Religiöse in der Zahal

Von Thomas Klatt |
Der deutsch-jüdische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler David Ranan hat selbst Mitte der 1960er-Jahre in der Zahal, der israelischen Armee gedient. Fünf Jahrzehnte später wollte er wissen, wie die jungen israelischen Soldaten heute über ihren fortwährenden Dienst mit der Waffe denken.
Martialische Werbevideos der israelischen Land-, See- und Luftstreitkräfte. Im Grundwehrdienst müssen Männer für drei, Frauen in der Regel für zwei Jahre zum Militär. Hinzu kommen je ein Monat aktiver Reservedienst Jahr für Jahr. Obwohl der Dienst in der Zahal, der Zva Hagana Le-Israel, der israelischen Verteidigungsarmee für alle jungen Israelis verpflichtend ist, wirbt die Militärführung verstärkt für den Dienst am Vaterland.

So begann etwa das israelische Erziehungsministerium vor drei Jahren erstmals damit, Führungsoffiziere an Gymnasien zu schicken. Denn die Rolle der Israel Defence Forces IDF war wohl noch nie so umstritten und belastet wie in diesen Zeiten.

Ranan: "Seitdem es besetzte Gebiete gibt und seitdem es bewaffnete Palästinenser gibt, werden israelische Soldaten geschickt eine Zivilbevölkerung unter Kontrolle zu halten. Sie sind immer häufiger in Achtung! Man weiß nicht, von wo man angegriffen wird. Das sind andere Aufgaben und das benötigt von den Soldaten eine andere Art von Psyche als es in den ersten 20, 30 Jahren der israelischen Geschichte war."

Der in London lebende deutsch-jüdische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler David Ranan hat selbst Mitte der 1960er Jahre in der Zahal gedient. In den ersten Jahrzehnten des jungen israelischen Staates gab es verlustreiche, aber zeitlich begrenzte Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Seit dem gewonnenen Sechstagekrieg 1967 aber muss die israelische Armee nicht nur das Kern-Land verteidigen, sondern zusätzlich dauerhaft die besetzten Gebiete, die Golan-Höhen, die West-Bank und Ost-Jerusalem absichern. Ranan wollte wissen, wie die heutigen israelischen Jugendlichen mit diesen gestiegenen Anforderungen umgehen und hat Interviews mit ihnen geführt. Gerade unter den jungen Israelis wird die Rolle der Armee immer kontroverser diskutiert.

Der 18-jährige Nadav: "Zahal ist eine moralische Armee und doch begeht sie Kriegsverbrechen. Das ist erwiesen, das sind keine Dinge, die ich mir ausgedacht habe. Die Armee tut möglicherweise viele verbotene Dinge, aber ich bin trotzdem sicher, dass Zahal viel weniger Verbotenes tut als unsere Feinde."

Das Problem ist, dass immer weniger säkulare Juden, die noch die Mehrheit im Land darstellen, bereit sind zum Militär zu gehen. Seit 1970 schreibt in unregelmäßigen Abständen eine Gruppe der Zwölftklässler einen offenen Brief, in dem die Frage diskutiert wird, ob die Zahal noch die Armee ist, für die man sein Leben riskieren will. 2004 wurde etwa die Soldaten-Gruppe "Schovrim Schtika" ("Das Schweigen brechen") gegründet, die bei ihrem Dienst in Hebron weniger in Konflikt mit den Palästinensern als vielmehr mit ihren Vorgesetzten und ihrem Gewissen gerieten.

Seitdem veröffentlichen sie kritische Aussagen von Soldaten in den besetzten Gebieten. Zwar gibt es keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung, aber mittlerweile gehen immer mehr junge Menschen zum Militärpsychiater, um sich untauglich schreiben zu lassen. Der 20-jährige Amir:

"Ich meine, ohne dass darüber gesprochen würde, geht Israel von der Wehrpflichtsarmee zum Berufsheer über. Wer wirklich will, kann sich freistellen lassen. Es ist eine ganze Prozedur, aber es ist machbar. Nur wenige werden wirklich verhaftet, weil sie freigestellt werden wollen, aber damit nicht durchkommen."


Bei der israelischen Armee wird das Personal knapp. Seit dem Erlass von Staatsgründer Ben Gurion brauchen ultra-orthodoxe Juden nicht zum Militär, solange sie in der Jeschiwa Thora und Talmud studieren. Jedes halbe Jahr können sie sich auf Antrag vom Dienst an der Waffe befreien lassen, im Prinzip ihr Leben lang. Was jedoch 1948 nur die Ausnahme für wenige Hundert Ultra-Orthodoxe war, droht heute zum bestimmenden Faktor in Israel zu werden. David Ranan:

"Bei der Einschulung, im letzten Schuljahr kam ein Viertel der Sechsjährigen aus orthodoxen jüdischen Familien deren Kinder nicht ins Militär gehen. Das heißt, die Hälfte dieses Schuljahres wird in zwölf Jahren nicht ins Militär gehen. Bei den Orthodoxen geht es um ewige Talmudschüler.

Je mehr solche in Talmudschulen lernen und nicht ins Militär gehen, aber deswegen auch nicht arbeiten dürfen, um diesen Erlass nicht zu verlieren, gibt's einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung, der nicht zu den Arbeitskräften im Land gehört und die von Subventionen leben. Das kann sich das Land lange nicht mehr leisten."

Es gibt eigens eingerichtete Bataillone für ultra-orthodoxe Juden, garantiert drogen- und pornografiefrei und mit genügend Zeit, neben dem Waffendienst auch weiterhin die Heiligen Schriften zu studieren. Doch diese Sondereinheiten des Militärs werden von den Strenggläubigen kaum angenommen.

Der Oberste Gerichtshof Israels hat jetzt festgestellt, dass die dauerhafte Freistellung der lebenslang in der Jeshiva Studierenden rechtswidrig ist. Den Freistellungsbeschluss aber per Gesetz nicht nur zu modifizieren, sondern ganz aufzugeben, dafür fehle in Israel derzeit der politische Wille in der rechtsgerichteten Regierung, meint Ranan.

Anders hingegen ist die Rolle der konservativ-traditionell gläubigen Juden zu beurteilen. Für sie wurden besonders religiös orientierte Offizierslehrgänge eingerichtet. Und die erfreuen sich mittlerweile größter Beliebtheit.

Ranan: "Die Eroberung des Westjordanlands in 1967, mit den Heiligen Stätten in Jerusalem, Hebron und andere, hat speziell bei den gläubigen Juden eine Euphorie erweckt. Dies gab ihnen einen Impetus mehr als früher auch im säkularen Leben des Landes involviert zu sein und dazu gehört auch das Militär. Diese gläubigen Juden sind ein wichtiger Teil der Siedlungsbewegung in Israel.

Nicht alle, viele sind auch nicht ideologische Wirtschaftssiedler, die in Siedlungen leben weil der Staat das begünstigt hatte. Aber der starke Kern, das sind Leute, die auf der rechten Seite sind und radikal sind. Und dazu gehören auch diese Orthodoxen, die daran glauben dass Israel ein jüdischer Staat, dem auch die besetzten Gebiete gehören, sein soll. Die verstehen, dass es dafür auch ein starkes Militär geben muss. Und deshalb sehen mehr und mehr radikale orthodoxe das Militär als wichtige Aufgabe."

Die Israel Defence Forces befinden sich in einem Veränderungsprozess, immer weniger zionistisch-säkular hin zu mehr jüdisch-religiös. Für den jüdischen Historiker Michael Wolffsohn stellt dies vor allem eine ganz neue theologische Entwicklung dar.

Wolffsohn: "Jede Orthodoxie versteht die Geschichte als Heilsgeschichte, als Gotteswerk und nicht als Menschenwerk und daher auch den bewaffneten Kampf für einen jüdischen Staat als Gotteslästerung verstanden, weil eben Gott dafür zu sorgen hätte und nicht der Mensch dem lieben Gott Nachhilfe muss.

Die Tatsache, dass also jetzt zunehmend religiöse oder gar orthodoxe Juden ein Gewehr in die Hand nehmen ist theologisch und historisch ebenfalls eine fundamentale Wende, die so in der Religion noch gar nicht richtig diskutiert wird, aber sie ist da."

Die Frage ist, ob die von religiös motivierten Offizieren geleiteten Einheiten in Zukunft allein dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam folgen werden. Kaum zu glauben, dass strenggläubige Soldaten eines Tages ihre eigenen Siedlungen räumen, auch wenn dies einmal zur Friedenspolitik einer israelischen Regierung zählen sollte. Angespornt keinen Zentimeter Boden aufzugeben werden sie dabei von einer neuen Generation von Militärrabbinern, weiß David Ranan.

"Früher haben die Militärrabbiner dafür gesorgt, dass es in der Kaserne eine Synagoge gab und was immer Soldaten am Freitagabend zum Gebetsritual oder zum Gottesdienst brauchten. Sie waren auch dafür verantwortlich, dass die Küche koscher war. Heutzutage, nachdem ein paar der Oberrabbiner im Militär politisch sehr rechts standen, gibt es Militär-Rabbiner die der Meinung sind, dass Soldaten Mut zum Kampf zu geben auch ihre Aufgabe ist."

"Wenn man einem grausamen Feind Gnade zeigt, ist man grausam zu untadeligen und ehrlichen Soldaten. Dies ist im höchsten Maß unmoralisch. Dies sind keine Spiele in einem Freizeitpark, wo der Sportsgeist einen lehrt, Zugeständnisse zu machen. Dies ist ein Krieg gegen Mörder."

Ist die Zahal, die israelische Volksarmee also noch eine verlässliche demokratische Instanz, die auch in Zukunft den Weisungen der Politik Folge leistet? Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein.

"Ich geh davon aus, die israelische Armee wird ihre Pflichten erfüllen. Sollte das nicht der Fall sein, dann wird es ein schwarzer Tag für die israelische Demokratie sein."

Dem Erstarken der Religiösen in Israel und in der Zahal sehen säkulare Israelis jedenfalls kritisch entgegen.

"Letzte Umfrage 80 Prozent glauben an Gott, so wird das eine Herausforderung sein, jüdisch und demokratisch gleichzeitig zu sein. Ich sehe diesen Trend und als säkularer Jude mach ich mir darüber Sorgen."


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