Richter im NSU-Prozess hat "richtigen juristischen und moralischen Kompass"

Barbara John im Gespräch mit Ute Welty · 30.07.2013
Es sei zu spüren, "mit welchem Ernst und mit welchem Aufwand dieser Prozess geführt wird", lobt Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl vermittle den Eindruck, dass die Juristen wirklich zu einer Schuldzuweisung kommen wollten.
Ute Welty: Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und noch mindestens 130 Verhandlungstage. Der Prozess in München gegen Beate Zschäpe, Carsten S. und Holger G. hatte im Mai begonnen, begleitet von Umständen, die viele als unwürdig beschrieben. Das umstrittene Akkreditierungsverfahren machte es zum Beispiel notwendig, dass der Prozessbeginn verschoben werden musste. Heute nun wird der Prozess für die Sommerpause unterbrochen und heute nun wird es Zeit für eine Zwischenbilanz, die wir jetzt mit Barbara John ziehen, der Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer. Guten Morgen, Frau John.

Barbara John: Guten Morgen, Frau Welty.

Welty: Zu Beginn des Prozesses haben Sie sich sehr kritisch geäußert, auch hier im Deutschlandradio Kultur, vor allem wegen der beschriebenen Verschiebung. Fällt Ihr Urteil heute etwas milder aus?

John: Ja, es fällt anders aus, weil inzwischen der Prozess ja voll läuft. Ich habe auch beobachten können, war ja auch dabei, wie Hinterbliebene am Anfang am Prozess teilgenommen haben. Das war unglaublich wichtig für sie, sie haben ja noch nie einen großen Strafprozess erlebt, geschweige denn einen Prozess, in dem sie selbst als Opfer, als Hinterbliebene eine Rolle spielen. Vor allem war es natürlich der Auftritt von Beate Zschäpe. Wird sie eine Geste des Bedauerns haben oder wird sie sich in irgendeiner Form mal an die Angehörigen wenden? Das war natürlich nicht der Fall und ich glaube, dass war die größte Enttäuschung, die bisher da war.

Welty: Wie gehen die Angehörigen denn damit um?

John: Ja, also so, wie wir alle damit umgehen würden. Natürlich, sie können das gar nicht verstehen, da ist ein solcher Graben. Auf der anderen Seite reden wir ja immer mit ihnen, auch ihre Anwälte, dass das bei diesen Taten und bei dieser angeklagten Mittäterin eigentlich gar nicht anders zu erwarten war. Was aber auch wichtig ist, ist, dass sie gespürt haben, als sie dabei waren, mit welchem Ernst und mit welchem Aufwand dieser Prozess geführt wird. So viele Anträge, so viele Zeugenvernehmungen. Also, ich glaube, sie wissen schon, dass die Bundesrepublik und besonders jetzt auch die Juristen in München den Fall wirklich klären wollen und zu einer Schuldzuweisung kommen wollen.

Welty: Viele Angehörige nehmen ja inzwischen am Prozess nicht mehr teil, aus Zeit- und auch aus Geldgründen. Welche Folgen hat das?

John: Ja, also, die Geldgründe sind nicht die, dass das Aufenthaltsgeld nicht bezahlt werden kann. Das haben wir durch Spenden aus den Kirchen in Bayern ja bekommen, dafür bin ich außerordentlich dankbar. Aber es ist natürlich ein Zeitproblem. Viele arbeiten ja, und was wir ihnen geben müssten, das wäre ein Ersatz, also ein Einkommensersatz. Und das ist dann doch eine Summe, die zu hoch ist und die nicht geleistet werden kann. Und die anderen haben einfach ihre Pflichten, ihre Familien, ihre kleinen Kinder, ihre pflegebedürftigen Eltern und was da alles dazu kommt.

Außerdem ist es so, was sie am meisten interessiert, sind natürlich die Tatorte, in denen sie selbst irgendeine Rolle gespielt haben, das heißt, wo der Brand war, das Attentat war, wo die Bombenleger zugelangt haben oder wo ihr Angehöriger erschossen worden ist. Und das ist ja nur einmal oder zweimal in einer Woche, da werden sie auch hinfahren. In der nächsten Woche wird der Fall … oder jetzt beginnt gerade der Fall – Turgut verhandelt, und Herr Turgut aus der Türkei wird da auch sein, er ist extra angereist.

Welty: Ist mit den Angehörigen richtig thematisiert worden, was dieser Prozess leisten kann und was nicht, dass zum Beispiel die Ermittlungspannen eben nicht Gegenstand des Verfahrens sind?

John: Ja, das ist immer wieder mit ihnen besprochen worden. Und es ist ja nicht so, dass das gar keine Rolle spielt. Zwar nicht mit bohrenden Fragen, mit politischen Fragen, warum dieses und jenes, sondern in den Zeugenvernehmungen, gerade mit den Ermittlungsbeamten, Polizei, Verfassungsschutz kommt ja immer wieder heraus, dass eben nur bestimmte Dinge beachtet worden sind und dass besonders heftig dann auch auf die Familien zugegangen wurde, ob sie nicht irgendetwas damit zu tun haben. Also, Sie merken schon, indirekt ist das immer wieder ein Thema.

Barbara John (CDU), Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer
Barbara John (CDU), Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer© picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke
"Der Prozess wird bis Ende 2014 dauern"
Welty: Im Zentrum der Berichterstattung steht Richter Manfred Götzl. Die einen sagen, er ist präzise, die anderen sagen, er verzettelt sich. Wie wird er von den Angehörigen wahrgenommen?

John: Ich denke, das ist schwer zu durchschauen für sie. Also, wer das sagt, das sind ja die Gerichtsjournalisten, und natürlich die Nebenklägeranwälte, deren Beruf es ist, sich dauernd solchen Verfahren auszusetzen. Wenn man zum ersten Mal in einem solchen Prozess ist, dann ist das sehr schwer zu beurteilen: Geht er nun sehr zügig vor, fasst er die Dinge zusammen oder verliert er sich zu sehr im Detail? Also, ich glaube, dass er einen richtigen juristischen und moralischen Kompass hat, und das ist, glaube ich, ganz wichtig auch bei dem Prozess. Also warten wir es ab, ich würde ihm noch viel mehr Zeit geben, um ein Urteil zu fällen. Der Prozess ist am Anfang, er wird bis Ende 2014 dauern und wahrscheinlich noch darüber hinausgehen. Also, das zieht sich noch hin.

Welty: Barbara John, die Ombudsfrau für die Angehörigen der NSU-Opfer. Ich danke für dieses Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur.

John: Ich danke Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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