sie nicht verbieten

"Letztes Jahr haben sie im Vorfeld des Jahrestages 10.000 Wohnungen durchsucht und den gesamten Bereich um den Tahrir-Platz abgesperrt. In diesem Jahr wird nichts passieren. Die politischen Gräben im Land sind einfach zu tief."
Immerhin, das Schreiben können sie nicht verbieten, meint Hamilton. Seine Mutter Ahdaf Soueif veröffentlichte 2014 bereits eine Revolutionschronik, und seine Frau Yasmine El-Rifae hat soeben ihren Bericht über sexistische Aggressionen auf dem Tahrir-Platz fertiggestellt. Im letzten Jahr ist Hamiltons viel beachteter Revolutions-Roman in England erschienen. Die Übersetzungen auf Französisch, Italienisch, Niederländisch und auf Deutsch verkaufen sich äußerst gut.
Kurz vor seiner Buchpremiere in Deutschland treffen wir uns dann persönlich in einem Café in Berlin-Wilmersdorf: dunkles Jackett, geschmeidiges Auftreten, freundlich zugewandt. Wie waren die letzten Wochen in Kairo? Wie ergeht es einem Autor, der das as-Sisi-Regime offen kritisiert?
"Der ägyptische Staat schafft eine Atmosphäre der permanenten Paranoia. Niemand weiß, wo die roten Linien genau verlaufen, wann du Probleme bekommst und wann du im Knast landest. Wenn du ganz sicher sein willst, musst du einfach schweigen. Es wäre sinnlos für mich darüber nachzudenken, ob ich gerade konkret bedroht bin. Ich mache einfach meine Arbeit. Meine Lesungen in Kairo waren die besten überhaupt, mit vielen guten Fragen und Diskussionen. Natürlich erreiche ich mit der englischen Version des Romans nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht. Deswegen arbeiten wir jetzt mit Hochdruck an der Übersetzung ins Arabische."

Alaa Abd El-Fattah sitzt seit Jahren im Gefängnis

Der 34-Jährige ist ein charmanter, äußerst aufgeweckter Gesprächspartner von britischer Höflichkeit. In der Sache bleibt er hart: Sein Cousin, der Blogger Alaa Abd El-Fattah, sitzt seit Jahren im Gefängnis, ohne Besuchsrecht. Hamilton versteht sich explizit als politischer Autor. In Deutschland will er über die Unterstützung des ultra-autoritären as-Sisi-Regimes durch die Bundesregierung sprechen. Um 77 Prozent sind die Rüstungsausfuhren nach Ägypten im letzten Jahr gestiegen. Thyssen baut U-Boote, Siemens Kraftwerke für einen Alleinherrscher, der Menschenrechte mit Füßen tritt.
"Nicht durch die Terroristen fühle ich mich in Kairo bedroht, sondern durch die Antwort, die der Staat darauf gibt. Man nutzt die Bedrohung durch Terroristen als Vorwand, um jeden Gedanken an Freiheit im Keim zu ersticken. Dabei schafft die Unfreiheit erst Terrorismus. Die jungen Leute, die zu den Waffen greifen, sind von politischen Entscheidungen komplett ausgeschlossen, es gibt keinerlei demokratische Teilhabe mehr."
Über diese Dinge wird am Abend auf der Buchpräsentation in Berlin nicht gesprochen, Fragen aus dem Publikum sind nicht vorgesehen. Immerhin, mit seinem Roman hat Omar Robert Hamilton die Träume des Arabischen Frühlings und die umso repressivere Reaktion der Staatsautorität wieder ins westliche Bewusstsein geholt. Wie geht es weiter? Sind die Präsidentschaftswahlen in Ägypten ein Hoffnungsschimmer?

Es brodelt im Untergrund

"Ganz bestimmt nicht! Für wen sollte ich denn stimmen? Es gibt nur einen Kandidaten, as-Sisi. Alle Gegenkandidaten sind im Gefängnis oder haben nach massiven Drohungen ihre Kandidatur zurückgezogen. Der einzige offizielle Gegenkandidat hat letzte Woche auf seinem Facebook Account gepostet, dass er selbst as-Sisi unterstützt!"
Sagt Hamilton am Rande der Lesung bei einem Glas Wein. Auf Kairos Straßen herrscht Totenstille, und doch brodelt es im Untergrund. Die nächste Etappe der Revolution wird nicht mit Demonstrationen auf der Straße beginnen, schiebt der Autor verschwörerisch hinterher, bevor er zum Signiertisch geht, an dem seine deutschen Fans auf ihn warten.
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