Reihe über soziale Gerechtigkeit

Ein Bürgermeister auf Hartz-IV-Niveau

Horst Klukas vor dem Ortsschild Gallins.
Horst Klukas ist ehrenamtlicher Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern. Der 61-Jährige arbeitet täglich für die Gemeinde. © Deutschlandradio/ Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 29.08.2017
Holger Klukas ist ehrenamtlicher Bürgermeister in fünf Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern. Der 61-jährige Ingenieur erhält dafür aber noch nicht einmal die volle Ehrenamtspauschale. Sie wird mit seinen Hartz-IV-Leistungen verrechnet. Dagegen setzt er sich zur Wehr.
Zu Gast in Gallin, einem der fünf Gemeindedörfer. Dazu gehören noch Zahren, Penzlin, Daschow und Kuppentin. Vor einem weiß getünchten Haus am Dorfrand bringt Holger Klukas sein kleines, grünes Auto zum Stehen.
Frage: "Wie alt ist der denn schon?"
Hr. Kuklas: "16, 17 Jahre. Der klappert schon, ne? Jetzt sind die Stoßdämpfer auch dahin. Ja, der is schon was älter, aber fährt."
Frage: "Müssen Sie denn viel fahren in Ihrer Eigenschaft als Bürgermeister?"
Hr. Klukas: "Ja. Und wenn ich einmal alle Dörfer abgeklappert habe und auf dem kürzesten Weg gefahren bin, dann sind das 26 Kilometer. Einmal rum!"
Hinein ins Gemeindezentrum. "2008 selbstgebaut", sagt Holger Klukas: "Das ist erst nach meiner Amtsübernahme entstanden. Das war vorher der Werkraum von der Schule. Hier rechts ist die Turnhalle. Da können wir gern auch mal reingucken...Jetzt hier lang...Das haben wir ohne Fördermittel hingekriegt. Sind wir ganz stolz drauf."

Soziale Gerechtigkeit hat sich die SPD in diesem Wahlkampf ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Aber auch alle anderen Parteien wollen mit dem Thema punkten und Wähler gewinnen. Wir fragen in unserer Reihe "Ist unsere Gesellschaft wirklich ungerecht?" - und stellen Menschen vor, die eigentlich alles richtig machen, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.

Küche, kleines Büro, großer Gemeinderaum - heute belebt durch den Damenkreis Gallin. Jeden Donnerstag Kartenspielen, Singen, Kaffeeklatsch, und Bürgermeister Klukas schaut gern vorbei, erzählt und hört zu. Eine Nachrichtenbörse in der 480-Einwohner-Gemeinde.

"Ich kann doch nicht immer nur zu Hause sitzen und meckern"


Begonnen hatte es 2006, als Ersatz für den schwer erkrankten damaligen Bürgermeister gesucht wurde, erinnert sich der gebürtige Mecklenburger:
Das Gemeindezentrum in Gallin. Selbstgebaut und ohne jegliche Fördermittel - darauf ist Klukas besonders stolz.
Das Gemeindezentrum in Gallin. Selbstgebaut und ohne jegliche Fördermittel - darauf ist Klukas besonders stolz.© Deutschlandradio/ Silke Hasselmann
"Und da bin ich dann angesprochen worden von Bürgern: 'Mensch, Du kriegst Hartz 4, hast doch Zeit. Willste nicht Bürgermeister werden?' Und da hab ich gesagt (lacht): 'Nö, will ich nicht.'"
Doch dann habe er sich mit seiner Frau beraten: "Ich sag: Ich kann doch nicht immer nur zu Hause sitzen und meckern. Ich bin auch ein Kind der DDR; ich habe gelernt, immer irgendwas auch für die Gesellschaft zu machen und für andere, weil man ja nicht immer nur auf etwas warten kann. Wenn man wartet, passiert sowieso nix. Tja, und da bin ich mit fast 70 Prozent gewählt worden."
Seitdem sei er jederzeit und überall ansprechbar, spätestens jeden Donnerstag von 16 bis 17 Uhr in seinem kleinen Bürgermeisterbüro: "Wir haben nicht mal einen Telefonanschluss. Das einzige, was wir hier haben, ist ein Computer. Der ist aber auch schon --- den müssen wir noch mit Dampf heizen, damit der überhaupt läuft (lacht). Aber die Sprechstunde mach´ ich schon seit 2006, praktisch von Anfang an. Es gibt Tage, da sitzen sie hier zu dritt und einer lauert auf den anderen. Es gibt Tage, da bin ich auch alleine. Aber zu tun gibt´s trotzdem. Der Computer muss gepflegt werden, die Dateien. Es müssen Aushänge gemacht werde - also irgendwas ist immer."
Dazu kommen die wöchentlichen Fahrten nach Lübz in die zuständige Amtsverwaltung. Der Kampf für die Wiedereröffnung einer stillgelegten "Südbahn"-Teilstrecke. Die Vorbereitung des Frühjahrsputzes. Bürgerbesuche bei runden Jubeltagen.

"Weil ich Hartz-IV-Empfänger bin, werde ich schlechter gestellt"

Holger Klukas beim Singen im Gemeindezentrum Gallin.
Zu tun hat Holger Klukas als ehrenamtlicher Bürgermeister genug. Der Ärger ist nur die Bezahlung. © Deutschlandradio/ Silke Hasselmann
Deshalb erhalten ehrenamtliche Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern eine monatliche Aufwandspauschale - bei Holger Klukas sind es derzeit 350 Euro. Eigentlich. Denn anfangs bekam er die volle Summe ausgezahlt:
"Aber 2011 hat die damalige Arge (Bundesagentur für Arbeit, d.A.) mit irgendeiner Dienstanweisung beschlossen: Das ist als Einkommen zu werten. Tja, und damit war ich raus aus dem Rennen. Also ich kriege im Prinzip zwei Drittel ausbezahlt. Das andere Drittel wird mit angerechnet."
Und zwar mit seinem Arbeitslosengeld II, von dem der 62-jährige Maschinenbau-Ingenieur und seine Frau leben - nach vielen Jahren in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Weiterbildungen und Zeitarbeitsjobs:
"Wenn ich jetzt Arbeit hätte, dann hätte ich die 350 Euro gekriegt. Bloß weil ich Hartz-IV-Empfänger bin, werde ich auch noch schlechter gestellt. Das ist 'ne Sache, wo ich Ungerechtigkeit empfinde bis zum Gehtnichtmehr."
Selbst zeitlebens parteilos, wandte sich Holger Klukas an allerlei Berufspolitiker - bis hoch zum SPD-Ministerpräsidenten in Schwerin.
"Alle haben sie mir geschrieben: 'Mensch Klukas, gut, dass du das machst und dass du so'n Ehrenamt - das ist ganz wichtig. Mach das bloß weiter! So Leute wie dich brauchen wir!' Aber es ist alles rechtlich. Wir können da im Prinzip nichts machen. 'Nun habe ich vor lauter Übermut und um mal zu gucken an Herrn Schulz geschrieben, der ja so für soziale Gerechtigkeit kämpft. Der hat dann zurückgeschrieben - oder seine Leute – 'Ja, warten Sie mal ab. Lassen Sie erst mal die Wahlen vorbei und dann würden wir uns schon kümmern.'"
Ob und wann das geschieht? Holger Klukas winkt ab und wendet sich zwei Bauern zu, die in seine Bürgersprechstunde gekommen sind. Es geht um die Bewirtschaftung der Weiden in der gemeindeeigenen Sandkuhle von Gallin. Holger Klukas kümmert sich - und zwar sofort.
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