Religionswissenschaftler Klaus Heinrich gestorben

Ein vielfältiger und einzigartiger Denker

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Der Religionsphilosoph Klaus Heinrich bei einer Veranstaltung in der Akademie der Künste in Berlin am 31.10.2008
Klaus Heinrichs Vorlesungen am Institut für Religionswissenschaft der FU Berlin waren legendär. © imago / Christian Thiel
Manfred Bauschulte im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 23.11.2020
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Er prägte Generationen von Studierenden der Religionswissenschaft und Philosophie. Klaus Heinrich durchdrang Stoffe mit Anleihen bei Mythologie, Psychoanalyse und Kunst - sprach immer frei. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.
Als 1948 in Berlin-Dahlem die Freie Universität gegründet wurde, hatte Klaus Heinrich als Student seinen Anteil daran. Gut zwei Jahrzehnte später gehörte er zu den dort Lehrenden. Seine Vorlesungen am Institut für Religionswissenschaft waren legendär. Klaus Heinrich sprach frei, ohne Notizen.
Er ging hin und her. Seine Zuhörer konnten ihm beim Denken zusehen. Viele haben mitgeschrieben, irgendwann Tonmitschnitte gemacht. Daraus entstanden die "Dahlemer Vorlesungen" in Buchform. Immer wieder aufgelegt, so wie Heinrichs erstes Buch, die Habilitationsschrift "Über die Schwierigkeit 'Nein' zu sagen".
Der Religionswissenschaftler Manfred Bauschulte hat mit Klaus Heinrich viele Gespräche geführt und diese in dem Buch "Über das Ende der neolithischen Revolution" veröffentlicht.

Anleihen bei der Mythologie

Bis zum Ende der 90er-Jahre, über drei Jahrzehnte hinweg, hat Klaus Heinrich in Berlin-Dahlem Vorlesungen gehalten. "Dabei hat sich Klaus Heinrich um seine öffentliche Rolle wenig geschert", erinnert sich Manfred Bauschulte. "Berlin hatte damals Inselstatus. Worum es ihm ging, das waren die Stoffe, die er in den Vorlesungen verhandelte. Das ging von den antiken Philosophen bis in die moderne Poesie."
Manfred Bauschulte selbst zieht bis heute etwas aus den Dahlemer Vorlesungen. "Und ich werde weiter aus ihnen ziehen", sagt er. Heinrichs letzte öffentliche Vorlesung war im Sommer 1999. "Da hat er über den 'Stier des Phalaris' gelesen", erzählt Bauschulte. Phalaris war ein antiker Tyrann, der einen Bildhauer in einem von diesem gefertigten, riesigen Stier einbauen und verbrennen ließ.
Bauschulte erklärt: "Diese legendäre Figur des Stiers von Phalaris war für Heinrich ein Symbol für den Umgang mit den Künsten in der Moderne, mit dem stellvertretenden Opfer von Künstlern, Philosophen und Intellektuellen, wie sie in den Aufbau einer Gesellschaft hineingebannt sind und von der Antike an auch an deren Zerstörung teilhaben. Solche Symbole haben mich fasziniert."
Für Klaus Heinrichs besondere Leistung hält Manfred Bauschulte, als Lehrender solche Stoffe hochgeholt zu haben. Diese seien zwar bekannt, aber die einzelnen Geschichten transparent zu machen und deren Konflikt so auszubreiten: "Das war einzigartig", sagt Bauschulte.

Die Psychoanalyse weitergedacht

Die Grundfragestellung auf die er immer zurückgekommen ist, sei Freuds Psychoanalyse, sie weiterzudenken und Konflikte auszuleuchten. "Sein Impetus war, die Psychoanalyse auf eigene Füße zu stellen."
Heinrich hatte weder Fernsehen noch Computer. "Das heißt, er hatte Zeit, zu malen, zu zeichnen und Gedichte zu schreiben", schlussfolgert Bauschulte. "Lässt einem die digitale Welt noch Zeit oder Geduld, den Freiraum dafür? Heinrich ging Fragen auf den Grund, nicht um sie aus dem Fenster zu hängen, sondern um sie in Fragegestalt zu überführen. Das war dann der Stoff, an dem man weiterarbeiten konnte."

Klaus Heinrich: Das Gesamtwerk. "Nichts, woran Sie sich erinnern können, ist vorbei." ist im ça ira-Verlag erschienen

(mfied)
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