Jon Fosse: „Ein neuer Name“

Im Mahlstrom der Gedanken

06:42 Minuten
Das Cover des Romans "Ein euer Name" zeigt den Romantitel auf einem Klecks weißer Farbe. Die Farbe ist auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie einer Landschaft aufgebracht.
© Rowohlt

Jon Fosse

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel

Ein neuer NameRowohlt Verlag, Hamburg 2023

303 Seiten

22,00 Euro

Von Peter Urban-Halle · 13.12.2023
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Zwei Maler namens Asle stehen im Zentrum des Romans „Ein neuer Name“ des Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse. Deren Geschichte erzählt der Autor in einem magischen Bewusstseinsstrom. Inspiration lieferte ihm dabei der Mystiker Meister Eckhart.
Vor zehn Wochen erhielt der Norweger Jon Fosse den Nobelpreis für Literatur. Nun liegt auch seine „Heptalogie“, vielleicht sein Opus magnum, vollständig auf Deutsch vor: die Geschichte von zwei Malern, die beide Asle heißen, von ihren persönlichen Problemen, von ihren Kolleginnen und Gefährtinnen und ihrem Galeristen. Und nicht zuletzt von Gott.
Fosses siebenteiliges Stationendrama hat eine dänische Kritikerin als Adventskalender für die letzte Woche vor Heiligabend verstanden, jeder Band ein Türchen bis zum 24. Dezember. Oder man liest es wie die sieben Tage der Schöpfung, nur dass hier ein Mensch durch die unermüdliche, atemlose Erzählung seiner Geschichte erschaffen wird. Es geht um den Icherzähler, Witwer und Maler Asle, der oft von seinem Haus am Fjord ins nahe gelegene Bjørgvin (d.i. Bergen) fährt, um seinem Galeristen Beyer Bilder zu liefern, die sich gut verkaufen.

Schreibend sich selbst entkommen

Asle begegnet Orten und Personen, welche die Vergangenheit heraufholen, und die wichtigste dieser Personen ist ein anderer, ein zweiter Asle, der im Jetzt im Krankenhaus liegt. Er ist schwer alkoholkrank und schwebt zwischen Leben und Tod. Auch er ist Maler, er hatte einst den ersten Asle sogar zur Kunst gebracht, weil er dessen Talent erkannte.
Die beiden Asle sind eine Art Doppelgänger, denn sie tragen denselben Namen und sehen gleich aus. Der eine leidet an Depression, der andere an Alkoholismus, es sind im Grunde zwei Seiten einer einzigen Person. Beide Seiten, so Fosse, trage er in sich, aber er wolle kein Bild von sich zeichnen, sondern „sich selbst entkommen“.

Die „stumme Stimme“ der Bilder

Wir werden noch einmal an das Andreaskreuz erinnert, das perfekte Bild vom Anfang. Wie nebenher erfahren wir, was gute Kunst ist: Bilder, die sich im Kopf festsetzen, sodass die Welt rundum verschwindet.
Gute Bilder haben eine „stumme Stimme, die spricht“. Zugleich ist es ein Buch der Auferstehung. Nicht nur durch die Erwähnung Jesu Christi, auf dessen Geburtstag das Buch zuläuft, sondern auch durch das Wiedererscheinen der toten Ales, Asles Frau.
Im Grunde ist die einzige Logik dieses Mahlstroms der Gedanken, sich endlos zu drehen und mitgerissen zu werden, wenn man sich ihm überlässt. Es ist ein magischer Bewusstseinsstrom, der dem Tod begegnet, wo dieser unwichtig geworden ist.

Beeinflusst von Meister Eckhart

Deutlich wird, wie sehr Fosse vom Mystiker und Philosophen Meister Eckhart beeinflusst ist. Ähnlich wie dieser mit seinen Predigten strebt Fosse einen Neuanfang an: Er will, wie Eckhart es nennt, einen „Durchbruch in das Sein, in dem ich war, bevor ich war“. Gleichzeitig ist all sein Schreiben von Eckhart’scher „Abgeschiedenheit“ geprägt, die nichts anderes bedeutet, als von sich selbst frei zu werden.
Eine kleine Beigabe zur Heptalogie ist Fosses neuester Text, die Erzählung „Ein Leuchten“. Ein guter Einstieg, um seinen mahlenden, sermonhaften Stil kennenzulernen.
Um der Leere zu entfliehen, fährt ein Mann im Auto ziellos durch die Gegend – buchstäblich ins Nichts. Auf einem Waldweg bleibt er im Schnee stecken, er steigt aus und verirrt sich.
Eine weiße, leuchtende Gestalt erscheint. „Ich bin, der ich bin“, sagt die Erscheinung, es sind die Worte Gottes aus dem zweiten Buch Mose. Dann tauchen die Eltern auf, barfuß, und ein Mann im schwarzen Anzug, barfuß. Und ohne dass es gesagt wird, folgt der Mann der leuchtenden Gestalt in den Tod. Oder ins ewige Leben.
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