Reinout van den Bergh: "Eboundja“

Die Verwüstungen der Globalisierung

06:40 Minuten
Cover von Reinout van den Bergh "Eboundja" vor orangenem Aquarellhintergrund
Eboundja ist Sinnbild für einen neuen Kolonialismus. © Deutschlandradio / Kehrer
Von Frank Dietschreit · 27.02.2021
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Im Fischerdorf Eboundja in Kamerun bauen chinesische Investoren einen gigantischen Tiefwasserhafen. Jetzt ist dort nichts mehr, wie es einmal war. Der Fotograf Reinout van den Bergh zeigt die Zerstörung von Natur und Kultur.
Eboundja ist ein kleines Fischerdorf an der Küste von Kamerun. Das Leben der Menschen dort ist immer schon einfach und hart gewesen. Nichts deutete bisher darauf hin, dass sich irgendjemand für sie und ihr Schicksal interessierten könnte.
Doch dann hörte der niederländische Fotograf Reinout van den Bergh, der für seine sozialkritischen Recherchen schon die ganze Welt bereiste, dass in Eboundja extreme Veränderungen vonstattengehen. Der Fotograf fuhr in das kleine Dorf am Meer, kam immer wieder, oft für Monate. Er freundete sich mit den Bewohnern an und hielt mit der Kamera fest, wie und warum sich das Dorf und seine Bewohner veränderten.

Eboundja als Metapher für die Gier

Ihn hat interessiert und zugleich schockiert, was dort seit Jahren mit den Menschen in Eboundja, mit dem Dorf, der Umwelt, dem Meer und dem bis an die einfachen Hütten heranreichenden Urwald passiert. Was nicht mehr aufzuhalten und für ihn gnadenloser Ausdruck und erschreckendes Beispiel für den Wahnsinn, die Irrwege und Verwüstungen der Globalisierung ist, für die Rücksichtslosigkeit, mit der Natur und Lebensumstände von Menschen zerstört werden, um Profite zu machen und politischen Einfluss zu gewinnen.
Eboundja – das belegen seine erschreckend schönen Fotos – ist für ihn eine Metapher für die Gier, die Korruption und den Größenwahn einer kleinen einheimischen Elite, die sich einen feuchten Kehricht um das Schicksal der einfachen Menschen schert.
Eboundja ist Sinnbild für einen neuen Kolonialismus, bei dem die Großmächte – in diesem Fall China – erfolgreich versuchen, sich einen ganzen Kontinent als politische und wirtschaftliche Einflusszone zu sichern, als Rohstoffquelle auszubeuten, als Absatzmarkt und als Faustpfand in der großen Weltpolitik. Wer auch immer von dem profitiert, was an der Küste von Kamerun gerade vor sich geht, die Menschen in Eboundja sind es nicht.

Größenwahnsinniges Projekt

Ihr traditionelles Leben als Fischer ist vorbei, ihr Dorf dem Untergang geweiht, weil vor ihren Augen, dort, wo sie ihre Boote ins Wasser gelassen und zum Fischfang hinaus aufs Meer gefahren sind, ein gigantischer Tiefwasserhafen von chinesischen Investoren gebaut wird, die im Auftrag und mit dem Segen der chinesischen Staatsmacht agieren.
Sie haben sich als Gegenleistung für den Bau des Hafens das Recht gesichert, über Jahrzehnte hinweg die in Kamerun gefundenen Rohstoffe – vor allem Eisenerz, aber auch seltene Erden – abzubauen, über frisch angelegte Straßen und Schienen zum neuen Hafen zu bringen und von dort aus in alle Welt zu verschiffen, zu veredeln und damit ihren globalen Einfluss und ihre Macht zu stärken.
Dass für dieses größenwahnsinnige Projekt ganze Dörfer weichen müssen, der Urwald gerodet, das Meer verseucht, die Fischerei zerstört wird, lässt die chinesischen Investoren und die korrupte Kameruner Elite völlig kalt. Die Menschen von Eboundja wurden nicht gefragt, für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage gibt es keine finanzielle Entschädigung, nichts.
Sie können nur dabei zusehen, wie ihr Leben und ihr Dorf allmählich verschwinden, sie bekommen noch nicht einmal Arbeit auf den Baustellen, denn anders als frühere Kolonialmächte in Kamerun – erst waren es die Deutschen, dann die Franzosen –, die Straßen, Schienen, Häuser von einheimischen Arbeitskräften bauen ließen, bringen die Chinesen alles mit: Werkzeuge, Baustoffe und Arbeiter, denen es unter Androhung von Strafe verboten ist, mit den Menschen in Eboundja Kontakt aufzunehmen.

Der gigantische Hafen

Die Fotos erzählen davon, wie traurig, aber auch wie trotzig die Menschen sind, wie fassungslos sie sind, aber auch wie stolz sie ihr Schicksal meistern. Wir sehen zermürbte und müde Menschen, die mit melancholischem Blick am Strand stehen und hinaus aufs Wasser schauen: auf die riesigen Kräne und Schiffe, die den Meeresgrund umpflügen und ausbaggern und dort, wo eben noch die Wellen an einen sanften Strand rollten, allmählich ein gigantischer Hafen entsteht.
Wir erblicken dort, wo eben noch nichts als kleine Sandpfade und dichter Urwald war, staubige Pisten und schnurgerade asphaltierte Straßen entstehen. Wir beobachten, wie die Hütten der Einwohner immer mehr verfallen und die ganze dörfliche Struktur sich immer mehr auflöst, wie überall der Müll achtlos liegen bleibt und alte Autos im Matsch vor sich hin rotten. Wir merken, wie kaum jemand noch die Kraft hat, irgendetwas Sinnvolles zu tun oder sich aufzuraffen, dem Meer oder dem Urwald noch etwas zu essen abzugewinnen.
Wir sehen, wie sie gelegentlich noch einmal ihre Boote ins Wasser lassen und dann doch wieder nur mit leeren Netzen und Händen zurückkommen, wie sie vor und in ihren Hütten sitzen, nichts zu tun haben, außer dem alten Kofferradio zu lauschen, im Schaukelstuhl zu dösen oder mit leeren Augen aufs Handy zu starren, sich die Zeit damit vertreiben, mit dem Motorrad sinnlos durchs Dorf zu knattern.

Sinnlosigkeit und Tristesse

Aber eigentlich passiert nichts, was ihnen helfen könnte, Geld zu verdienen, die Gegenwart besser zu ertragen und die Zukunft zu meistern. Stattdessen verdunkeln Rauchsäulen die Sonne, und der einst satte, dichte, grüne Urwald gleicht allmählich einem ausgefransten, dreckigen Flickenteppich.
Manchmal gehen einige Bewohner zu einer riesigen Baugrube und stöbern im Müll, den die chinesischen Arbeiter dort hingeworfen haben, am Rande der Müllhalde stehen Plakate mit chinesischen Schriftzeichen: Was sie verkünden? Politphrasen und Parteiparolen? Ich weiß es nicht, und die letzten noch übrig gebliebenen Bewohner von Eboundja werden es auch nicht wissen. Etwas Schönes und Fröhliches wird es bestimmt nicht sein.
Wenn die Fotos irgendetwas Erbauliches zeigen, was den Menschen in Eboundja – und dem Betrachter – Hoffnung machen könnte, dann ist es die Schönheit der Menschen, der Stolz auf ihre Traditionen und Rituale: störrisch und aufrecht erdulden und erleiden sie ihr Schicksal. Einige bleiben in Eboundja, lassen sich nicht vertreiben, ziehen sich ein weißes Hemd oder eine bunte Bluse an, einen eleganten Anzug oder ein schickes Kleid, wenn sie abends beisammen sind oder ihre Toten ehren: lebende Mahnmale einer dem Untergang und dem Vergessen ausgelieferten Kultur.

Sklaven der Globalisierung

Der Fotograf, das spürt man bei jedem Bild deutlich, liebt die Menschen von Eboundja, setzt ihnen ein zeitlos schönes künstlerisches Denkmal und wird von der Polizei dafür in Gewahrsam genommen. Seine Filme werden beschlagnahmt und ihm nahegelegt, das Land schnellstmöglich zu verlassen.
Kunst kann ziemlich gefährlich sein, aber eben auch grandios. Denn der Fotograf hat Silhouetten ausgestanzt. Und so schauen wir manchmal durch die ausgestanzten Körper-Silhouetten der Menschen hindurch auf das nächste Bild, den nächsten Menschen, den Urwald, das Dorf, das Meer. Alles, sagt uns der Blick durch diese fantastischen Silhouetten, ist miteinander verbunden, jeder gehört zu jedem. Mensch und Natur sind eins. Niemand ist allein.
Das ist ein großer Trost. Es wird aber die, die für das Desaster verantwortlich sind, die sich bereichern und im Namen des Fortschritts gewachsene Strukturen und Kulturen zerstören, die den alten durch einen neuen Kolonialismus ersetzen und die Menschen zu Sklaven der Globalisierung degradieren, gewiss nicht von ihrem schauderhaften und schändlichen Handeln abhalten.

Reinout van den Bergh: "Eboundja"
Kehrer-Verlag, Heidelberg/Berlin 2020
200 Seiten, 88 Farbabbildungen und Laser-Stanzungen von Silhouetten aus Eboundja, 48 Euro

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