Beten und dienen

Von Godehard Weyerer |
1966, trat der erste Berufssoldat jüdischen Glaubens in die Bundeswehr ein. Heute leisten rund 200 jüdische Soldaten ihren Dienst in den deutschen Streitkräften - Seite an Seite mit einer deutlich höheren und steigenden Zahl muslimischer Soldaten.
Sabehaioun: "Ich heiße Omar, bin 22 Jahre alt und bin seit Januar 2008 bei der Bundeswehr."

Karagöz: "Für mich kam ein Auslandseinsatz von vornherein nicht in Frage, das war einer der Beweggründe, warum ich dachte, verpflichten lassen musst du dich nicht."

B.K.*: "Da hat niemand gesagt, Mensch, was machst du denn da für in Turnakt. Meine Kameraden waren so nett, dass sie entweder den Raum verlassen haben oder für die zehn Minuten, die ich gebetet habe, ruhig waren oder den Fernseher ausgemacht haben, sich leise unterhalten aber oder so."

Külow: "Ich habe, glaube ich, eher damit zu tun, dass ich als Frau in der Bundeswehr bin, als dass ich Jüdin in der Bundeswehr bin. Das stellt eher Konflikte dar als in Bezug auf meinen Glauben."

Römer-Hillebrecht: "Für Yom Kippur und für die anderen hohen Feiertage gibt es in der Regel ohne große Probleme Sonderurlaub und wird auch gewährt. Das gleiche gilt für Sabbat-Dienste."

Jüdische Soldaten in deutscher Uniform. Das erregt Aufsehen, in den Reihen der Bundeswehr wie innerhalb der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Nach wie vor. Obwohl die kritische und offene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit zu einem gehörigen Maß an demokratischem Selbstverständnis geführt hat. Auch in den Kasernen. sagt Gideon Römer-Hillebrecht, Oberstleutnant im Führungsstab der Bundeswehr und Mitbegründer des Bundes jüdischer Soldaten:

"Der Talmud sagt ganz klar, das Juden, die in der Diaspora leben, dort das Gesetz zu befolgen haben. Wenn die Gesellschaft so ausgerichtet ist, dass es für Juden moralisch annehmbar ist, haben sie dort auch grundsätzlich Wehrdienst zu leisten. Das gilt ohne Frage rein aus dieser religionsphilosophischer Betrachtung heraus auch für das demokratisch-pluralistische Deutschland."

Juden in Deutschland unterliegen nicht der Wehrpflicht. Sie und mit ihnen alle Nachfahren der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung können sich formlos vom Dienst in der Bundeswehr freistellen lassen.

Külow: "Ich hatte eine schwere Zeit, als herauskam, dass ich nur Interesse an der Bundeswehr hatte, noch nicht mal den Wunsch, ja ich will Soldatin werden, sondern einfach nur, dass ich das Interesse hatte, war schon schwierig sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer."

Anne Külow, Leutnant, 22 Jahre alt, stammt aus Berlin. Im Sommer 2006, nach dem Abitur, ging sie zur Bundeswehr. Ebenso gut hätte sie zur Zahal gehen können, zu den israelischen Streitkräften:

"Ich hatte eine Diskussion in meiner Schule, ich war ja in der jüdischen Oberschule. Ich habe mich mit einem Mitschüler unterhalten, der zwei Jahrgänge unter mir war, es handelte sich um die Zahal, er wollte gerne F-16-Flieger werden. Ich habe festgestellt, dass auf meiner Schule sehr viel über die Zahal geredet wird, wir trugen T-Shirts von der Zahal. Ich habe mich gefragt, was macht denn eigentlich die deutsche Armee, weil ich lebe hier, das ist meine Heimat, mein Land."

Die Grundausbildung habe sie überstanden, schadlos wie die anderen auch, erzählt Anne Külow, und studiert nun Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Anne Külows Mutter ist zum Judentum übergetreten, bevor sie – die Tochter – geboren war. Sie ist von kleinauf jüdisch aufgewachsen und erzogen. In ihrer Familie aber ist niemand in den Konzentrations- und Vernichtungslagern umgekommen.

"Ich hatte auch welche in meiner Klasse, die haben teilweise über die Hälfte der Familie damals verloren. Da habe ich vollstes Verständnis dafür, dass diese Abneigung und Wut noch da ist. Aber, ja ... "

Bermes: "Wir bilden die Kommandeure, die Einheitsführer, die Spieße aus und sie wissen, welche Personen mit welchen Voraussetzungen in die Einheiten kommen. Sie kennen die entsprechenden Möglichkeiten, wie sie das Ganze managen, dass die solche soldatische Gemeinschaft positiv funktioniert."

Oberst Klaus-Dieter Bermes, Referatsleiter "Innere Führung" im Führungsstab der Streitkräfte. Rund 200 jüdische Soldaten leisten ihren Dienst in den deutschen Streitkräften - Seite an Seite mit einer deutlich höheren und steigenden Zahl muslimischer Soldaten. Ein jüdischer Militärrabbiner fehlt in den Reihen der Bundeswehr ebenso wie ein islamischer Betreuer. Oberst Gerhard leitet das Referat "Innere und soziale Lage der Streitkräfte":

"Es sind Voraussetzungen zu erfüllen. Die erste ist, dass anerkannte Glaubensgemeinschaften einen Bedarf artikuliert, dass man von einer bestimmten Anzahl von Gläubigen ausgehen kann, die sich von dieser Glaubensgemeinschaft auch wirklich vertreten fühlt. Dann geht man in Verhandlungen über Ausgestaltung dieser Militärseelsorge tritt, das fängt an, welches Personal muss ich stellen, welche Qualifikation wird an dieses Personal gestellt, wie sind die Leistungen der beiden Vertragspartner."

Anonymus: "Meine Eltern beten fünfmal am Tag; ich eigentlich nicht mehr so. Wenn ich fünfmal am Tag beten wollte, könnte ich das auch locker auf der Stube machen. Da bräuchte man keinen Gebetsraum. Das könnte man machen, wo man will."

Bundeswehr-Kaserne Seedorf im niedersächsischen Landkreis Rotenburg. Heimatbasis der Fallschirmbataillone 313 und 373. In der Stube des Zugführers sitzen zwei Hauptgefreite: Omar Sabehaioun und ein Kamerad, der anonym bleiben will.

Sabehaioun: "Ich bin auch Moslem, auch gläubig. Geht mir auch sehr nah, aber wie bei meinem Kameraden nicht sehr streng."

Anonymus: "Nein, ich bin selber noch nicht in eine solche Situation gekommen, wo meine Loyalität infrage gestellt wurde, es hat noch niemand gefragt, warum ich bei der Bundeswehr bin als Moslem."

Sabehaioun: "Ins Ausland mit der Bundeswehr steht nicht bevor. Ich hätte kein Problem damit, ich würde es machen. Was die Bundeswehr macht im Einsatz, finde ich richtig, weil die Rebellen geben sich als Moslem aus und das stimmt nicht; was die da machen, ist alles falsch. Die zeigen der Welt. Moslem sind nur radikal, töten einfach andere. Islam bedeutet Freiheit und Frieden."

Anonymus: "Ich sage mal, ich stehe bevor. Ich war noch nicht im Auslandseinsatz, aber der wäre möglich. Ich bejahe das auf jeden Fall und ich stehe auch auf jeden Fall dahinter."

Sie sind Christen, Muslime oder Juden. Sie tragen die deutschen Farben und die Uniformen der Bundeswehr. Auf dem Papier ist Integration für die Bundeswehr kein Thema. Die Praxis gestaltet sich diffiziler. Ein Hauptgefreiter berichtet anderes als ein Leutnant, und Zeitsoldaten erzählen anderes als Grundwehrdienstleistende wie B.K. und Muhammed Karagöz aus Bremen:

"Eines Tages waren wir am Schießstand, an dem Tag hatte ich einen schlechten Tag, hatte nicht so gut getroffen, wie gerne getroffen hätte. Als wir weggingen, sagte der Zugführer, und wie haben Sie abgeschnitten. Ich meinte, heute nicht so gut. Da meinte er, wieso denn eigentlich, Sie sind doch Moslem, Sie müssen doch gut schießen. Da kam so eine Bemerkung. Das war als Scherz gemeint, das fand ich aber nicht so lustig. Das war schon sehr stark grenzwertig."

In Österreich werden alle muslimische Soldaten – es sollen rund 500 sein - in Wien zusammengezogen. In der dortigen Maria-Theresia-Kaserne des Bundesheeres arbeiten zwei muslimische Militärseelsorger, seit 2004 gibt es dort einen islamischen Gebetsraum. Als Faustregel in Deutschland gilt: Ein Militärseelsorger betreut 1.500 Soldaten pro Standort und Konfession.

Karagö: "Für Gebetsräume zum Beispiel würde ich vorschlagen, dass man einen Ruheraum einrichtet. Ganz konkret würde ich vorschlagen, dass man in diese Räume keine religiösen Symbole reinsetzt, wenn man ein Bild aufhängt, könnte ein Moslem darin nicht beten. Man könnte ein Pfeil anbringen, der die Gebetsrichtung Richtung Mekka signalisiert. Eine Bank, einen Stuhl, ein Kissen. Das wäre sehr unproblematisch."

In Frankreich, der Hochburg muslimischer Soldaten in Europa, soll das Heer der muslimischen Militärgeistlichen bis 2011 auf 40 angewachsen sein. Dort gibt es sogar ein Ehrenmal für muslimische Soldaten. Und auf dem größten französischen Soldatenfriedhof liegen auf dem muslimischen Teil 576 Gräber, alle zur heiligen Stadt Mekka ausgerichtet. Auch die Schweizer Armee rüstet auf und richtet in den Kasernen Gebetsräume ein.

K.: "Ich bin auch der Meinung, dass ein Raum, der rein und sauber ist, mit einer ganz einfachen Wandfarbe völlig ausreichen würde, weil so hoch ist die Quote der muslimischen Soldaten in der Bundeswehr nicht, dass man ihnen einen Gebetsraum errichten müsste."

Dass auch die Bundeswehr auf dem Weg zu einer multiethnischen und multireligiösen Armee ist, zeigt die neugefasste Richtlinie über die Erkennungsmarke der Bundeswehr. Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens können sich auf Wunsch ein entsprechendes Kürzel auf ihre Erkennungsmarke prägen lassen. ISL steht für islamische Religionsgemeinschaft. Bisher gab es nur E für evangelische Militärseelsorge und K für katholische Militärseelsorge. Jüdische Soldaten wählen das Kürzel JD. Eine Verpflichtung, die Religionszugehörigkeit auf die Erkennungsmarke zu stanzen, besteht allerdings nicht.
*Name ist der Redaktion bekannt.