Richard Dawsons Album "2020"

England im Angstzustand

06:02 Minuten
Richard Dawson singt auf der Bühne.
Richard Dawson tritt auch unter den Pseudonymen Hen Ogledd oder Eyeballs auf. © Picture Alliance / Photoshot
Von Till Kober · 13.11.2019
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Richard Dawson ist ein experimenteller Folkmusiker mit verblüffendem Gitarrenspiel und scheinbar nie enden wollenden Melodiebögen. Sein neues Album "2020" ist trotz aller Sperrigkeit Dawsons bisher melodischstes Werk und handelt von traurigen Themen.
Richard Dawson ist ein sehr zurückhaltender, höflicher und runder Mann mit Vollbart und Nickelbrille. Beginnt er aber auf der Bühne zu singen und seine verrückt gestimmte Gitarre zu spielen, bleibt nicht mehr viel vom ersten Eindruck übrig. Dawson schreit, flüstert, singt im höchsten Falsett und zupft oder malträtiert sein Instrument, und das alles mit einer sehr rohen Virtuosität.
Auf früheren Alben wie "The Magic Bridge" behandelte Richard Dawson auf zarte Weise den Übergang vom Leben in den Tod, auf dem Album "Peasant" wiederum versetzt er uns ins Königreich Bryneich 700 nach Christus und beschreibt dort detailliert über sechs Minuten den Vorgang der Wollefärbung zu jener Zeit.

"Erklären möchte ich eigentlich nichts"

Das neue Album "2020" widmet sich einem England im Angstzustand und klingt nach Prog-Rock. Wo sieht denn Richard Dawson die Unterschiede und die Parallelen bei all diesen so unterschiedlichen Alben?
"Erklären möchte ich eigentlich nichts, aber ich kann sagen, meine Alben sind alle das gleiche Tier, aber gleichzeitig ein anderes Biest. Das Ziel ist immer, möglichst wahrhaftig und direkt zu sein, aber das ist nicht immer möglich. Manchmal muss es eben fürchterlich drum herum geredet und verschwommen sein. "2020" ist aber wirklich ein sehr direktes Album, wie ich finde."
Auf "2020" sind Dawsons Geschichten in der Gegenwart angekommen, eigentlich gleichen sie eher Gesprächsprotokollen als Liedtexten. Richard Dawson schafft es, mit wenigen Worten ganze Biografien entstehen zu lassen, er erzählt uns von frustrierten Beamten mit Mordfantasien, joggenden Freelance-Grafik-Designern mit Angststörungen und in einer besonders anrührenden Geschichte treffen wir einen Lagerarbeiter, der im Akkord die Dinge verpackt, die wir alle dauernd im Internet bestellen.
"Ich muss so dringend auf die Toilette, aber wenn ich gehe, verpasse ich mein Arbeitsziel, also pinkle ich in eine Flasche. Wenn ich mit dem Zug am frühen Morgen nach Hause schleiche, ist eigentlich nichts mehr von mir übrig. Ein kleines Frühstück, eine Weile schlafen, dann geht es wieder los."

Perspektive anderer Leute einnehmen

"2020" vollbringt sogar ein kleines Wunder, denn Dawsons Geschichten schlagen sich auf keine Seite, sie sind ungefiltert und er sagt uns auch nicht, wie es eigentlich laufen müsste. Ihm ist es egal, ob die Charaktere seiner Geschichten für oder gegen den Brexit sind, Tory oder Labour oder Nichtwähler, er lässt sie einfach erzählen:
"Es stimmt, ich beziehe keine Position. Eine meiner Überzeugungen, wie wir alle besser miteinander leben können, ist zu versuchen, die Dinge aus der Perspektive anderer Leute zu sehen. Das scheint mir gerade wirklich sehr, sehr entscheidend zu sein. Ich glaube nicht, dass Schwarz-Weiß-Denken jemals wirklich genau sein kann. Moralische, persönliche und politische Fragen haben doch viel mehr Graustufen."
Es tut gut, diese Themen auf so eine behutsame Art behandelt zu hören. Dawsons Lieder haben dabei eine spirituelle, verbindende Seite, als wären sie Teil eines Gesangbuches einer alten, vergessenen Religion aus Newcastle und es macht Sinn, wenn er sie als "rituelle Gemeinschaftsmusik" bezeichnet. Was noch bleibt, ist die Frage nach den eigenen Ängsten: Fürchten Sie sich vor der Zukunft, Richard Dawson?
"Der Widerspruch ist einer der Urkräfte des Universums, meiner Meinung nach. Ich kann also viele Dinge gleichzeitig sein. Ich würde also sagen, ich habe sehr große Angst und gleichzeitig habe ich vor gar nichts Angst. Aber vor allem habe ich Hoffnung für die Zukunft."
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