Menschenrechte

Gebloggt, gedemütigt, geflohen

Das Weblog von Liu Dejun
Auf seinem Blog berichtet Liu Dejun von Drangsalierungen durch die chinesische Regierung. © Screenshot des Blogs von Liu Dejun
Von Christina Küfner  · 02.04.2014
Während sein Freund, der Künstler Ai Weiwei, die eigene Ausstellung in Berlin nicht besuchen darf, hat es der Blogger Liu Dejun geschafft: Nach mehreren Misshandlungen hat er China verlassen und lebt als Stipendiat in Deutschland.
Ein paar Zuhörer suchen noch nach einem Stuhl – es ist voll an diesem Abend im Presseclub Nürnberg. Vorne, an einem Tisch, vor Mikrofon und Mineralwasserglas, sitzt Liu Dejun und wartet, bis alle sich gesetzt haben. Immer wieder grüßt er mit einem strahlenden Lächeln ins Publikum. Dass er, der verfolgte Internetblogger und Menschrechtsaktivist, hier sein darf, betrachtet er als großen Glücksfall.
"In Deutschland kann ich mich frei zu Wort melden, mich aber gleichzeitig auch weiter um die Lage in China kümmern. Wenn ich noch in meinem Heimatland wäre, wäre ich wohl verhaftet worden."
Wenn man den 37-Jährigen da so sitzen sieht, mit diesem offenen Blick und dem fast kindlich wirkenden Lachen, fällt einem schwer zu glauben, welche Odyssee er hinter sich hat: Liu Dejun wurde von der chinesischen Sicherheitspolizei mehrfach verschleppt und misshandelt. Über seine Erlebnisse will er an diesem Abend berichten. Und dann wird der schlanke Asiate mit den jugendlichen Gesichtszügen ernst. Beinah sachlich beginnt er zu erzählen:
Davon wie bereits seine Großeltern und Eltern die Härte der kommunistischen Führung zu spüren bekommen. Wie sein Vater wegen angeblicher politischer Umtriebe festgenommen und gefoltert wird. Wie die Behörden seine Mutter öffentlichen Schmähungen aussetzen – und wie das alles seine eigene Einstellung prägt.
Lius Dejuns Engagement beginnt in der südchinesischen Provinz Guangdong, wo er Wanderarbeiter über ihre Rechte aufklärt. 2007 gründet er eine NGO mit dem Ziel, die Arbeiter vor Willkür und Ausbeutung zu schützen. Außerdem unterstützt er Menschen, deren Häuser für staatliche Großprojekte abgerissen wurden, ruft er mit Flugblättern zu Reformen auf und schreibt in Blogs und Internetforen über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Mehrfach ohne Gerichtsverfahren inhaftiert
Die Reaktion der kommunistischen Führung ist eindeutig: Liu wird mehrfach ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Gleichzeitig setzen die Behörden auf Einschüchterung: Der Aktivist wird wiederholt verschleppt, zum Teil tagelang festgehalten und misshandelt. Am schlimmsten, erzählt Liu, war es im Jahr 2011 – nachdem er die Chinesen im Internet zu einer Revolution nach Vorbild des Arabischen Frühlings aufgerufen hatte.
"Als ich von der politischen Polizei heimlich gekidnappt wurde, wechselten sie viermal ihre Verhörorte, alle vier höchst geheim. Ich wurde verprügelt, mit Elektrostangen unter Schock gesetzt, anschließend folgten Kälte und Hunger."
Jedes Jahr werden im Reich der Mitte dutzende Aktivisten verschleppt, manche von ihnen tauchen nie wieder auf. Liu Dejun blieb für mehr als 2 Monate verschwunden. Sein Engagement für Menschenrechte gab er trotzdem nicht auf:
"Wie ich schon sagte, ich habe von Kindesbeinen an mitbekommen, was in China passiert. Es gibt nicht so viele Menschen, die über die wirkliche Situation im Land Bescheid wissen – und noch viel weniger, die sich tatsächlich engagieren. Für mich ist es wie eine Arbeit. Was ich einmal angefangen habe, will ich auch fortsetzen."
Dokumentation über ihn steht im Internet
Ruhig und freundlich wirkt er, wenn er das sagt, besonnen fast – wie jemand, dem die Erkenntnis eines höheren Ziels eine tiefe Kraft verleiht.
"Ich bin überzeugt, dass die Demokratisierung auch in China stattfinden wird. Außerdem habe ich einen Ausgleich in der Religion gefunden – ich lasse mich deshalb von den weltlichen Dingen nicht mehr so sehr aus der Ruhe bringen."
Inzwischen gibt es einen Dokumentarfilm über die Verschleppungen von Liu Dejun. Gedreht hat ihn der chinesische Künstler Ai Weiwei, der gut mit Liu befreundet ist – und der die staatliche Willkür in China aus eigener Erfahrung kennt. In dem über 120-minütigen Film besuchen Ai Weiwei und Liu Dejun noch einmal die Orte, an denen die Polizei den Blogger damals entführte. Die fertige Dokumentation hat Ai Weiwei dann ins Internet gestellt. Jeder kann sie auf Youtube ansehen.
"Die Menschen schauen auf das, was Prominente tun – und Ai Weiwei als Prominenter hat durch seine Bemühungen großen Einfluss. Er hat schon vielen Menschen gezeigt, was in China wirklich los ist. Dieses Wissen kann auch helfen der jüngeren Generation die Augen zu öffnen."
Liu Dejun lebt mittlerweile seit einem viertel Jahr in Nürnberg. Zu verdanken hat er das dem Schrifstellerverband PEN-Zentrum, der dem chinesischen Dissidenten ein Stipendium verliehen hat. Über Umwege, die der Blogger nicht genauer schildern möchte, konnte er schließlich aus China ausreisen. In seiner neuen Heimat Nürnberg gefalle es ihm bislang gut, sagt Liu Dejun – wieder mit diesem strahlenden Lächeln.
"Ich habe mich schnell zurechtgefunden, denn ich habe auch schon in China allein gelebt. Beim Einkaufen kann ich mich auch auf Englisch verständigen."
Erleichterung, aber auch eine gewisse Vorsicht sind Liu Dejun anzumerken. Nach seinen Erfahrungen mit der staatlichen Willkür in China tastet er sich nun langsam vor in ein neues, freies Leben.
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