Restitutionsdebatte

Ganze Sammlungen stehen unter Raubkunst-Verdacht

06:49 Minuten
Bénédicte Savoy posiert am 21.3.2018 in Paris für eine Porträtaufnahme
"Asymmetrische Gewaltverhältnisse": die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. © AFP / Alain Jocard
Bénédicte Savoy im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 11.05.2021
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In der Restitutionsdebatte machen Recherchen des Historikers Götz Aly schwere Versäumnisse der Museen sichtbar. Auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy sieht ethnologische Ausstellungsstücke grundsätzlich unter Raubkunst-Verdacht.
Mit seiner Recherche zum Luf-Boot, eines der zentralen Ausstellungsstücke im Berliner Humboldt Forum, hat der Historiker Götz Aly der Restitutionsdebatte neues Gewicht verliehen. Rückendeckung erhält er nun von Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris.
Die meisten Objekte in den ethnologischen Sammlungen stehen Aly und Savoy zufolge zumindest unter Raubkunst-Verdacht. Sie seien unter "asymmetrischen Gewaltverhältnissen" nach Europa gekommen, betont Savoy: "Das gilt für Berlin, für London, für Paris." Ein Nachweis, dass die Objekte rechtmäßig erworben worden seien, wird den Museen kaum gelingen, glaubt Savoy: Denn die früheren Besitzer hätten in der Regel nichts unterschrieben. "Deshalb muss man davon ausgehen, dass es grundsätzlich eher keine Einwilligung gab."
In vielen Fällen sei zudem bereits klar, dass die Gegenstände geraubt worden seien, sagt Savoy. Aly habe "sehr schön" gezeigt, dass man einfach nur ins Archiv gehen müsse, um in den Inventarbüchern die Geschichte zu klären. "Das heißt, wir müssen nicht warten, wir müssen endlich mit dieser Tatsache umgehen." Die Restitutionsdebatte habe sich in den vergangenen 50 Jahren kaum verändert, sagt Savoy - mit der Ausnahme, dass das Wissen über die Raubkunst heute nicht mehr wie ehemals "unter einer Bleidecke" gehalten werden könne.
Nach Recherchen des Historikers Götz Aly handelt es sich beim Luf-Boot um koloniales Raubgut. "Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man dann irgendwann erfunden, es sei rechtmäßig erworben und an das Museum verkauft worden. Das ist alles nicht wahr, das kann man ganz leicht herausfinden", betont Aly, der die Geschichte des Ausstellungsstücks in seinem neuen Buch "Das Prachtboot" nachgezeichnet hat.

Das Ethnologische Museum räumt Versäumnisse ein

Die Quellenstudien seien ganz einfach gewesen, sagt der Historiker. "Es hat sich keiner die Mühe gemacht, und es war bequem für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das einfach zu behaupten und zu glauben."
Das Ethnologische Museum in Berlin hat inzwischen Versäumnisse eingeräumt. Es sei nicht klar, ob das Boot unrechtmäßig erworben wurde, sagt dessen Direktor Lars-Christian Koch. Das Museum habe die Provenienz des Bootes und die Kolonialgeschichte bisher nicht "in den Fokus gesetzt".
"Das hätten wir tun müssen", sagt Koch: "Da hat Götz Aly vollkommen recht." Koch will nun die Zusammenhänge in der Ausstellung thematisieren.
(ahe/lkn)
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