Rhythmus im Blut

Wie Gene unser Taktgefühl prägen

06:24 Minuten
 Illustration: Junges Paar tanzt Swing, Lindy Hop, Rock n Roll.
Swing-Rhythmen sind populär, vor allem in der westlichen Welt. Sie kommen sehr stark an natürliche Bewegungsmuster heran. © Getty Images / iStockphoto / Inna Artanova
Von Simon Schomäcker · 06.10.2022
Audio herunterladen
Sich zu Musik bewegen, rhythmisch klatschen: Nicht alle Menschen können das gleich gut. Aber woran liegt das? Ein international besetztes Forschungsteam hat kürzlich bestätigt: Dass wir überhaupt ein Gefühl für Takt besitzen, liegt in unseren Genen.
Oliver Zier aus Gelsenkirchen hat ein Ziel: Techniken vermitteln, die ohne viel Kraft ein präzises Schlagzeugspiel ermöglichen. Doch das geht nur, wenn seine Schülerinnen und Schüler sich intuitiv auf den Takt der Musik einlassen können.
„Ich sage immer gerne zu einem Schüler, der Probleme hat, die Eins zu finden: Du kannst die Eins nicht einfangen“, erzählt er. „Und das ist es: Den Schüler daraufhin zu trainieren, dass er sich zurechtfindet im Takt und fühlt, wann die Eins kommt, wann der Takt beginnt, und nicht rät oder versucht: Da war sie und wenn ich jetzt schnell noch mal spiele, dann habe ich sie im nächsten Takt erwischt.“

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Rhythmen sind zwar erlernbar. Aber das grundsätzliche Gespür für Takte verdanken wir unseren Genen, sagt der Kognitionswissenschaftler Nori Jacoby. Er arbeitet am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main – und forscht mit einem international besetzten Team zur genetischen Architektur unseres Taktgefühls.
„Wir haben 600.000 Personen online befragt, ob sie zu einem Rhythmus klatschen können. Das sollten sie mit Ja oder Nein beantworten. Anschließend haben wir die Leute wirklich zu einem Musikstück klatschen oder auf dem Tisch klopfen lassen und das Ganze mit einer Spezialsoftware analysiert“, erklärt er. „Das Ergebnis zeigte uns, dass die Leute, die unsere Forschungsfrage mit Nein beantwortet hatten, tatsächlich keine exakten rhythmischen Bewegungen ausführen konnten.“

Die genetische Takt-Architektur ist komplex

Die Projektgruppe wollte daraufhin herausfinden: Welche Rolle spielen dabei die genetischen Anlagen? Einfach lässt sich die Frage nicht beantworten. Denn es stellte sich bald heraus: Die genetische Architektur des Taktgefühls ist derart komplex, dass sie mit einer einzigen Studie unmöglich entschlüsselt werden kann.
Immerhin ließen sich bereits 69 Genvarianten ausfindig machen, die unser Taktgefühl mit beeinflussen.
„Was wir herausgefunden haben ist, dass viele der von uns erfassten Varianten in der Nähe von Genen liegen, die an neuronalen Funktionen der Rhythmus-Erzeugung beteiligt sind. Das bestätigten uns Vergleiche mit Studien, in denen die Gehirnaktivität beim Musizieren gemessen wurde“, sagt der Forscher.

Ein weiterer sehr interessanter Befund ist, dass es Genvarianten gibt, die neben dem musikalischen Taktgefühl auch bei biologischen Rhythmen wie Atmen oder Gehen eine Rolle spielen.

Nori Jacoby, Kognitionswissenschaftler

Schlagzeuglehrer Oliver Zier wusste bis dato nicht, wie dieser Zusammenhang entsteht. Aber gesehen hat er ihn schon immer – und er macht häufig darauf aufmerksam.
„Wenn ich dann Schüler habe, die es nicht schaffen, rechts-links-rechts-links zu spielen, dann lasse ich die manchmal aufstehen und sage denen: Gehe mal vier Schritte geradeaus“, erzählt er. „Dann lasse ich sie mal beobachten, was sie gemacht haben. Sie haben den rechten vor den linken Fuß gesetzt und nicht zweimal rechts. Dieses natürliche Bewegungsmuster zu übertragen, das ist der erste Schritt. Und danach geht es meistens besser.“
Ein paar Kilometer entfernt liegt die Tanzschule von Claus Berges. Seine Vorliebe gilt dem Stepptanz. Schon in unserem normalen Gang liege viel Rhythmus, sagt der Tanzlehrer.
„Um den Leuten zu erklären, wie locker sie sein müssen, sage ich: Geht normal durch den Raum und dann hört sich das so an“, erklärt er und präsentiert den Sound. „Wenn ich jetzt einfach den Fuß wegschmeiße, muss ich viel weniger tun und habe aber was sehr viel Schöneres als Ergebnis. Das kann man halt gut einbauen. Je weniger die Menschen das auseinandernehmen wollen und darüber nachdenken wollen, desto leichter kommen sie auch an den Rhythmus dran.“

Swing-Rhythmen besonders eingängig

Meistens reicht es den Kursteilnehmenden schon, den Rhythmus vorher zu klatschen oder zu singen, um ihn zu verinnerlichen. Sehr leicht fällt das vielen Leuten übrigens mit Swing-Rhythmen.
Diese kommen nämlich sehr stark an unser natürliches Bewegungsmuster heran. Das könnte wiederum erklären, warum Jazz und Rock ’n’ Roll, die auf Swing aufbauen, schnell zum Tanzen anregen.
Swing-Rhythmen sind vor allem in der westlichen Welt populär. In afrikanischen oder asiatischen Ländern etwa herrschen andere rhythmische Vorlieben – was sich auf das Taktgefühl auswirkt, sagt Kognitionsforscher Nori Jacoby.

Eine Studie aus dem Jahr 2005 brachte das interessante Ergebnis, dass einjährige Kinder schon typische Rhythmus-Strukturen der Musik verinnerlichen, die in ihrer Kultur gespielt wird. Die Gene sind also dafür verantwortlich, dass wir überhaupt ein Taktgefühl besitzen. Aber wie wir es anwenden, hängt auch stark von unserer Umwelt ab.

Nori Jacoby

Folgestudien sollen diese Befunde weiter auseinandernehmen. Denn die Forschenden möchten die genetischen Einflüsse auf unser Taktgefühl noch genauer verstehen.
Mehr zum Thema