Religion und Gewalt

Glauben zwischen den Fronten

Alltag in Bangui - mit französischem Militär
Alltag in Bangui - mit französischem Militär © picture-alliance / dpa
Von Bettina Rühl · 26.03.2014
In der Zentralafrikanischen Republik eskaliert die Gewalt zwischen Christen und Muslimen. Vor allem für konfessionell gemischte Familien ist das Leben gefährlich. Aber es gibt Menschen, die sich dem Hass widersetzen.
Ein einfaches Haus in einem Viertel von Bangui, Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Hier wohnt Erwé Wasseré mit seiner Familie. Erwé Wasseré trägt eine hellblaue, goldgelb bestickte Gandura, das bodenlange Gewand vieler Muslime. Früher hat er es morgens angezogen, ohne viel darüber nachzudenken.
Seit ein paar Monaten ist das anders, er trägt das Gewand jetzt nur noch im Haus:
"Wenn du auf der Straße als Muslim erkennbar bist, riskierst du dein Leben."
In der Zentralafrikanischen Republik machen christliche Milizionäre und ein christlicher Mob Jagd auf alle Muslime. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einer "ethnischen Säuberung". Die Vereinten Nationen warnen seit Monaten vor einem Völkermord.
Erwé Wasseré ist erst vor drei Tagen aus einer Kirche zurück nach Hause gekommen – dort hatten er und seine Familie vor der Gewalt in Bangui Zuflucht gesucht. Aber die hygienischen Umstände und die Unruhe im dem überfüllten provisorischen Camp waren auf Dauer unerträglich, auch wenn die Vertriebenen in dem Camp wenigsten ein paar Lebensmittel bekamen. Bohnen und Reis, immer dasselbe, aber besser als nichts.
Jetzt will Wasserés Familie es trotz allem noch einmal in den eigenen vier Wänden versuchen:
"Ich habe Angst, auf die Straße zu gehen, ich bleibe immer zu Hause. Ich lebe wie in einem Gefängnis."
Sieben seiner muslimischen Freunde wurden bereits getötet, die anderen sind geflohen. Und auch sonst ist nichts mehr wie früher:
"Sie haben alle Moscheen in meiner Gegend zerstört. In der gesamten Stadt stehen nur ganz wenige, eigentlich nur die Große Moschee. Aber hier im Viertel – nichts. Ich habe keinen Ort mehr, an dem ich freitags beten könnte."
Denn der Weg in die Große Moschee ist weit, und damit viel zu gefährlich:
"Sogar am heiligen Freitag bete ich alleine zu Hause. Hier, wo ich jetzt sitze. Im Verborgenen."
Zeit des Miteinanders ist vorbei
Dabei ist Wasseré eigentlich ein Beispiel dafür, dass die beiden Religionsgemeinschaften früher recht friedlich miteinander lebten. Sein Vater war Muslim, seine Mutter Christin. Er selbst wurde zunächst katholisch getauft und konvertierte erst später zum Islam. Seine Brüder und Schwestern, mit denen er im großen Haus der Familie zusammen wohnt, sind Christen geblieben. Seine Frau Princia Kossingou ist ebenfalls Christin. Ihre neun Kinder haben die beiden teils christlich taufen lassen, teils in den Islam eingeführt.
In dem großen Haus der Familie haben früher alle zusammen gewohnt:
"Aber jetzt verlangt meine Familie, dass ich mich vom Islam abwende und wieder Christ werde. Sie sagen, dass die Muslime schlechte Angewohnheiten haben."
Nur seine christliche Frau Princia Kossingou hält noch zu ihm. Aber auch sie bittet ihn immer wieder, doch lieber mit ihr in die Kirche zu gehen:
"Es ist sowie schon gefährlich, wenn er aus dem Haus geht. Und dann noch in die Moschee! Da habe ich viel zu viel Angst um ihn. Er soll lieber mit mir in die Kirche gehen, dann müsste er wenigstens nicht alleine zu Hause beten. Wir beten doch alle zum selben Gott, oder nicht?"
Selbst ihre Kinder seien schon bedroht worden, sagen Wasseré und seine Frau. Nun haben sie ständig Angst um ihren Nachwuchs. Ihre Sorge gilt vor allem ihren muslimischen Kindern.
Auch wirtschaftlich ist das Überleben schwer geworden: Wasseré ist Diamantschürfer, aber wegen der grassierenden Gewalt ist der Weg zu den Fundstellen schon seit Monaten viel zu gefährlich. Bis jetzt konnte die Familie von ihren Ersparnissen und gelegentlichen Hilfslieferungen leben. Nun sind die Reserven aufgebraucht:
"Wir leben nur dank der Gnade Gottes. Wir selbst können nichts mehr tun. Wenn er nicht arbeitet. Und das kann er schon seit zwei oder drei Monaten nicht mehr. Unsere Lage ist sehr schwierig."
Christin mit muslimischen Brüdern
Zu ihren wenigen verbliebenen Freunden gehört Nadifa Assana, die in der Nachbarschaft wohnt und sich die paar hundert Meter hierher getraut hat.
Sie ist, wie Wasseré, die Tochter eines Muslims und einer Christin. Ihre Eltern sind schon lange tot. Sie selbst ist Christin und lebt mit ihren muslimischen Brüdern und deren Familien in einem überwiegend christlichen Viertel zusammen.
"In der Zentralafrikanischen Republik haben es Familien wie meine zur Zeit nicht leicht: 50 Prozent Christen, 50 Prozent Muslime. Wir haben große Probleme. Unsere christlichen Nachbarn sagen sich: Die ist doch zur Hälfte muslimisch – und damit eine Muslima. Sie wollen mit mir nichts mehr zu tun haben."
Die Muslime reagieren genau: Für sie ist eine solche Familie christlich. Nadifa Assana wird also von beiden Religionsgemeinschaften ausgeschlossen und sogar bedroht:
"Ich versuche, etwas Handel zu betreiben, aber meine Nachbarn kaufen bei mir nicht. Hin und wieder plündern sie unser Haus sogar. Sie respektieren uns nicht. Es ist im Moment sehr schwer für muslimische Familien."
Nach der Schule hat die 28-jährige Nadifa Assana eine Ausbildung zur Touristikkauffrau gemacht und dann in dem Tourismusunternehmen einer Französin gearbeitet. Heute ist ihre Chefin vor der Gewalt längst geflohen, hat das Unternehmen geschlossen. Um sich über Wasser zu halten, sammelt Assana Feuerholz, um es zu verkaufen. Aber niemand will es von ihr haben. Meist nimmt sie die Scheite abends selbst mit nach Hause:
"Wir leben schon so lange in dem Viertel, und wir haben uns mit unseren Nachbarn immer gut verstanden. Und plötzlich sehen sie schlechte Menschen in uns. Das hätte ich nie erwartet. Von einem Tag auf den anderen ist alles anders. Wir sind schon bedroht worden, und sie haben unser Haus geplündert. Vorher hatten uns Nachbarn davor gewarnt, dass wir bald angegriffen würden. Wir ließen alles zurück und flohen in eine katholische Kirche. Und während wir weg waren, haben genau diese Nachbarn die Tür unseres Hauses zerschlagen und unseren ganzen Besitz gestohlen."
Häufige Drohanrufe
Anonyme Anrufe seien häufig, sagt Assana: Ihr seid Muslime! Wir holen uns Euch!
Manche Nachbarn sagten ihnen das auch ins Gesicht:
"Wir wollen nicht mehr bleiben. Wir wollen fliehen, wie so viele andere Muslime vor uns. Aber auch davor haben wir Angst. Wir haben in der letzten Zeit oft gehört, dass die Fliehenden auf dem Weg in Tschad, nach Kamerun oder in den Sudan von Christen angegriffen wurden. Von wem, wissen wir nicht."
Dabei sind 1600 französische und 6000 afrikanische Soldaten im Land, um die Bevölkerung zu schützen – wozu sie offensichtlich nicht in der Lage sind. Tatsächlich wurden etliche Konvois mit Flüchtlingen angegriffen und Menschen getötet. Eine Mitarbeiterin von Amnesty International wurde Zeugin, wie französische Militärs vor christlichen Milizionären zurückwichen, die einen LKW- Konvoi von Muslimen umlagerten. Die Franzosen sollten den Treck eskortieren und die Flucht in den Tschad absichern. Noch in Bangui hätten die Militärs den Muslimen geraten, umzukehren und dahin zurückzugehen, wo sie herkamen. Dort aber fühlten sie sich ihres Lebens nicht sicher. Das französische Militär weist solche Vorwürfe regelmäßig zurück.
Kirche als Herberge
Etwa achtzig Kilometer entfernt in der Kleinstadt Boali. Es ist Sonntagmorgen, die katholische Kirche von Boali ist bis auf den letzten Platz besetzt. Hier predigt Pater Xavier-Arnauld Fagba. Er beherbergt in der Kirche rund 700 Muslime, vielen von ihnen hat er dadurch das Leben gerettet:
"Was ich hier mache, ist ja nicht mehr als eine Geste angesichts dessen, was nötig wäre. Jeder, der an meiner Stelle stünde, müsste dasselbe tun."
Durch die offene Kirchentür kommen die Geräusche von draußen rein: Kindergeschrei und das Gemurmel aus hunderten von Stimmen.
Auch im Inneren des Gotteshauses ist nicht alles wie immer: Ein paar muslimische Frauen und Mädchen sitzen auf dem Boden und hören zu. An den Wänden und in den Ecken stapeln sich Decken, Koffer, Bündel und Beutel. Sie gehören den Muslimen, die seit Mitte Januar in der Kirche campieren. Während der Messe warten die Vertriebenen draußen, damit die Gläubigen auf den Bänken Platz nehmen können. Sobald die Messe vorbei ist, kommen sie in die Kirche zurück, setzen sich wieder auf den Boden oder schlafen auf den Kirchenbänken schlafen.
Nach dem Gottesdienst nimmt sich Pater Fagba Zeit für ein Gespräch. Die Krise begann in Boali mit dem Einmarsch der muslimischer Rebellen von der Koalition "Séléka" in die überwiegend christliche Stadt:
"Sie begannen, Verbrechen an den Nicht-Muslimen zu verüben. Nicht nur die Séléka-Rebellen, die Zivilisten schlossen sich ihnen an. Sie machten mit den Christen, was sie wollten, und beglichen alte Rechnungen, ohne dass die Autoritäten eingegriffen hätten. Sie mordeten grausam, setzten Menschen in Brand, plünderten und raubten. Seitdem warteten die Nicht-Muslime nur auf die Gelegenheit, sich zu rächen. Darauf, dass das Blatt sich wendet."
Damals suchten mehrere Hundert Christen in der Kirche Zuflucht – also dort, wohin sich Wochen später die Muslime retten mussten.
Rache der Christen
Denn tatsächlich wendete sich das Blatt: Anfang Dezember fingen Soldaten der französischen Militärmission Sangaris an, gegen die Séléka-Rebellen zu kämpfen. Mitte Januar rollten die französischen Panzer in Boali ein, die muslimischen Rebellen verschwanden samt ihren Waffen im Busch. Minuten später übernahmen die Kämpfer der pro-christlichen Anti-Balaka-Miliz die Kontrolle über die Straßen in der Stadt. Für die Christen war die Stunde der Rache gekommen.
"Während alle anderen den Verbrechen nur zuguckten, beschlossen der Diakon und ich, dass wir etwas tun müssen. Dass wir die Muslime, die sonst keine Hilfe mehr hatten, da rausholen müssen. Wir gingen in die Stadt, um die bedrohten Menschen zu suchen. Wir nahmen sie von der Straße weg mit und gingen von Tür zu Tür. Manche waren auch schon in den Busch geflohen, selbst von dort haben wir etliche zurückgeholt. Einige sehr engagierte junge Christen haben uns dabei geholfen. Wir nahmen die Muslime mit in die Kirche. Seitdem sind sie bei uns, seit dem 17. Januar bis heute."
In der ersten Nacht schliefen sie in der Kirche zusammen mit den letzten 100 verängstigten Christen. Die sind inzwischen weg. Dafür mussten andere Christen gemeinsam mit den Muslimen Zuflucht suchen: Etliche von denen, die den Vertriebenen mit Wasser und Nahrung zu helfen versuchten, oder muslimische Familien bei sich zu Hause versteckten. Sie werden nun ihrerseits von den angeblich pro-christlichen Milizionären verfolgt.
"Im Boali gibt es einen jungen Verrückten, der wollte den Muslimen in der Kirche einen Kanister mit Wasser bringen. Unterwegs stieß er auf Kämpfer der Anti-Balaka. Sie schlugen auf ein, verletzten ihn, quälten ihn und drohten, sie würden ihn umbringen. Aber er hat seinen Kanister mit Wasser für die Muslime nicht losgelassen. Schließlich ist er mit dem Wasser halb tot an der Kirche angekommen. Und da haben wir erst gemerkt, dass er angegriffen worden war, einfach nur, weil er den Leuten hier mit Wasser helfen wollte."
Lebensgefährliche Bedrohung
Auch der Pater wird regelmäßig bedroht. Ein Mal kam er nur knapp mit dem Leben davon:
"Es war an einem Sonntag, direkt nach der Messe. Eins meiner Gemeindemitglieder war krank, und ich fuhr zu ihm, um ihm die Krankensalbung zu spenden. Kaum hatte ich das Kirchengelände verlassen und die Straße erreicht, war mein Auto von Anti-Balaka Milizionären umringt. Sie schrien, sie wollten mich fertig machen. Ich hielt das Auto an, stieg aus und fragte sie, was sie von mir wollten und sagte, dass sie mit mir machen könnten, was ihnen in den Sinn käme. Ich hätte auch vor dem Tod keine Angst. In dem Moment kam zufällig einer ihrer Chefs vorbei und trieb die Gruppe auseinander. Er hat mir das Leben gerettet."
Selbst auf das Gelände der Kirche seien die Milizionäre gekommen, erzählen die Vertriebenen. Dabei wachen Soldaten der afrikanischen Eingreiftruppe MISCA an der Zufahrtsstraße. Die Vertriebenen trauen ihnen und auch sonst niemandem mehr. Außer vielleicht zu dem Pater und seinem Diakon. Aber so sehr sie deren Gastfreundschaft schätzen – die verfolgten Muslime denken nur noch an Flucht, wollen das Land so schnell wie möglich verlassen.
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