Reservisten-Schnellkurse in Berlin

Dürfen zivile Quereinsteiger dienen?

Reservisten der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie Sachsen (RSU) trainieren im Rahmen der Wachausbildung auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz bei Weißkeißel (Sachsen), aufgenommen 2013.
Bislang musste man mindestens einen Tag als aktiver Soldat der Bundeswehr angehört haben, um Reservist zu werden. Jetzt können auch "Ungediente" diesen Status erhalten. © dpa-Zentralbild
Von Julia Weigelt · 12.07.2018
Sandsäcke stapeln bei Hochwasser oder Kasernen bewachen beim G20-Gipfel: Reservisten unterstützen die Bundeswehr bei Katastrophen im Inland oder bei Auslandseinsätzen. Doch die Reserve hat Personalprobleme - und bildet inzwischen Zivilisten aus.
"Fertig machen zum Feuerüberfall. Zielverteilung von links nach rechts."
… befiehlt ein Ausbilder seinen Rekruten. Es sind Szenen aus einem Film der Bundeswehr. Doch was nach alltäglicher Kampfausbildung aussieht, ist eine Neuheit. Denn hier werden Zivilisten an der Waffe ausgebildet, weil sie Reservisten werden wollen.
Bislang musste man mindestens einen Tag als aktiver Soldat der Bundeswehr angehört haben, um Reservist zu werden. Denn sie dienen auch in Mali und Afghanistan: Aktuell sind von rund 4000 deutschen Soldaten im Auslandseinsatz rund 250 Reservisten – dieser Anteil könnte weiter anwachsen. Ab sofort können auch sogenannte Ungediente den Reservistenstatus erhalten. Im Regionalstab Süd der Bundeswehr fand im Herbst vergangenen Jahres die erste Kurz-Ausbildung von Zivilisten statt. Nun zieht der Reservistenverband nach: Der eingetragene Verein bietet ebenfalls eine Ausbildung für zivile Quereinsteiger ins Militär an. Derzeit allerdings nur in Berlin.

Sicherheitsüberprüfung – um Extremisten auszusieben

22 Teilnehmer sind dabei, einige von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Beworben hatten sich 35, doch einige waren nicht fit genug für die Ausbildung. Bevor es losgeht, müssen sich alle einer Sicherheitsüberprüfung des Militärischen Abschirmdienstes unterziehen. So sollen Extremisten erkannt und ausgesiebt werden.
Die Bundeswehr stellt für die Ausbildung durch den Reservistenverband Waffen, Schießbahnen und Personal für eine Abschlussprüfung. Die Inhalte habe der Reservistenverband zusammen mit den Streitkräften entwickelt. Dabei habe man sich an der Grundausbildung der Bundeswehr orientiert, berichtet Karsten Ahrens vom Berliner Reservistenverband. Es geht um Rechte und Pflichte eines Soldaten, Erste Hilfe und die Ausbildung an der Waffe. Insgesamt 178 Stunden soll die Ausbildung dauern, an 13 Wochenenden, über ein Jahr verteilt. In der Bundeswehr dauert die Grundausbildung 450 Stunden, mehr als doppelt so lang.
Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen-Fraktion im Bundestag, ist skeptisch, ob diese Ausbildung ausreicht.
"Wenn man sich die Ausbildungszeiten Reservisten im Vergleich zur Bundeswehr anschaut, dass das noch nicht mal die Hälfte ist, dann will ich natürlich wissen, was wird denn in dieser Zeit nicht ausgebildet, auf was verzichtet man, vor allem, weil die Soldaten ja dann gleich gestellt sind in ihren Rechten und Pflichten."

Zweifel bei den Grünen

Linder ist sich sicher: Zur Ausbildung eines Soldaten gehöre außer der Schießausbildung noch viel mehr.
"Gerade bei einer Parlamentsarmee, gerade bei Streitkräften, die das Prinzip der Inneren Führung hochhalten, ist es wichtig, dass auch andere Dinge ausgebildet werden. Das beginnt natürlich bei Grundlagen aus dem Soldatengesetz, geht über Innere Führung, politische Bildung – das sind Ausbildungsbestandteile, die sind, vor allem nach Berichten, die man aus dem Sommer gehört hat über Vorfälle in der Truppe, die sind wichtiger denn je, und wir brauchen eher mehr davon, und nicht weniger."
Er fragt sich auch, warum außer der Bundeswehr nun auch die Reservisten Ungediente ausbilden.
"Wenn man außerhalb der Bundeswehr ausbildet, dann braucht man dafür einen guten Grund, warum das die Bundeswehr nicht kann. Ich habe Reservisten immer so verstanden, auch vom eigenen Selbstverständnis heraus, dass sie keine Soldaten zweiter Klasse sind oder sein wollen, und natürlich muss man auch, wenn man ausbildet, sicherstellen, dass Ausbildung immer auf dem gleichen Niveau verläuft."

Personalmangel nicht nur im Bereich Cyber

Soldaten zweiter Klasse? So sieht der Präsident des Reservistenverbandes, Oswin Veith, die Absolventen der neuen Ausbildung ganz und gar nicht. Veith ist sich sicher: Die Reserve ist flexibler als die Bundeswehr, weil sie Seminare nicht sechs Wochen am Stück, sondern in Wochenend-Abschnitten anbieten könne. Das passe besser zum Alltag Berufstätiger. Und die will Veith trotz vielfältiger anderer Freizeitmöglichkeiten als Reservisten gewinnen – denn davon gibt es aktuell zu wenig:
"Wir haben rund 62.300 Beorderungsdienstposten insgesamt. Davon sind noch nicht einmal die Hälfte besetzt."
Beorderungsdienstposten sind Stellen in der aktiven Truppe, die Reservisten im Rahmen von Wehrübungen für einige Wochen oder Monate besetzen können. Vor allem Fachkräfte fehlen, etwa im Bereich Cyber. Doch die Bundeswehr braucht nicht nur IT-Nerds: Seit der Krimkrise spielt Heimatverteidigung wieder eine Rolle. Gleichzeitig nimmt die Bundeswehr an Auslandseinsätzen teil und will auch dieses Engagement in den nächsten Jahren noch ausweiten. Zudem werden Reservisten in sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien eingesetzt und engagieren sich in Kreis- und Bezirks-Verbindungskommandos in der zivil-militärischen Zusammenarbeit.

Sinkende Mitgliederzahlen

Mit der neuen Ausbildung will der Reservistenverband auch dem Mitgliederschwund entgegenwirken. Denn der eingetragene Verein wird überwiegend aus dem Verteidigungshaushalt finanziert. Für dieses Jahr ist ein Zuschuss von 17,5 Millionen Euro vorgesehen. Angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen könnte auch die staatliche Finanzierung schrumpfen.
Verantwortliche der Bundeswehr wollen sich zur neuen Ausbildung für Ungediente durch Reservisten nicht äußern. Dafür gibt ein Bundeswehrvideo im Internet interessante Einblicke. So berichten die zivilen Teilnehmer etwa, was für sie Höhepunkt der Ausbildung gewesen sei. Ein angehender Reservist sagt:
Teilnehmer aus einem Bundeswehr-Video: "Das war schon mit Abstand das Panzerfaustschießen." / "Das war höchstwahrscheinlich das Granatenwerfen."
Und im Text auf der Bundeswehr-Homepage heißt es weiter – Zitat: "Auf die Frage, was ihnen am besten gefallen habe, antworteten nahezu alle Rekruten: "die Schießausbildung". Welche Motivation haben Menschen, die den Quereinstieg in die Reserve machen wollen? Der Reservistenverband glaubt: Die Teilnehmer wollen vor allem ihrem Land dienen.
Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Tobias Lindner, bleibt allerdings skeptisch:
"Ich hätte große Zweifel, ob eine Person wirklich geeignet ist für die Truppe, wenn die einzige Motivation wirklich Spaß am Schießen wäre."
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