Beate Zschäpe ist ein Beispiel für die "Banalität des Bösen"

Wolfgang Wieland im Gespräch mit Marietta Schwarz · 10.07.2013
Die Angeklagte Beate Zschäpe bekomme im NSU-Prozess eine mediale Aufmerksamkeit, die ihr angesichts von zehn Morden nicht zustehe, sagt der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland. Er hoffe, dass sie im Laufe der Verhandlungen ihr Schweigen breche und sich zur Motivation der Täter äußere.
Marietta Schwarz: Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München hat gestern die Beweisaufnahme im Mordfall Enver Simsek begonnen und wird heute fortgesetzt. Enver Simsek war das erste Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Der Blumenhändler wurde im September 2000 auf einem Parkplatz in der Nähe von Nürnberg erschossen, und insbesondere seine Tochter Semiya Simsek war vor Beginn des Prozesses immer wieder präsent in der Öffentlichkeit. Sie hat den NSU-Opfern so etwas wie ein Gesicht gegeben.

Ein besonderer Fall also im Prozess, dieser Fall Simsek, und gestern war auch ein besonderer Gast im Gerichtssaal, nämlich der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland, Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Herr Wieland!

Wolfgang Wieland: Guten Morgen!

Schwarz: Wie ist denn Ihr Eindruck von diesem Prozess nach dem gestrigen Gerichtstag?

Wieland: Na ja, es war gestern wohl für die Münchner Verhältnisse ein sehr entspannter Gerichtstag. Das klingt jetzt komisch, aber die sonst üblichen Gefechte zwischen Verteidigung und Gerichtsvorsitzendem und zwischen Nebenklage und Gerichtsvorsitzendem waren sehr reduziert auf ein Minimum. Das heißt, es wurden diverse Zeugen in einer an sich sehr sachlichen Prozessatmosphäre gehört.

Die Umstände, das Drumherum, dieser Gerichtsbunker, das kann man nur mit "furchtbar" bezeichnen, und ein fensterloser Raum, immer noch viel zu klein, immer noch ist der Andrang sowohl der Journalistinnen und Journalisten als auch der Zuschauer groß. Und wenn man mal drin ist, steht man unter ständiger Beobachtung, das ist fast wie in einem Gefängnishof. Also nicht so schön, dort arbeiten zu müssen, aber sehr eindrucksvoll, es sich mal angesehen zu haben.

Schwarz: Wie ist es denn, wenn man, wie Sie, Hunderte, ja Tausende Seiten zu diesem Fall gelesen hat und dann die Angeklagte Beate Zschäpe da vorne stehen sieht?

"Es ist schlimm, es ist trist, es ist banal"
Wieland: Na ja, das ist genau ein sehr kritischer Punkt, muss ich Ihnen sagen. Also das Interesse nach wie vor, insbesondere auch der Fotografen, der Kameraleute ist auf Beate Zschäpe gerichtet, und sie hat dann ihren verhandlungstäglichen Auftritt sozusagen, reinzukommen in den Saal, sich umzudrehen und dieser Schar der Bildreporter den Rücken zuzudrehen.

Sie bekommt dadurch als Person eine Bedeutung, die ihr meines Erachtens gar nicht zusteht. Man wird sich wirklich damit abfinden müssen, dass wir hier in die Nähe von Hannah Arendt kommen, dass wir hier wirklich einen Fall der "Banalität des Bösen" haben, dass also ein ganz banales Verhalten einer vergleichsweise jungen Frau und ganz schreckliche Mordtaten direkt nebeneinander liegen und man in das Verhalten und in das Leben von Beate Zschäpe eigentlich wenig hineingeheimnissen kann. Es ist schlimm, es ist trist, es ist banal.

Schwarz: Aber es vollzieht sich ja da zumindest in der medialen Öffentlichkeit auch ein Wandel: Am Anfang wurde die Angeklagte Beate Zschäpe als Monster bezeichnet, jetzt scheint sie sich ja langsam wieder so zum Mensch zurückzumutieren. Kritiker wie etwa der Anwalt der Nebenkläger meinen, dass dieser Prozess auf jeden Fall zu täter-fixiert sei – geben Sie ihm recht?

Wieland: Nein, gebe ich ihm nicht recht. Es geht ja nicht anders. Also wir hatten die Rolle, im politischen Raum aufzuklären, die vielen Untersuchungsausschüsse, die wir ja haben, im Grunde festzustellen, was ist falsch gelaufen bei den staatlichen Institutionen? Wie konnte es zu dieser Fülle gravierender Fehler kommen?

Das Gericht muss die Schuld der einzelnen Täter feststellen und dann zu der Frage kommen, sind sie und wie sind sie zu bestrafen? Das ist die originäre Aufgabe eines Strafgerichts. Sie schreiben nicht Zeitgeschichte. Das ist vielleicht ein Nebenprodukt, aber man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich mit den Tätern beschäftigen.

Sie müssen natürlich, und da sind Lernschritte möglicherweise schon passiert oder in Zukunft noch zu machen. Sie müssen auch auf die Interessen der Opfer sehen, auch Opferschutz ist eine Aufgabe in diesem Zusammenhang. Hier sind es die Familien der Opfer vor allen Dingen, deren Belangen man Rechnung tragen muss. Sie sind aber mit vielen Anwältinnen und Anwälten dort vertreten, die auch aktiv eingreifen. Das heißt, wir kommen nicht umhin, dort findet ein Strafprozess statt. Und das kann man niemandem vorwerfen, das kann man vor allen Dingen auch dem erkennenden Gericht nicht vorwerfen.

Schwarz: Der NSU-Untersuchungsausschuss, der hat ja seine Beweisaufnahme inzwischen abgeschlossen. Könnte dieser Prozess gegen Beate Zschäpe Erkenntnisse bringen, die der Ausschuss nicht lieferte? Wenn sie spricht.

Zschäpe dreht der Presse am 11. Prozesstag den Rücken zu
Zschäpe dreht der Presse am 11. Prozesstag den Rücken zu© picture alliance / dpa / Andreas Gebert
"Es ist ihr Recht, zu schweigen, sie muss nicht reden"
Wieland: Sicherlich. Das erhoffen wir uns auch. Also das für uns Erfreulichste wäre es, wenn Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht. Es ist ihr Recht, zu schweigen, sie muss nicht reden, aber es würde an Erkenntnissen eine Menge, insbesondere, was die Motivation der Täter angeht, was die subjektive Seite angeht, eine Menge an Erkenntnissen bringen.

Wir hatten ja schon den Fall des bis dato nicht erkannten versuchten Anschlags mit der Bombe in der Taschenlampe in einer Nürnberger Bar. Mit weiteren Überraschungen muss man rechnen, und eigentlich ist es kein gutes Zeichen für unsere Sicherheitsbehörden, dass sie sich von so was nur noch überraschen lassen müssen, dass man diesen Fall mit der Taschenlampenbombe nicht schon längst einbezogen hatte und zugerechnet hatte dem Trio.

Von daher haben wir nie gesagt, mit unserem Untersuchungsausschuss haben wir alle weißen Felder abgedeckt, sondern wir schreiben in unserem Untersuchungsbericht, der gerade in der Arbeit ist, der spätestens Anfang September dann auch vorgestellt und debattiert werden wird, schreiben wir auch sehr deutlich, wo wir noch nichts wissen.

Nur, anders als beim Strafgericht war unsere Zeit von Anfang an begrenzt auf das Ende der Legislaturperiode, das heißt, wir konnten nicht so großzügig, wie es jetzt das OLG in München gemacht hat, das ganze nächste Jahr durchterminieren und sagen, wie machen das bis 2014, sondern wir machen es bis September dieses Jahres und dann wird der neue Bundestag sich überlegen müssen, ob es noch reicht, einen neuen Untersuchungsausschuss dann einzusetzen. Das wird die Frage sein, wie viel Erkenntnisgewinn kann er sich noch versprechen?

Schwarz: Beobachtungen zum NSU-Prozess. Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland, Sprecher für Innere Sicherheit in der Fraktion und Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss. Herr Wieland, danke Ihnen für das Gespräch!

Wieland: Ich bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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