Ritual und Zauber

27.07.2012
Bekannt geworden ist Marie Pohl mit "Maries Reise". In ihrem neuen Buch sucht sie diesmal auf der ganzen Welt nach Geistern und Gottheiten. Es ist eine Reise zu unseren Wurzeln geworden: Eine Suche nach dem Spirituellen, nach dem Unsichtbaren, nach dem, woran Menschen glauben.
Mit "Maries Reise" veröffentlichte Marie Pohl vor zehn Jahren ein Buch über das Leben junger Menschen Anfang 20. Sie war dafür zwischen Helsinki und Jerusalem unterwegs, immer auf der Suche, wie es damals hieß, "nach den interessantesten Vertretern meiner Generation". Sie schrieb über jene, die im nachideologischen, pragmatischen Zeitalter groß geworden waren, die unaufgeregt global dachten.

Nun hat die Autorin erneut eine Reise unternommen, diesmal aber mit einem anderen Ziel. Sie sucht nach dem Spirituellen, nach dem Unsichtbaren, nach dem, woran Menschen glauben und was sie vergöttern. Es ist eine "Geisterreise". Wobei sie uns mit parapsychologischem Humbug verschont und sich lieber den Göttern und Geistern verschiedener Kulturen nähert. Wieder ist die Erzählerin der Autorin sehr nahe. Auch hier ist es eine Marie, die von Berlin aus die Welt erkundet, die aus ihrer Perspektive schreibt.

Sie bewegt sich unter anderem zwischen Kuba, Mexiko, Ghana, Irland und New York. Auf Kuba wird sie in das Dämonen-Vertreibungs-Ritual einer Santeria-Priesterin hineingezogen, in einem einsamen irischen Landgut trifft sie auf die Geister der entbehrungseichen irischen Geschichte, in Ghana versucht sie die Kraft eines Fetisch-Priesters zu erkennen und lernt dabei ein völlig neues Zeitgefühl, in Mexiko führt sie eine Abenteuerreise auf einen Vulkanberg mit Zauberkräften und in New York trifft sie Geisterjäger, die daraus ein Geschäft machen, andere von ihren Ängsten und Dämonen zu befreien.

Die Erzählerin will unbedingt jene Geister finden, die symbolhaft an scheinbar versunkene Dinge erinnern: an die große Liebe, an das Lebensglück, an verlorene Bindungen zu Eltern, Freunden und Geliebten. Aber auch an so etwas wie die Geschichte politischer Befreiungskämpfe - in Irland, aber ebenso in Ghana.

So nimmt die Erzählerin Umwege in Kauf, die über die Geistergeschichten zu den tieferen Schichten derer vordringen, die sie besucht. Und letztlich vom Jenseitigen zum Diesseitigen führen. Sie selbst ist bei alldem sehr offen, zuweilen naiv. Marie taucht in diese fremden Welten ein, versinkt in ihnen und taucht erst zum Ende der Geschichten wieder auf. Meistens erst, wenn sie wieder am Flughafen steht.

Marie Pohl trifft in den meisten Geschichten einen schwebenden, leichten und atmosphärischen Ton - dann aber verliert sie ihn auch wieder. Das Buch ist literarisch zu inkonsistent, um als Ganzes zu überzeugen. Zuweilen neigt sie zu sehr zum Informativen - es ist ja nicht als Sachbuch über lokale Götter-und Geisterkulte angelegt. Der Lerneffekt ist groß, aber sie vernachlässigt dabei den literarischen Ton ihrer Reise.

Bei allen Einschränkungen: Marie Pohls Buch ist ein im Kern überzeugender Geschichtenband, der uns auf die abenteuerliche Welt-Reise einer hochsensiblen Erzählerin mitnimmt und uns Geistergeschichten auf eine Weise nahe bringt, dass wir sie auch dann verstehen, wenn wir nicht an Geister glauben.

Besprochen von Vladimir Balzer

Marie Pohl: Geisterreise
S. Fischer, Frankfurt/Main 2012
336 Seiten, 17,99 Euro
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