Retrospektive

"Er hat Berlin schätzen gelernt"

Helfer bauen am 21.03.2014 im Lichthof des Martin-Gropius-Baus in Berlin die Installation "Stools" von Ai Weiwei aus rund 6000 Hockern auf. Die weltweit größte Einzelausstellung des chinesischen Regimekritikers und Künstlers dauert vom 03.04. bis 07.07.2014.
Aufbau der Installation "Stools" von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Baus in Berlin. © Foto: Kay Nietfeld
Moderation: Liane von Billerbeck · 02.04.2014
Der Konzeptkünstler Ai Weiwei darf China zwar nicht verlassen, aber die Kritik an seinem Heimatland lässt er sich dennoch nicht verbieten. In der Ausstellung "Evidence" beschäftigt er sich mit den Missständen dort.
Liane von Billerbeck: Kein Chinese ist gegenwärtig so berühmt wie der Künstler Ai Weiwei – durch seine Kunst, aber auch, weil er der Dissident in China ist und eine der Ikonen der Jetztzeit, ein Twitterer, Aktivist, global aktiv, kurz: eine Weltmarke. Aber Ai ist vor allem einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart, oder? Wird der Versuch, ihn nur als Künstler zu sehen, durch seine politische Rolle und Ais Medienpräsenz beeinflusst? Das auch interessiert mich im Gespräch mit dem Kurator der großen Ai Weiwei Ausstellung. Gleichzeitig ist er der Direktor des Martin-Gropius-Baus in Berlin, Gereon Sievernich, und jetzt im Studio. Herzlich willkommen!
Gereon Sievernich: Vielen Dank für die Einladung.
von Billerbeck: Wer so eine große Ausstellung wie Sie vorbereitet und kuratiert, die Retrospektive eines Weltkünstlers, muss man ja sagen, der muss ihn und seine Kunst kennen, kennenlernen. Ai konnte nicht kommen, er hat ja von den chinesischen Behörden den Reisepass entzogen bekommen. Sie haben ihn in China besucht. Was für einen Menschen haben Sie erlebt?
"Ich bin sehr angetan von der Persönlichkeit"
Sievernich: Ich habe ihn vor anderthalb Jahren eigentlich zum ersten Mal kennengelernt. Wir haben vorher ein bisschen korrespondiert. Und ich muss sagen, ich bin sehr angetan von der Persönlichkeit und der Zusammenarbeit mit ihm. Das war wunderbar. Und man muss ja hinzufügen: Ai Weiwei kennt zwar Berlin, aber nicht den Gropius-Bau. Das heißt, ich musste ihm auch das Gebäude erklären und erläutern. Da er auch Architekt ist, hat er ein gutes Raumvorstellungsvermögen, und ich finde, es ist eine sehr schöne, sehr wichtige, sehr ästhetische Ausstellung geworden, und ich freue mich. Das ist für mich eines der wichtigsten Projekte, die ich in meinem Berufsleben durchgeführt habe.
von Billerbeck: Sie waren dort in seinem Atelier. Das ist ja eine ehemalige Traktorenfabrik, in die er in den 90er-Jahren gezogen ist. Die lag damals in der Pampa, wie man so drastisch sagen könnte, zwischen Peking und dem Flughafen. Inzwischen hat sich Peking ausgeweitet. Wie sieht es dort heute aus?
Sievernich: Es gibt zwei Ateliers. Die Traktorenfabrik – da kann er seine großen Werke, die ja manchmal raumhoch sind, 15, 20 Meter hohe Werke, die Bäume, wenn Sie sich erinnern, das kann er dort bearbeiten. Aber sein Studio, das ist in diesem kleinen Dorf, von dem Sie sprachen, Caochangdi. Das liegt zwischen Peking und dem Flughafen. Er ist da Ende der 90er-Jahre hingezogen. Damals wurde er belächelt. Sehr idyllisch, wenn man dort heute im Garten sitzt, die 30 Katzen schleichen durch den Garten. Es ist sehr schön, dort zu verhandeln, ein sehr angenehmer Aufenthaltshort. Das ist so ein bisschen sein Refugium. Dort leben ja auch und arbeiten 20 Mitarbeiter. Die Stadt ist ganz nah an das Dorf herangewachsen. Man kann in diesem Dorf Caochangdi, in dem es übrigens auch viele Galerien gibt und Künstler-Ateliers, schon merken, welche explosionsartige Entwicklung die Stadt Peking in den letzten Jahren genommen hat.
von Billerbeck: Ich habe mir vor unserem Gespräch einen Film angesehen, der heute Abend auch auf ARTE laufen wird, über die Vorbereitungen dieser Ausstellung, auch Ihren Besuch bei Ai Weiwei, und wenn man die Werkstatt, diese große Traktorenfabrik, von der Sie eben auch gesprochen haben, da sieht, dann hat mich das so ein bisschen fast an die Werkstatt eines großen Renaissance-Künstlers erinnert, der da mit seinen Schülern lebt, auch wenn die bei Ai Weiwei eher Assistenten heißen. Wie haben Sie diesen Atelier-Betrieb erlebt?
"Ein Kennzeichen seiner Kunst, dass er eben nicht alles selber macht"
Sievernich: Er hat ja Mitarbeiter, die zum Teil schon seit 20 Jahren für ihn arbeiten. Es ist ja ein Kennzeichen seiner Kunst oder Konzeptkunst, kann man sagen, dass er eben nicht alles selber macht, sondern Assistenten oder auch Handwerker oder auch Firmen damit beauftragt. Er arbeitet ja sehr viel mit traditionellen Materialien, insbesondere wenn Sie etwas über China sagen, wie zum Beispiel die 6000 Hocker, die wir jetzt im Lichthof zeigen werden. Das ist ein traditionelles Möbelstück aus dem ländlichen China. Er sagt, das ist die ländliche Ästhetik oder die Ästhetik des ländlichen Chinas. Die Bauern verlassen diese Gegenstände, lassen sie zurück, ziehen in die Stadt und verlieren damit auch ein Stück ihrer Identität. Viele der Objekte, Installationen, die wir im Gropius-Bau zeigen, sprechen ein wenig über China, sagen aber auch etwas über seine Art und Weise, Kunst zu machen und Kunst zu produzieren.
von Billerbeck: Werden wir in der Zukunft möglicherweise uns manchmal die Frage stellen, ob das ein echter Ai Weiwei ist, oder doch einer seiner Schüler?
Sievernich: Nein, die Frage stellt sich nicht, weil ja von Anfang an gesagt wird, dieser Marmor ist von einem Handwerker bearbeitet worden. Er ist nicht derjenige, der den Marmor selber bearbeitet. Insofern stellt sich die Frage nicht, Werk Schüler oder Werk von ihm, sondern das ist von Anfang an ja offengelegt. Einiges macht er auch selber, wie zum Beispiel die Han-zeitlichen Vasen. Han-Zeit – das heißt 2000 Jahre alt. Die hat er in einen Speziallack getaucht, der heute für Luxusautos in Peking verwendet wird.
Das ist so eine kleine Botschaft an Berlin, wenn Sie so wollen. Manches macht er dann auch selber. Aber das Kennzeichen seiner Kunst ist ja, auch gerade Handwerksfähigkeiten zu nutzen – denken Sie an die Sonnenblumenkerne, die millionenfach in der Tate Modern lagen. Das waren Porzellan-Sonnenblumenkerne, alle handgemalt, alle in Jingdezhen, einer kleinen Stadt im Süden Chinas, in der früher das Porzellan für den Kaiser produziert wurde. Bewusst geht er auf solche handwerklichen Techniken in China ein und benutzt sie, nutzt sie für seine Kunstwerke.
von Billerbeck: Gereon Sievernich ist mein Gast, der Kurator der großen Retrospektive des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, die im Martin-Gropius-Bau heute eröffnet wird. – Ai Weiwei ist aber nicht nur ein Künstler, er ist in China ein Staatsfeind. Er wird dauerbespitzelt, hat das auch dokumentiert, die Fotos, die aus seinem privaten Bereich gemacht wurden, die Dauerüberwachung, die Filme. Wie haben Sie ihn erlebt, diesen "Staatsfeind“?
"Er ist ein sehr humorvoller Mensch"
Sievernich: Ich habe ihn ja kennengelernt zum ersten Mal, nachdem er 81 Tage in einem Geheimgefängnis war, ohne Anklage, ohne Rechtsgrundlage, ohne Kommunikation nach draußen. Ich kann also nicht beurteilen, wie er vorher war. Aber er ist ein sehr humorvoller Mensch und in vielen seiner Arbeiten drückt sich ja auch etwas Ironisches aus. Zum Beispiel sein Werk "Souvenir von Shanghai“. Wenn Sie fragen, was es ist? Das ist der Schutt des Ateliers in Shanghai, das die Regierung von heute auf morgen hat abreißen lassen, weil er irgendwie was Falsches gesagt hat.
Das habe ich mit ihm auch im persönlichen Gespräch so gelernt. Ich glaube, das hilft ihm auch, diese Repressionen zu überleben. Er darf nicht reisen außerhalb Chinas, er hat seinen Pass nicht. Er kann zwar das Studio verlassen, er kann sich auch in Peking bewegen, aber er ist dauernd unter Beobachtung. Er wird immer von zwei, drei, vier Geheimdienstleuten begleitet, die ihn auch ständig fotografieren.
von Billerbeck: Haben Sie das auch erlebt?
Sievernich: Nein, selber erlebt nicht. Aber ich meine, wenn Sie sein Studio betreten, finden sich dort zwölf Videokameras, die Sie beobachten. Ich habe jetzt auch eine Akte in Peking, nehme ich an. Und diese Form der Überwachung – wahrscheinlich geht das auch so weit, dass er in seinem Studio abgehört wird -, das ist für ihn natürlich unerträglich. Man muss dazu sagen, er hat ja zwölf Jahre in New York gelebt, er weiß, was Freiheit ist, er weiß, was Meinungsfreiheit ist, er weiß ganz genau, wovon er spricht, wenn er dieses fordert, und dass er es wagt, übrigens nicht nur mit seinen Kunstwerken darüber zu sprechen, sondern auch in anderer Form, das ist, glaube ich, auch für China sehr wichtig.
von Billerbeck: Er macht Kunst, aber er übernimmt ja – das haben Sie ja eben auch geschildert – mit seiner Kunst quasi die Aufgaben einer freien Presse. Wir kennen das aus DDR-Zeiten, wo Literatur und Kunst manchmal die Aufgaben der Medien übernommen haben, oder aus der Sowjetunion. Zum Beispiel, wenn er die schlechten Moniereisen in der Ausstellung zeigt aus den Schulgebäuden in Sichuan, wo 2008 durch das Erdbeben, durch die schlechte Bausubstanz besonders von Schulen 5000 Kinder starben. Da hat er ihre Namen gesammelt und die Namen der Toten zusammengesammelt und zeigt diese Eisen. Das ist doch politische Kunst.
"Kunst mit politischem Inhalt"
Sievernich: Ich würde es nicht politische Kunst nennen, aber Kunst mit politischem Inhalt. Die Konzeptkunst hat ja gerade das Prinzip, das sie komplizierte oder komplexe gesellschaftliche Verhältnisse einbezieht. Insofern ist es Kunst, die auch eine politische Aussage hat. Man wirft ihm ja manchmal vor, dass er politischer Aktivist ist. Wir drehen das in der Ausstellung gerade herum und sagen, ja, ja, so genau ist das. Ich erinnere mich auch an das erste Gespräch mit ihm. Da hat er gesagt, soll es politisch sein, und ich habe natürlich gesagt, ja, an diesem Ort. Die unterste Treppenstufe unseres Haupteingangs war schon Ostberlin. Wenn man irgendwo politisch sein will, warum nicht an diesem Ort.
von Billerbeck: Ai Weiwei hat selber diese Rolle Politiker, Künstler, politische Kunst in einem ganz klaren Satz mal wie folgt ausgedrückt:
O-Ton Ai Weiwei: “Ich bin kein Politiker, nur ein Künstler, der einige Wahrheiten ausspricht. Das bedeutet mir viel, einfach als Mensch.“
von Billerbeck: Nun haben Sie gesagt, Ihr Haus, der Martin-Gropius-Bau in Berlin, die unterste Treppenstufe war schon Ostberlin. Das heißt, Ai Weiwei stellt an einem Ort aus, wo Ost und West es geschafft haben, die Mauer friedlich zu überwinden, und er spricht ja davon, dass in China die große Firewall aufgebaut wurde, dass eine Milliarde Chinesen nicht an die Informationen via Internet kommen, die sie sonst bekommen könnten. Wie wichtig ist gerade der Ausstellungsort Berlin für so einen Künstler wie Ai Weiwei?
Sievernich: Er war ja in Berlin. Er war zwar nie im Gropius-Bau, aber er war in Berlin. Er hat Berlin schätzen gelernt, er hat auch viele Freunde hier, die sich für ihn eingesetzt haben. Aber das ist natürlich für ihn auch reizvoll, an diesem Ort zu spielen, an dem Günther Uecker, Rebecca Horn, Olafur Eliasson oder Anish Kapoor gespielt haben. Das war für ihn natürlich eine große Herausforderung. Ich finde, er hat sie fantastisch bewältigt mit dem, was wir sehen werden. Und das Politische hat ihn sicher auch gereizt. Man muss bedenken, wie repressiv die Situation in China ist.
Gibt man im Internet den Namen Ai Weiwei ein, die chinesischen Zeichen, wird es sofort gesperrt. Das führt ja dazu, dass die Chinesen erfinderisch sind und Umwege erfinden. Da bietet das Chinesische durch die Sprachstruktur einige raffinierte Umgehungen, und er spielt übrigens in der Ausstellung auch mit einem Werk darauf an, mit dem Werk "Flusskrabben“.
Das Wort für Flusskrabben wird so ähnlich gesprochen wie das Wort für Harmonie, und das Wort für Harmonie ist einer der wichtigsten Begriffe in der Regierungspropaganda: harmonische Gesellschaft, wir wollen harmonische Gesellschaft sein, die kommunistische Partei garantiert die Harmonie und so weiter. Wer über Harmonie im Internet sprechen will, der ist schon mal verdächtig, also ist das Wort gesperrt, und dann nutzt man das Wort für Flusskrabben. So gibt es Hunderte von Beispielen, wie die Bürger Chinas sich sozusagen den Weg zu ihrer Meinungsfreiheit selber suchen, und er thematisiert das in seiner Konzeptkunst.
von Billerbeck: Gereon Sievernich war mein Gast, der Direktor des Martin-Gropius-Baus und Kurator der großen Ai Weiwei Retrospektive, die heute Abend dort eröffnet wird. Ebenfalls heute Abend läuft auf ARTE ein Film über Ai Weiwei und die Vorbereitungen der Berliner Ausstellung. "Evidence“ ist dessen Titel, ab 21:45 Uhr auf ARTE.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Ausstellung "Evidence" von Ai Weiwei ist vom 3. April bis 7. Juli 2014 im Martin-Gropius-Bau Berlin zu sehen.

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