Reise zu den "Rübenschädeln"
Eine düstere Kolonialgeschichte aus Sibirien erzählt die junge tschechische Autorin Petra Hulová. Sie schickt einen Ethnologen in den harten Winter der Taiga und beschreibt eine barbarisch sowjetisierte Gesellschaft.
Was ist interessant an einem abgelegenen Dorf irgendwo im hintersten Sibirien? Die junge tschechische Autorin Petra Hulová hat eine Vorliebe für diese Weltgegend. 1979 in Prag geboren, studierte sie Mongolistik und Philosophie und ist immer wieder nach Sibirien gereist. Was sie dort faszinierte, war nicht nur die Fremdheit der Sitten und Lebensweisen, sondern zugleich die Ähnlichkeit mit der tschechischen Situation: Der Prozess der Sowjetisierung und der postkommunistische Umbruch liefen dort ungeschminkter, brutaler und tragischer ab.
Der Roman "Endstation Taiga" macht das deutlich. Hulová erfindet einen dänischen Hobby-Forscher, der im Jahr 1946 in ein Dorf namens Charýn aufbricht, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Er lässt seine Frau in Kopenhagen zurück und kehrt niemals wieder. Nur noch ein pflichtschuldiger Brief von ihm trifft ein, dann nichts mehr. 60 Jahre später reist ein junger Ethnologiestudent auf dessen Spuren dorthin, um herauszubekommen, was mit ihm geschah.
Damals wie heute stehen sich in Charýn russische Siedler und ursprüngliche Bevölkerung gegenüber. Hulová erzählt eine asiatische Kolonialgeschichte, die der Geschichte der Indianer in Amerika ähnelt. Sie ist geprägt von Unverständnis, Ignoranz und Rassismus. Die Russen bezeichnen die Ureinwohner als "Rübenschädel" und behandeln sie wie minderwertige Sklaven, sind aber zugleich von ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten abhängig, um im harten Winter überleben zu können. Und wenn die Russen auf archaische Sitten wie den Brauch, die Toten den Vögeln zum Fraß vorzuwerfen, herunterschauen, so haben sie doch Arbeitslager zu verantworten, in denen Gefangene "wie faules Obst zu Boden fallen". Und sie setzen Kolchosen in die Steppe, die zwar der Ideologie, doch nicht den Lebensbedingungen entsprechen und erzeugen damit ihren eigenen Barbarismus. Der dänische Gast verliert sich in dieser gefährlichen Welt, ruft auf allen Seiten nur Misstrauen hervor und wird zum Gefangenen des Dorfes und seiner eigenen naiven Vorstellungen - bis hin zum grausamen Ende.
"Endstation Taiga" ist ein Roman, in dem man wie in der Weite der sibirischen Steppe verloren gehen kann. Die Menge der Figuren und Erzählstränge zwischen Charýn und Kopenhagen, die Parallelität der Zeitschichten und die Undurchschaubarkeit der Handlungen und ihrer Motive machen die Lektüre zur Herausforderung. Das wirkt so, als habe auch die Autorin zwischendurch das Ziel aus den Augen verloren. Stark ist sie, wenn sie Landschaften und Stimmungen beschreibt. Die Enge der sozialistisch geprägten Zivilisation wirkt in der bedrohlichen Weite der Natur geradezu beklemmend. Ihre Figuren aber sind nur Skizzen, denen es an Tiefe mangelt, so dass man sich nicht wirklich für sie interessieren kann.
Hulová gilt als eine der großen Hoffnungen der jungen tschechischen Literatur. Zu rühmen ist sie dafür, dass sie nicht die üblichen Romane übers Erwachsenwerden oder die eigene Kindheit schreibt, sondern ihr Thema gefunden hat. "Mich hat immer die Welt der alten Menschen interessiert", sagte sie einmal. Das gilt auch für diesen rätselhaften, düsteren Roman.
Besprochen von Jörg Magenau
Petra Hulová: Endstation Taiga
Roman
Aus dem Tschechischen von Michael Stavarič
Sammlung Luchterhand, München 2010
480 Seiten, 10,00 Euro
Der Roman "Endstation Taiga" macht das deutlich. Hulová erfindet einen dänischen Hobby-Forscher, der im Jahr 1946 in ein Dorf namens Charýn aufbricht, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Er lässt seine Frau in Kopenhagen zurück und kehrt niemals wieder. Nur noch ein pflichtschuldiger Brief von ihm trifft ein, dann nichts mehr. 60 Jahre später reist ein junger Ethnologiestudent auf dessen Spuren dorthin, um herauszubekommen, was mit ihm geschah.
Damals wie heute stehen sich in Charýn russische Siedler und ursprüngliche Bevölkerung gegenüber. Hulová erzählt eine asiatische Kolonialgeschichte, die der Geschichte der Indianer in Amerika ähnelt. Sie ist geprägt von Unverständnis, Ignoranz und Rassismus. Die Russen bezeichnen die Ureinwohner als "Rübenschädel" und behandeln sie wie minderwertige Sklaven, sind aber zugleich von ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten abhängig, um im harten Winter überleben zu können. Und wenn die Russen auf archaische Sitten wie den Brauch, die Toten den Vögeln zum Fraß vorzuwerfen, herunterschauen, so haben sie doch Arbeitslager zu verantworten, in denen Gefangene "wie faules Obst zu Boden fallen". Und sie setzen Kolchosen in die Steppe, die zwar der Ideologie, doch nicht den Lebensbedingungen entsprechen und erzeugen damit ihren eigenen Barbarismus. Der dänische Gast verliert sich in dieser gefährlichen Welt, ruft auf allen Seiten nur Misstrauen hervor und wird zum Gefangenen des Dorfes und seiner eigenen naiven Vorstellungen - bis hin zum grausamen Ende.
"Endstation Taiga" ist ein Roman, in dem man wie in der Weite der sibirischen Steppe verloren gehen kann. Die Menge der Figuren und Erzählstränge zwischen Charýn und Kopenhagen, die Parallelität der Zeitschichten und die Undurchschaubarkeit der Handlungen und ihrer Motive machen die Lektüre zur Herausforderung. Das wirkt so, als habe auch die Autorin zwischendurch das Ziel aus den Augen verloren. Stark ist sie, wenn sie Landschaften und Stimmungen beschreibt. Die Enge der sozialistisch geprägten Zivilisation wirkt in der bedrohlichen Weite der Natur geradezu beklemmend. Ihre Figuren aber sind nur Skizzen, denen es an Tiefe mangelt, so dass man sich nicht wirklich für sie interessieren kann.
Hulová gilt als eine der großen Hoffnungen der jungen tschechischen Literatur. Zu rühmen ist sie dafür, dass sie nicht die üblichen Romane übers Erwachsenwerden oder die eigene Kindheit schreibt, sondern ihr Thema gefunden hat. "Mich hat immer die Welt der alten Menschen interessiert", sagte sie einmal. Das gilt auch für diesen rätselhaften, düsteren Roman.
Besprochen von Jörg Magenau
Petra Hulová: Endstation Taiga
Roman
Aus dem Tschechischen von Michael Stavarič
Sammlung Luchterhand, München 2010
480 Seiten, 10,00 Euro