Schuld in Bibel und Koran

Zwischen Sünde, Strafe und Vergebung

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Farbiges Glasfenster einer Kirche mit Adam und Eva im Paradies
Vom Sündenfall Adams und Evas erzählen sowohl die Bibel als auch der Koran. Doch Gottes Antwort darauf fällt jeweils anders aus. © Getty Images / Fred De Noyelle / GODONG
Von Kirsten Dietrich · 28.08.2022
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Schuld ist schwer zu greifen. Schon im Alltag ist oft schwer zu entscheiden: Wer ist schuld? Vor Gericht taucht der Begriff auf und in Form von „Schulden“ auch bei der Bank. Aber Schuld hat vor allem auch eine religiöse Dimension.
Wer sich mit Religion beschäftigt, muss auch die Frage nach der Schuld stellen, sagt der katholische Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff: "Das ist ein Menschheitsphänomen. In allen Religionen spielt dieses Thema Schuld und Sünde eine Rolle."
Das Problem ist nur: Die Überlieferungen reden meist gar nicht ausdrücklich von Schuld. In Bibel und Koran gibt es nicht die eine Vokabel für Schuld. Die Texte verwenden verschiedene Begriffe, und um es noch mal komplizierter zu machen: die sind auch noch mehrdeutig, meinen je nach Zusammenhang Schuld, Sünde oder Strafe.

Gleichnisse aus dem Finanzbereich

"Der Begriff Schuld, der wird anders eingesetzt", sagt Hoff. "Es gibt keine begriffliche Differenzierung im Alten Testament zwischen Schuld und Sünde. Aber von Sünde ist durchaus die Rede, etwa im Abfall von Gott.“
Es geht um Grenzziehungen, es geht um Verhalten, und um das, was nicht im Sinne Gottes ist. Dafür borgt sich das religiöse Nachdenken über Schuld Bilder und Begriffe aus anderen Lebensbereichen. Im Vaterunser, dem wichtigsten Gebet des Christentums, heißt es: "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Da stehe auch was Finanzielles im Raum, sagt Hoff:
"Es geht um ganz konkrete Beziehungen zwischen Menschen. Davon ist im Sinne des Vaterunsers immer auch Gott selber betroffen. Wie wir auch vergeben unseren Schuldigern – das sind Menschen, die uns eben in sehr konkreter Weise etwas schuldig sind –, so hoffen wir eben und setzen dann eben darauf, dass Gott uns das vergibt, was wir ihm und auch anderen Menschen schuldig bleiben."
Der Theologe Gregor Maria Hoff trägt graues zurückgekämmtes Haar, eine schwarz gerahmte Brille und einen schwarzen Rollkragenpullover.
Wer auf Vergebung hofft, ist auch in der Lage, anderen zu vergeben: Darin sieht der Theologe Gregor Maria Hoff ein religiöses Versprechen.© privat
Viele Gleichnisse des Neuen Testaments spielen mit dieser Mehrdeutigkeit, erzählen von Silbergroschen, Schuldknechten, verliehenen und eingeforderten Geldsummen – oder einem Erbe, das ein Sohn vor der Zeit sinnlos verprasst: "Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden", heißt es im Lukasevangelium.

Die Macht der Vergebung

Aber so wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn mit einem unerwarteten und aller betriebswirtschaftlichen Logik widersprechenden Akt der Vergebung endet, so betont Gregor-Maria Hoff generell: "Im Zentrum des Evangeliums steht niemals Schuld. Im Zentrum des Evangeliums steht eigentlich immer der Aufruf, der schöpferischen Lebensmacht Gottes Raum zu geben. Dafür kann eben die Bitte um Vergebung von Schuld und die Bereitschaft, anderen zu vergeben, was sie einem schuldig sind, ein ganz konkreter Ausdruck sein."
Eine vergleichbare Bildwelt nutzt auch der Koran, wenn er von Schuld und Schulden redet. "Wenn man mal das Wort 'dein' anschaut, das ist eine finanzielle Schuld, die man hat, und das Wort für Religion, oder das, was üblicherweise mit Religion übersetzt wird, das klingt ganz ähnlich: nicht 'dein', sondern 'din', und kommt von derselben Wortwurzel", sagt Farid Suleiman, islamischer Theologe an der Universität Greifswald.
"Das wird so interpretiert, dass die Religion etwas ist, wo der Mensch eine Art existenzielle Schuld gegenüber dem Schöpfer hat. Gegenüber diesem Schöpfer hat man eine gewisse Bringschuld, die man abzuleisten hat. Und das macht man in einer bestimmten Lebensweise, das ist dann 'din', was man mit Religion übersetzt. Das ist dann so eine existenzielle Sache, dass ich ihm gegenüberstehe und mich voller Dankbarkeit zeige."

Schuld und Strafe

Religion und Recht waren lange keine getrennten Bereiche. Wer muss was leisten, wenn er welches Vergehens für schuldig befunden ist? Heilige Schriften wie Bibel und Koran enthalten jede Menge rechtliche Regelungen und reden auch in dieser Sprache über Schuld, sagt Suleiman:
"Das ist vielleicht exemplarisch dargestellt in der Adams-Geschichte: als Adam und Eva im Paradies – die Geschichte ist ja auch aus der Bibel bekannt – von einem bestimmten Baum nicht hätten essen sollen, dann aber vom Satan – im Koran heißt es: der Iblis – verführt werden, vom Baum zu essen, und damit eine Schuld sich aufladen."
Diese Schuld bleibt im Koran aber nicht auf Dauer bestehen, erzählt Farid Suleiman: "Die Differenz zur christlich-jüdischen Version dieser Geschichte ist, dass Adam und Eva dann Gott um Verzeihung bitten und dass Gott ihnen dann verzeiht. Und damit diese Schuld dann auch wieder aufgehoben ist."

Gottes Barmherzigkeit ist groß

"Daraufhin empfing der Mensch von seinem Herrn Worte, worauf dieser ihm verzieh, denn er verzeiht alles und ist barmherzig", heißt es in Sure 2,37. Deswegen, sagt Farid Suleiman, wird im Koran fast jede Sure mit dem Verweis auf Gottes Barmherzigkeit eingeleitet: "Das ist sehr wichtig, weil es zu den ganz großen Sünden im Islam gehört, dass man an der Barmherzigkeit Gottes zweifelt. Egal, was man in seinem Leben angestellt hat, egal, was man gemacht hat, es darf niemals dazu kommen, dass man glaubt: Jetzt bin ich verloren, ich hab so viel Schlechtes gemacht, dass Gottes Barmherzigkeit nicht ausreicht, um diese Fehltritte, die ich gemacht habe, wieder zu entschuldigen."
Auch für den katholischen Theologen Gregor-Maria Hoff hat die Geschichte von Adam und Eva Wichtiges über Schuld zu sagen: Sie antwortet auf die Frage, warum Menschen eigentlich in einer Welt leben, in der sie immer wieder mit Gewalt und Tod zu tun haben: "Jetzt würden wir heute sicher nicht sagen, menschliche Schuld ist dafür zuständig, dass der Tod in das Leben eintritt. Aber mit diesem mythischen Programm, das theologisch verständlich machen will, wie die Zusammenhänge sind, wird eines sichtbar: dass Schuld etwas ist, was sehr tödlich sein kann."

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Und sie ist eben letztlich unausweichlich. Die christliche Kirche hat daraus das durchaus problematische Konzept der Ur- bzw. Erbsünde entwickelt: Die menschliche Fortpflanzung platziere jeden automatisch in Sünde und Schuld. Einzige Ausnahme: die Gottesmutter Maria, die sei ohne Schuld empfangen worden.
"Das heißt, das System läuft weiter. Ich komme nicht aus dem System heraus, das muss ich wahrnehmen, dazu muss ich mich verhalten. Das meint dieses Konzept Ursünde", sagt Hoff.

Suche nach einem besseren Leben

"Die ganze Welt ist vor Gott schuldig", heißt es im Römerbrief des Paulus im Neuen Testament. Aber, sagt Gregor-Maria Hoff: "Es geht nicht um Schuldfixiertheit, sondern um ein bewusstes Wahrnehmen meiner eigenen Existenz und die Suche nach einem besseren, einem guten Leben. Darum geht’s dabei."
Bleibt die Frage: Wie kommt man wieder raus aus der Schuld vor Gott und den Menschen? Im Islam sei das relativ klar, sagt Farid Suleiman: "Die guten Taten, so heißt es im Koran, löschen die schlechten Taten wieder aus. Das Gebet, das Bittgebet, das rituelle Gebet, das Fasten, die Pilgerfahrt löscht schlechte Taten aus – und ganz wichtig ist auch, dass man mit sich selbst ins Gericht geht. Wer mit sich selbst ins Gericht geht, heißt es in einer Überlieferung, der wird am jüngsten Tag nicht mehr gerichtet."
Gregor-Maria Hoff erklärt: "Schuld ergibt sich nur aus Zusammenhängen, in denen ich eine präzise Verantwortung habe und ihr nicht nachgekommen bin. Aber Schuld und Verantwortung sind nicht einfach deckungsgleich."

Die eigene Schuld vor Gott tragen

"Ich bekenne Gott dem Allmächtigen und euch, Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich bekenne meine Schuld, meine große Schuld“, so heißt es in der Komplet, dem Gebet zum Abschluss des Tages. Wer wie Ordensleute nach dem katholischen Gebetbuch lebt, beschließt jeden Tag mit einem Schuldbekenntnis. Die eigene Schuld vor Gott tragen, in dem Wissen, dass man selber wenig an der generellen Verstrickung in sie ändern kann – das ist ein Weg, in der Kirche mit Schuld umzugehen.
"Die Hoffnung ist, dass Vergebung etwas ist, was über den Tod hinaus denkbar ist", erklärt Hoff. "Das ist die religiöse Perspektive dabei, die Hoffnungsperspektive: mich zu meiner Schuld so zu stellen, dass ich um Vergebung bitte und mit der Vergebungsbitte aber auch imstande bin, anderen zu vergeben".
Gerade die aktuelle Missbrauchskrise vor allem der katholischen Kirche zeigt aber, wie schwierig das ist: Vor der Bitte um die Vergebung muss die Aufarbeitung von Schuld stehen, damit Schuldbekenntnisse nicht zum leeren Wortgeklingel werden. Gregor-Maria Hoff arbeitet beim Reformprozess Synodaler Weg deshalb in der Arbeitsgruppe mit, die nach notwendigen Veränderungen von Machtverhältnissen fragt.
"Es braucht Zeit dafür", sagt Hoff. "Es braucht eine unglaubliche Anstrengung und ein immer wieder neues Ansetzen zu vergeben, das gelingt nicht ohne weiteres. Und das erscheint mir – nicht nur, aber gerade auch vor dem Hintergrund des Missbrauchs in der katholischen Kirche – ganz wichtig. Das ist ein lebenslanges Suchen."
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