Hektor Haarkötter: „Küssen"

A Kiss is just a Kiss

04:55 Minuten
Zwei Frauen küssen sich, während sie eine Regenbogenfahne halten und ein Selfi machen.
"Ein Kuss ist nur ein Kuss" - so heißt es in dem Film "Casablanca". Und doch kann er so viel mehr sein. © picture alliance / Westend61 / Vira Simon
Von Andrea Gerk · 26.01.2024
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Der Kuss ist eine Mitteilung, die „keine andere Botschaft als sich selbst“ hat, schreibt der Kulturwissenschaftler Hektor Haarkötter. In „Küssen“ unternimmt er einen Streifzug durch die Geschichte und Theorie dieser berührenden Kommunikationsart.
In Frankreich ist es auf Bahnübergängen verboten, im italienischen Eboli darf man es nicht im Auto tun und in Eureka im US-Bundesstaat Nevada ist es Männern mit Schnurrbart untersagt: Das Küssen ist keine Selbstverständlichkeit, das zeigt der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Hektor Haarkötter, Professor an der Hochschule Rhein-Bonn-Sieg, in seinem neuen Buch „Küssen. Eine berührende Kommunikationsart“ nicht nur anhand von amüsanten Fundstücken wie diesen.
Nachdem Haarkötter bereits vor zwei Jahren mit seiner Kulturgeschichte des Notizzettels Sinn fürs scheinbar Unscheinbare gezeigt hat, unternimmt er jetzt einen Streifzug durch die Geschichte und Theorie einer Tätigkeit, die uns in ihren unterschiedlichen Spielarten durchs Leben begleitet.
Wobei er das Küssen weniger als Tätigkeit versteht, denn als Kommunikationsform: Der Kuss sei eine Mitteilung, die „keine andere Botschaft als sich selbst“ hat, so der Autor. Erst auf einer zweiten Ebene teile der Kuss auch anderes und anderen etwas mit. Denn auch für die Betrachter von Küssenden kann das Küssen eine enorme Wirkung haben, ohne dass sich ihnen erschließen würde, „was die Küssenden sich mit ihrem Küssen mitzuteilen hatten. Das bleibt Privatsache.“

Der Kuss in der Pop- und Filmgeschichte

Haarkötter erforscht seinen Gegenstand aber nicht nur kommunikationstheoretisch, vielmehr zeigt er, dass nicht überall auf der Welt geküsst wird. Er streift ausgiebig durch die Geschichte und stellt die eher entlegene Wissenschaft vom Küssen, die Philematologie vor. Dann wiederum stromert er durch die Popmusik, untersucht die Wechselwirkung des Küssens im Kino und auf der Leinwand, und erinnert an den ersten schwulen Fernsehkuss, den Robert Engel (gespielt von Martin Armknecht) und Carsten Flöter (alias Georg Uecker) 1990 in der 224. Folge der Lindenstraße austauschten, die dafür übelste Beschimpfungen und Bombendrohungen erhielten. Küssen kann also unglaubliche Energien freisetzen und das in vielerlei Hinsicht.

Ist das Küssen im Untergang begriffen?

Bei aller Vielfalt und Strahlkraft seines Gegenstands ist Hektor Haarkötter überzeugt, dass das Küssen längst im Untergang begriffen sei, womit er auch am Anfang des Buches den elegischen, von Abschiedsschmerz getragenen Ton seiner Abhandlung erklärt. Doch nur, weil wir häufiger vor unseren digitalen Endgeräten, statt im Kino sitzen oder uns per App statt bei der Arbeit kennenlernen, wird das Küssen ja nicht weniger reizvoll.
Abgesehen von dieser reichlich wackeligen These, schmälert leider auch die direkte Ansprache – „Sei geküsst, liebe Leserin!“ – mit der Haarkötter einen in eine Art Zwangsgemeinschaft nimmt, auf die Dauer das Vergnügen an dieser ansonsten materialreichen und originellen Kulturgeschichte des Küssens.
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