Rindermast in Brandenburg

Bauern lernen beim Kuhflüsterer

Hausrind (Bos primigenius f. taurus), Charolaises und Limousin-Rinder zusammen auf einer Weide
Rinder sind nicht immer so gemütlich und umgänglich, wie sie auf der Weide aussehen. © imago / blickwinkel
Von Anja Nehls |
Im vergangenen Jahr wurden 6000 Bauern bei Unfällen mit Rindern verletzt: Wenn zum Beispiel die jungen Bullen von den Kühen getrennt werden sollen. Das muss nicht sein, weiß Philipp Wenz, der sich in die Tiere hineinfühlen kann - und Landwirte in Brandenburg berät.
Das besonders hohe Muh kommt von Bulli. Ein Halbstarker. Eine wollige Mischung aus Uckermärcker und Charolais. Zusammen mit seiner Mutter, 70 Halbgeschwistern, deren Müttern und seinem Vater Wilson lebt er auf einer riesigen Weide in Brandenburg. Seit gestern haben er und sieben seiner Kumpels einen roten Punkt auf dem Hintern. Sie sind auserwählt – für den Mastbetrieb. Ihr Besitzer Gerald Bredereck steht am Zaun und erklärt, wie das bisher so ablief:
"Acht Rinder, Absetzer, aus der Herde nehmen, also einzelne Tiere aus der Hede separieren. Früher haben wir das mit viel Aufwand, mit Pferden, vielen Leuten, sehr laut und ungeduldig gemacht."
Das soll sich jetzt ändern. Und hier kommt Phillip Wenz ins Spiel. Er will für ein stressfreies Miteinander zwischen Bauer und Kuh sorgen. Als Kuhflüsterer gewissermaßen. Die Jungbullen lassen sich nämlich nicht freiwillig für den Mastbetrieb fangen, wo sie später zu Biosteaks werden. Deshalb werden sie häufig von den Bauern in die Enge getrieben, ein Fehler, meint Philipp Wenz:
"Dann greifen die Tiere an, nicht weil sie aggressiv sind, sondern weil sie Angst haben, weil sie sich in die Ecke gedrängt fühlen, weil sie keinen Ausweg mehr sehen und sich verteidigen. Angriff als Verteidigung."
Konflikte mit den Rindern vermeiden
Über 6000 verletzte Bauern gab es deshalb im vergangenen Jahr, acht derartige Unfälle endeten tödlich. Vor vier Jahren waren es noch 1300 Unfälle weniger – und das, obwohl die Zahl der Rinderhalter höher war. Wie Bauern Konflikte mit den Kühen vermeiden können, weiß der studierte Agraringenieur Philipp Wenz. Auf das richtige Treiben kommt es an - eine Wissenschaft.
Wenz hat sie von einem Viehzüchter Bud Williams in Texas gelernt. Jetzt gibt er als "Kuh-Versteher" Seminare in halb Europa. Vor der Praxis kommt die Theorie.
Kreide quietscht über eine grüne Schultafel. Davor sitzen sechs gestandene Mannsbilder, Bauern, Mitarbeiter von Landwirt Gerald Bredereck. Kuhflüsterer Wenz erklärt wie man Bulli und Co. ohne Hilfsmittel – nur mittels Körpersprache genau dahin bugsiert, wo man sie haben will:
"Wenn man ein einzelnes Tier aus der Herde rausholt, dann kann man sehr deutlich das Gefühl haben, das ist ein Balancieren, weil man merkt schon ein kleines Stückchen hier nach links, lässt das Tier nach rechts weichen und ein kleines bisschen nach rechts vom Menschen lässt das Tier nach links gehen."
Jedenfalls theoretisch. Praktikant Sascha ist misstrauisch:
"Also da waren jetzt mehrere Sachen dabei, wo ich gedacht habe, wie soll das klappen."
Der Anfang klappt reibungslos
Zunächst klappt es prima. In knapp zehn Minuten haben Wenz und Bredereck nur mit Körperbewegungen Bulli und seine 150 Verwandten von der Riesenweide in einen kleineren umzäunten Koral getrieben. Ganz ohne Stress, denn der schadet der Kuh und damit dem Bauern:
"Damit fressen die Tiere weniger, nehmen weniger zu, geben weniger Milch und ein Tier, das abnimmt, ist ein Tier, das letztendlich krank wird."
Bulli und die anderen rot markierten sollen also hier im Koral von den anderen getrennt werden und dann durch einen Gang in einen Transportanhänger marschieren. Alle anderen dürfen durch eine kleine Gittertür wieder in die Freiheit. Klingt simpel, ist es aber nicht.
"Und jetzt sehen sie, da oben sind die Zuschauer und wir sind hier. Da sind die Tiere zwischen uns, was sie gar nicht mögen: Diese Linie, da gehen die Tiere nicht drüber."
Bauer Brederecks Leute stehen auf einem Traktoranhänger vor dem Koral. Männer, die auf Kühe starren, Kühe, die auf Männer starren. Wenz geht hin und her und vor und zurück. Nutzlos. Kein Rindvieh bewegt sich, in den kleinen Gang schon gar nicht. Die Männer auf dem Traktor grinsen:
"Sein Plan war es ja, die Kälber von den Kühen zu separieren, aber das traut er sich ja gerade auch nicht mehr. Kann sein, dass die Herde ihn nicht kennt, dass es deswegen ist, dass wir gerade stören. Er dachte wohl, es geht zügiger, aber es sieht nicht so aus."
Die Herde macht kehrt
Im Gegenteil, die Herde macht kehrt und verzieht sich in die hinterste Ecke des Korals. Es schüttet. Bulli verschwindet in der wabernden nassen Fellmasse. Nach einer gefühlten Ewigkeit fasst sich ein Rindvieh ein Herz:
"Wenn die Tiere laufen einfach zugucken und sich freuen",
sagt Philipp Wenz und freut sich. Bredereck und seine Leute freuen sich auch. Plötzlich setzen sich die Kühe in Bewegung. Zwar nicht getrennt von Bulli und Co., aber sie laufen. Jetzt muss Landwirt Bredereck blitzschnell sein. Als er Bulli sieht, knallt er die Gattertür zu.
Der Weg in die Freiheit ist versperrt. Also läuft Bulli weiter geradeaus, direkt in den Anhänger für den Mastbetrieb. Geschafft. Nach drei Stunden stehen endlich acht halbstarke Rinder im Hänger. Theoretisch funktioniert die Methode des Kuhflüsterers aber prima, findet Gerald Bredereck:
"Da waren natürlich viele Faktoren, die jetzt abgelenkt haben bei dem Ganzen. Wir haben gelernt, dass Theorie und Praxis doch nicht immer ganz identisch sind. Es muss noch schneller gehen."
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