David Diop: "Reise ohne Wiederkehr"

    Liebe über ideologische Grenzen hinweg

    05:09 Minuten
    Das Cover des Buches "Reise ohne Wiederkehr" von David Diop. Darauf ist ein Papagei abgebildet.
    © Aufbau Verlag

    David Diop

    Aus dem Französischen von Andreas Jandl

    Reise ohne WiederkehrAufbau, Berlin 2022

    238 Seiten

    22,00 Euro

    Von Claudia Kramatschek · 12.04.2022
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    David Diop erzählt von einer verbotenen Liebe im Zeitalter der Aufklärung und des Sklavenhandels. Dabei erinnert er an einen Wissenschaftler, der Unerhörtes wagte. 2021 war es der erste französische Roman, der den Booker Prize erhielt.
    August 1806. Der französische Botaniker Michel Adanson liegt im Sterben, voller Bedauern darüber, dass er seinen lebenslangen Traum – die 120-bändige Enzyklopädie „Orbe universel“ – nicht verwirklichen konnte. Doch noch etwas treibt ihn um. Es sind die Erinnerungen an eine junge Afrikanerin, in die er sich 50 Jahre zuvor ebenso unsterblich verliebt hatte wie in das Land, in dem sie zu Hause war: den Senegal.

    Wunderheilerin und Rassengrenzen

    Dort trifft Adanson, eine historisch verbürgte Figur, 1752 ein, im Alter von 23 Jahren. Sein Ziel ist es, unbekannte Pflanzen zu entdecken, um als Wissenschaftler selbst einen Namen zu erlangen.
    Mit im Gepäck hat er allerdings die seinerzeit gängigen Lehren und Vorurteile des weißen Westens gegenüber Schwarzen: Diese seien von Natur aus eine unterlegene Kultur und ergo Sklaven. Doch Adanson lernt die lokale Sprache und wird eines Besseren belehrt, spätestens als er einer Wunderheilerin namens Maram begegnet. Er verfällt ihr und wagt damit das Undenkbare: die Rassengrenzen zu überschreiten, die dem Zeitalter der Aufklärung noch als gegeben schienen.
    Als der lokale Gouverneur Anspruch auf Maram erhebt und sie als Slavin nach Amerika verkaufen will, riskiert Adanson sein Leben für sie – um das ihre zu verwirken. Gebrochen kehrt er zurück nach Frankreich, heiratet und scheint das Vergangene überwunden zu haben. Doch ein unglücklicher Vorfall – just als eine Veröffentlichung der geplanten Enzyklopädie in greifbare Nähe rückt – ruft ihm Maram und seine Zeit im Senegal zurück ins Gedächtnis.

    Raffiniert komponiert

    Er beschließt, seine Erinnerungen, die den wahren Michel Adanson ausmachen, aufzuschreiben, und sei es nur für seine Tochter Aglaia. Sie ist es, die diese geheimen Hefte – so lautet auch der Untertitel des Romans – retrospektiv für uns öffnet. Sie ist es auch, die im Auftrag des Vaters jene junge Frau aufsucht, die möglicherweise Marams Tochter ist.
    Der Roman, bis in kleinste Details raffiniert komponiert, lässt das bei aller fiktionalen Spekulation bewusst offen. Doch Diop – selbst sowohl in Frankreich wie im Senegal zu Hause – lässt keinerlei Zweifel daran, dass er in diesem Roman kritisiert, was der kamerunische Historiker Achille Mbembe als „schwarze Vernunft“ bezeichnet hat: die negierte dunkle Seite der sogenannten Aufklärung, die der Ausbeutung und Unterwerfung der Schwarzen und damit auch ihrer Versklavung ideologisch die Bahn ebnete.

    Postkoloniale Debatte

    Zugleich trägt Diop dieser Ära, die zu seinem Spezialgebiet als Literaturwissenschaftler gehört, auch literarisch Rechnung, bis hinein in den – von Andreas Jandl süffisant ins Deutsche übertragenen – Sprachgebrauch dieser Zeit. „Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson“ hat insofern viele Gesichter: Der Roman erinnert an eine noch heute die postkoloniale Debatte prägende Ära. Er erweist einem Mann Hommage, der den Kolonialismus und den Sklavenhandel vor seiner Zeit infrage stellte. Und er erzählt von der Liebe zweier Menschen, die kulturelle und ideologische Grenzen zu überwinden hofften.

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