Freilaufende Rinder

Von Manuel Hoffmann |
Manche sprechen bei sogenannten Laufställen für Rinder von "Kuh-Wellness": Wer als Bauer künftig Bio-Milch anbietet, muss bis Ende nächsten Jahres seine Kühe in einem Laufstall unterbringen - das sieht die EG-Öko-Verordnung vor. Viele Landwirte sind den Schritt bereits gegangen.
Keine Kuh muht. Das ist das Erste, was auffällt um 20 vor 6 in der Früh, alle Rinder sind ruhig und brav. Die 46 braun-weiß gefleckten Kühe von Bauer Nikolaus Franzl haben die Nacht im Freien verbracht, auf der Weide. Jetzt macht er das Tor zum Laufstall auf.

Bauer Nikolaus Franzl: "So, die stehen jetzt da an. Da haben wir einen Vor-Warteraum zum Melken. Wenn sie dann durch den Melkstand durch sind, haben sie die Möglichkeit, auf dem Futtertisch Futter zu holen."

Der neue Melkstand ist das Herzstück des Stalles. Ein Raum so groß wie eine Autowerkstatt, aus schlichtem grauen Beton. In der Mitte eine fast mannshohe Grube, rechts und links laufen die Kühe freiwillig in die Melkboxen. Wenn der Bauer in der Grube steht hat er die Euter auf Augenhöhe. Aber so friedlich wie jetzt sind die Kühe nicht immer an ihre Plätze getrottet:

"Der erste Tag ist der Katastrophentag, bis die dann reingehen wollen. Da sind fünf bis acht Leute dagewesen, die mitgeholfen haben. Wir haben auch im Warteraum eine Nachtreibhilfe draußen: Man kann am Melkstand auf einen Knopf drücken, die Kühe werden dann ein bisschen vorgeschoben, aber den brauchen wir fast gar nicht mehr, weil die recht gern zum Melken gehen."

"Die Kühe gewöhnen sich, wenn sie im neuen Laufstall sind"
Hightech im Bio-Stall. Acht Kühe können simultan gemolken werden, Bauer Franzl muss nur das Melkzeug auf die Zitzen setzen. Dann erledigt die Maschine vom Typ Multilactor den Rest:

"Das ist eine ziemlich neue Melktechnik, mit dem wird das genau nachsimuliert, wie ein Kalb am Euter der Kuh trinken täte. Ich mach jetzt das Euter sauber, damit danach die Keime nicht in der Milch sind."

Ohne Handarbeit geht's also trotz aller Technik nicht. Bäuerin Brigitte Franzl übernimmt normalerweise das Melken und ist froh über die moderne Unterstützung.

Brigitte Franzl: "Das ist von der Handhabung her auch besser… Immer runterbuckeln, dann siehst du es nicht, dann kriegt man den Schwanz wieder rüber. Also es ist schon angenehmer."

Eine Stunde brauchen die Franzls, um im neuen Melkstand alle 46 Kühe zu melken. Seit die Wiederkäuer im Laufstall leben, hat der Landwirt das Gefühl, dass es ihnen besser geht.

Nikolaus Franzl: "Ein gutes Zeichen ist auch, wenn man nach dem Melken merkt, dass keine einzige Kuh in den Melkstand geschissen hat, dass es der Kuh beim Melken schon taugt, dass das nichts ist, was die gar nicht will. Von den 46 Kühen hat keine reingeschissen. Als wir das erste Mal im Melkstand waren, da scheißt jede drei Mal."

Eine Kuhputzmaschine für den Wellnessbereich
Inzwischen sind alle Kühe gemolken, jetzt haben die Tiere Freizeit. Anders als die düsteren, geduckten Ställe von früher ist der neue Stall riesengroß, hell und offen. Das Gebäude war mal eine Maschinenhalle und das sieht man ihm noch an: auf einer Seite steht das Dach auf Stelzen, statt einer Wand haben die Rindviecher ein Riesen-Panoramafenster ohne Glasscheibe vor sich.

Die Kuh hat die Wahl: Sich auf Stroh betten, durch den Stall oder den betonierten Außenbereich laufen, Fressen oder Saufen. Und nicht wie bei der sogenannten Anbindehaltung: Angekettet in Reih und Glied stehen und warten, bis es wieder Auslauf gibt.

Ständig Ausmisten, das bleibt dem Bauern jetzt erspart. Die Kühe verrichten ihr Geschäft wo auch immer im Stall sie wollen. Von einer Zeitschaltuhr gesteuert fährt ab und an ein Metallschieber alle Laufwege ab und schiebt die Gülle in ein Auffangbecken.

Nikolaus Franzl: "Der fährt ganz langsam, die Kühe gewöhnen sich, wenn sie im neuen Laufstall sind, relativ schnell dran, dass der ab und zu unter den Haxen durchfährt. Wie man sieht: die beachten den zwar, am Anfang hüpfen sie schon drüber oder flüchten."

Heute ist von Flucht nichts zu spüren. Eher ein kleiner Hupfer und dann wieder gelangweiltes Wiederkäuen. Hinter all dem steht der Wunsch, das Leben der Milchkühe so angenehm wie möglich zu gestalten. Die EG-Öko-Verordnung schreibt genau vor, wie viel Platz jede Kuh im Laufstall zur Verfügung haben muss und wie groß die Auslauffläche sein soll.

Eine Milchkuh hat zum Beispiel Anrecht auf mindestens sechs Quadratmeter Stallfläche. Dazu kann jeder Bauer den Stall noch mit Extras ausstatten: an einer Ecke hat Nikolaus Franzl zwei grüne Plastikbürsten an einem Elektromotor angebracht, wie eine Auto-Waschstraße im Miniaturformat.

Nikolaus Franzl: "Das ist der Wellness-Bereich der Kühe, das ist eine Kuhputzmaschine. Die Kuh, die geht da hin und wenn die die Bürste bewegt, dann fängt die selbst zum Laufen an und kann sich die Kuh kraulen, wo es sie gerade juckt. Da steht jede Kuh am Tag einmal dort."

Mehrere hunderttausend Euro hat die Familie Franzl in den Laufstall investiert. Vom Freistaat Bayern gab‘s 30 Prozent der Gesamtsumme als Subvention dazu. Trotzdem: Nicht alle Bekannte von Nikolaus Franzl wollen den Schritt ebenfalls gehen - von der Anbindehaltung zum Laufstall.

Nikolaus Franzl: "Der Skeptiker, der sagt halt: ‚Meinst du schon, dass du das Geld wieder kriegst, was du ausgibst?‘ Jetzt bist du angehängt, jetzt kannst du nicht mehr aus. Aber das wissen wir selbst, dass wir jetzt nicht mehr aus können, jetzt haben wir die Investition gemacht. Ich sehe das positiv, man muss nach vorne schauen und nicht sagen ‚Oh scheiße, jetzt haben wir gebaut!‘"

Nach einer guten Stunde sind die Franzls mit dem ersten Schwung Stallarbeit durch. Jetzt gehen sie rüber ins Haus, Frühstück mit den beiden Schulkindern. Auch dafür ist der neue Stall gut, es geht alles ein bisschen schneller.