Flüchtlingshilfe auf dem Land

Die Helfer von Höxmark

Aus Afrika stammende Flüchtlinge sitzen in einem Zelt einer Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
Die Kommunen in Deutschland sind bei der Betreuung der Flüchtlinge auf Freiwillige angewiesen. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Wibke Starck  · 03.09.2015
Die Ankunft von immer mehr Flüchtlingen stellt vor allem die Kommunen vor große Probleme: Die Menschen müssen untergebracht und versorgt, Besuche bei Ärzten und Behörden organisiert werden. Ehrenamtliche helfen dabei - oft am Rande ihrer Kräfte.
"… Donnerstag ist der TAG X, weil immer donnerstags werden die Flüchtlinge auf die Kreise verteilt, das heißt auch erst ab Donnerstag, weiß der Kreis, was auf ihn zu kommt, das Amt …"
Januar 2015. Der stellvertretende Bürgermeister, Dieter Olma, informiert die Bewohner der Gemeinde Brodersby im äußersten Norden Schleswig-Holsteins über die bevorstehende Aufnahme von Flüchtlingen im ehemaligen Pflegeheim im Ortsteil Höxmark. Im März zogen dann die ersten Flüchtlinge ein und es folgten weitere.
Anfang Mai wurde im schleswig-holsteinischen Flüchtlingspakt beschlossen, die Unterbringung von Flüchtlingen, Zitat: "an den örtlichen Gegebenheiten und Bedarfen auszurichten." Allerdings landen derzeit nach wie vor viele Menschen unterschiedlichster Nationen auf dem Land. – In Gegenden, wo der kleine Laden schon vor Jahren geschlossen hat, Schulen in zentralen Dörfern zusammengelegt wurden und Busse nur noch selten fahren. In Orten, wo darauf geachtet wird, ob der Nachbar sein Unkraut jätet, wo sich aber auch schnell jemand um ihn kümmert, wenn er es nicht mehr jäten kann. Dort wohnen nun also weit mehr Nationalitäten als noch vor einem Jahr.
"… wenn wir unsere Bevölkerungsstruktur halten wollen, dann müsste jede gebärfähige Frau sieben Kinder bekommen. Das schaffen wir so nicht und deswegen hören Sie das auch öfter in den Nachrichten: Wir brauchen Zuwanderung! Und warum nicht auch hier? Für sämtliche Regelungen ist zuständig das Ordnungsamt …"
Die Ankunft von Flüchtlingen in diesen Gegenden ist nicht immer nur mit Skepsis verbunden, sondern oft auch mit ein wenig Hoffnung. Deshalb bereitet man sich vor. Mittels Powerpoint-Präsentation erläutert Olma, dass es zwei Sozialpädagogen geben wird, die die Flüchtlinge im Amtsgebiet betreuen; auch in Höxmark sollen sie Orientierungshilfe leisten, bei Alltagsfragen ebenso helfen wie bei Behördengängen.
Außerdem ...
"… sollen die beiden und das Amt dafür sorgen, dass wir eine gute Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern haben. Und da würde ich sagen, davor setze ich erst mal: Wir müssen erst mal welche haben!"
Das Amt, das die Unterbringung der Flüchtlinge organisiert, rechnet offenbar fest mit ehrenamtlicher Unterstützung. Auch die Landesregierung plant in ihrem Flüchtlingspakt Ehrenamtliche fest ein. Willkommenskreise sind politisch gewünscht. Und es scheint, als entwickle sich hier eine weitere feste Größe auf dem Dorf – nach dem Ehrenamt in der Freiwilligen Feuerwehr, beim Sportverein und dem Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes nun also auch: die Flüchtlingshilfe. Denn ohne Ehrenamtliche geht es nicht.
"Das macht Spaß. Das macht Spaß, weil das menschliche Begegnungen sind, die ganz spannend sind, weil das aus so unterschiedlichen Kulturkreisen herrührt. Also das beste Beispiel war, dass ich einer Mutter mit Baby alles besorgen wollte, was meine Babys auch hatten, und nachher gemerkt hab: Sie braucht das gar nicht für ihr Baby. Sie braucht was ganz anderes. Nämlich Kontakt zu anderen Müttern mit Baby. Und das hat mich zum Nachdenken gebracht. Warum sind die hier, was wollen die überhaupt – also das hat mich so inspiriert, mich mit anderen Sachen, Kulturen und sonstwas auseinander zu setzen, das war toll. Das hätte ich so nie gemacht."
Willkommenscafé wurde zur Beratungsstelle
Wiebke kommt aus Fleckeby – einer Gemeinde mit immerhin rund 2000 Einwohnern, aber im Dorferfährt man die Neuigkeiten genauso gern beim Bäcker wie aus der Zeitung. Als Wiebke von den Flüchtlingen hörte, hat sie sie in ihrer Unterkunft besucht.
"Das hat bei mir gedauert, sechs Wochen musste ich meinen Mut zusammen nehmen, bis ich dann dahin bin und geklopft hab' und überhaupt mal in gebrochenem Englisch und mit Händen und Füßen und ich weiß nicht was den Namen rausgekriegt habe, oder wie es denen geht und wie lange die schon hier sind, was sie brauchen oder ob sie Hilfe brauchen und ..."
... und kurz darauf traf sie sich mit weiteren Engagierten und gründete den Willkommenskreis Fleckeby – und ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, worauf sie sich da einlässt. Das schnell organisierte Willkommens-Café, das eigentlich zum lockeren Austausch gedacht war, wurde bald zur Beratungsstelle in Behördenangelegenheiten. Die Ehrenamtlichen mühen sich, Formulare und Anträge zu erklären, deren Amtsdeutsch sie selbst oft kaum verstehen. Migrationsberatungsstellen, die eigentlich in diesen Dingen hilfreich wären, gibt es erst in der nächsten Kleinstadt, Öffnungszeiten: alle zwei Wochen für gerade mal zwei Stunden. Im Willkommenskreis duzt man sich und nennt sich beim Vornamen, so möchten die Helferinnen es auch in dieser Sendung. Beispielsweise Karin, aus dem Helferkreis Damp.
"Ich hab die Erfahrung gemacht, dass viele von den Flüchtlingen am Anfang meinen, dass jeder, der ihnen vorgestellt wird oder ihnen begegnet, dass der ihnen helfen kann, auch rechtlich helfen kann. Dass wir alle ehrenamtlich arbeiten, ist für die meisten Flüchtlinge überhaupt nicht begreiflich, das verstehen sie gar nicht."
Die meisten Flüchtlinge kennen Hilfe unter Verwandten oder Nachbarn, nicht aber unter Fremden. Es entsteht ein unübersichtliches Durcheinander: Wer ist für welche Fragen zuständig, welche Unterstützung ist von Amtsseite zu erwarten? Die schlichte Bitte einer Kosovarin nach einem Termin beim Gynäkologen löst eine Kettenreaktion aus. Werden Dolmetscher bei Arztbesuchen bezahlt oder nicht, wie ist es mit den Fahrten dorthin, wenigstens im Notfall, was ist ein Notfall? Gibt es ein weiteres Zimmer, wenn eine Familie Nachwuchs erwartet? Fragen über Fragen. Oft können die Freiwilligen helfen, häufig aber nur begrenzt.
"Und diese Hilfe ist dann natürlich gefragt, wenn man Sorgen und Nöte und Angst hat, ausgewiesen zu werden. Also spricht man mit allen Leuten darüber. Und erhofft sich von jedem dann wieder Hilfe. Diese ehrenamtliche Hilfe bezieht sich ja nur auf alles rundherum, aber nicht auf das Entscheidende: Kann ich hier bleiben oder nicht?"
"… es kostet natürlich ein bisschen mehr! Wenn ich in Eckernförde Flüchtling bin, dann kann ich zu Fuß zum Amt, dann kann ich zu Fuß zur Tafel, dann kann ich zu Fuß alle möglichen Sachen machen – wenn ich in Höxmark Flüchtling bin, dann kann ich das alles nicht! Das heißt die Mehrkosten durch Fahrten, kann man da was anschieben, dass da was extra gezahlt wird …"
Zurück in Höxmark. Der dortige Willkommenskreis steht schließlich – dank frühzeitiger Vorabinformation – gut vorbereitet in den Startlöchern, als die ersten Bewohner im ehemaligen Pflegeheim eintreffen. Neben allem nötigen anderen kümmert man sich zunächst intensiv um Fahrradspenden. Denn der nächste Lebensmittelladen, die Landarztpraxis und der Kindergarten sind vier Kilometer entfernt. Höxmarker verfügen in der Regel über ein Auto und sind schnell in der nächsten Stadt oder im Einkaufscenter auf der grünen Wiese, Flüchtlinge nicht. Gemeinsam mit ihnen werkeln Helfer nun einmal die Woche an alten Fahrrädern. Eine Selbsthilfewerkstatt hätte sich zuvor schon mancher einheimische Fahrradfahrer gewünscht, kannte dies aber nur vom Hörensagen aus der Großstadt – jetzt gibt es sie auch hier. Ein Gewinn für alle.
"… wie können wir denen Hilfestellungen leisten bei Behördengängen? … die müssen nach Eckernförde auf jeden Fall … nach Rendsburg oder nach Neumünster. Wie kommt man da hin? Wie kommt man mit dem Bus morgens von Höxmark nach Neumünster und ist abends wieder zu Hause? Ich glaub, das geht gar nicht."
Wegstrecken auf dem Dorf sind ein Problem
Fahrräder genügen nur für die kleinen Wege. Kaum aus der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster im Dorf angekommen, mussten die ortsunkundigen Flüchtlinge wenige Tage später zur Behörde, um ihren Asylantrag zu stellen – Termin um 8.00 Uhr. In: Neumünster! 85 km Wegstrecke. Mit Bus und Bahn circa drei Stunden Anfahrt. Erste Verbindung: Abfahrt 7:50 Uhr in Eckernförde. Ohne den Einsatz der Helfer hätte da sicher so mancher die erste Hürde schon nicht geschafft: erscheint jemand nicht termingerecht, kann sein Asylantrag als zurückgenommen betrachtet werden, erfuhren die Ehrenamtlichen bei ihrem Hilfsgesuch vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.
Die Brodersbyer hatten ja geahnt, dass es in ihrer strukturschwachen Gegend manche Herausforderungen geben würde. Nun zeigen sich diese ganz konkret. Sollte man Flüchtlinge also lieber gar nicht erst in der Provinz unterbringen? Sondern allenfalls in den "Mittelzentren", wie vom Flüchtlingsbeauftragten des Landes gefordert? Wäre das angesichts der großen Hilfsbereitschaft, die sich mancherorts zeigt, nicht eine verschenkte Möglichkeit? Dieter Olma:
"Also ich persönlich finde das gut, dass Flüchtlinge da sind. Ich sehe da auch eine gewisse Chance, … wir sind eigentlich hoffnungslos überaltert und ich würde mich schon freuen, wenn man entsprechend junge Leute – und das meiste sind junge Leute, sogar sehr qualifizierte –, wenn man die im Bereich halten könnte. Und ich sehe es nicht, dass man Angst haben muss, dass sie uns was weg nehmen. Ich sehe da mehr Chancen als Risiken."
Auch die große Politik spricht im Zusammenhang mit Flüchtlingen gerne und oft von Fachkräftemangel und demografischem Wandel. Das war noch anders, als Anfang der 1990er-Jahre zahlreiche Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien bei uns eintrafen. Die Willkommenskreise waren damals noch nicht so verbreitet – schon gar nicht in kleinen Landgemeinden.
"Durch das, dass man die jetzt eben einbindet und nicht allein lässt, man merkt es, die nehmen solche Gepflogenheiten an: Da fährt dann ein Araber vorbei, der 'Moin, Moin' sagt. Und man merkt, die wollen sich einbringen, die haben bei der Müllsammelaktion gleich mitgemacht, wenn man hinkommt, wird man gleich empfangen, kriegt Einladungen zum Essen, soll sich da hinsetzen, also das ist schon eine tolle Erfahrung."
Auf dem Land ist wegen der langen Wege vieles sicher schwierig; hinzu kommt manch skeptischer Einwohner, der noch nie mit einem Menschen aus anderen Nationen gesprochen hat, aber ganz genau weiß, "wie diesind". Aber: Man lernt sich rasch kennen, wenn man will. In Fleckeby werden die Flüchtlinge zum Kirchenfest mitgenommen, in Höxmark machen sie beim Seifenkistenrennen mit, der VfL Damp-Vogelsang freut sich über neue Mitglieder im Sportverein, die vorübergehend kostenlos dabei sein dürfen. Man grüßt sich auf der Straße und nimmt die Kinder auf dem eigenen Weg mit zum Kindergarten.
Aber kann man mit Flüchtlingshilfe Demografie-Probleme lösen? Serpil Midyatli, migrationspolitische Sprecherin im Schleswig-Holsteinischen Landtag:
"Wenn es gut gemacht ist, auf jeden Fall, und wenn man alle Seiten mitnimmt, also die Menschen vor Ort, die schon lange dort leben und die Menschen, die neu dazu kommen. Aber das muss ja auch alles irgendwie zusammen passen. Aber wir machen schon die Erfahrung, dass Integration auch im ländlichen Raum sehr, sehr gut gelingt. Weil manchmal die kleineren Strukturen es doch einfacher machen, dass die Menschen sich schneller kennen lernen, weil man sich einfach öfter über den Weg läuft und es kann absolut eine Chance sein."
Midyatli wird derzeit auf manche Veranstaltungen geladen, wo es genau darum geht. Im Frühjahr war sie in Nordfriesland:
"Dort ist es so, dass sich da wirklich ein Dorf Gedanken darüber macht, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als sie eigentlich müssten. Und sie wollen aber von vorn herein überlegen, was müssen wir bereitstellen, damit die, die kommen, auch wirklich bleiben. Also die wollen nicht, dass das eine Übergangsstation wird für die Flüchtlinge, sondern dass die auch wirklich dauerhaft bei ihnen im Dorf dann bleiben. Da hat man gesagt: Wie müssen wir uns eigentlich verändern, damit wir mehr Menschen aufnehmen können. Also genau andersherum gedacht."
Ehrenamtliche als Überbringer schlechter Nachrichten
Bekäme man auf dem Land mehr Unterstützung in Sachen Infrastrukturausbau, könnte man hier einen guten Platz für Migration bieten. Mancher Willkommenskreis wünscht sich beispielsweise ein "Sozialticket", mit dem Einkommensschwache günstiger Bus und Bahn nutzen könnten. Davon würden alle profitieren, Einheimische wie Flüchtlinge. Eine Unterstützung, die deshalb zugleich dem sozialen Frieden dienen würde, heißt es doch sonst schnell: "Für die Flüchtlinge gibt es Geld, aber was ist mit uns?"
"Das Pärchen war so schockiert, die hatten natürlich einen Rechtsanwalt, der ihnen schon gleich geholfen hat, und mit diesem Rechtsanwalt habe ich auch lange ausführlich gesprochen, obwohl ich selber mir von ihm hab sagen lassen, er sieht keine Chance."
Karin aus dem Helferkreis Damp ist derzeit ein wenig ernüchtert. Sie hat sich mit einem jungen Ehepaar aus dem Irak angefreundet und ist jetzt erstmals komplett ...
"... down. Ja. Das kommt eben, weil man der Ansprechpartner von diesen Familien ist und mit Dingen konfrontiert wird, die einen selber auch schockieren. Bei dem Pärchen, das ich betreue, ist es so, dass sie nach dem Dublin-III-Verfahren eingestuft sind …"
Das Dublin-III-Verfahren ist unter Flüchtlingshelfern immer wieder in der Diskussion. Asylbewerber, die auf ihrem Weg nach Deutschland einen als sicher geltenden Drittstaat durchquert haben, werden ohne Prüfung der Verfolgungsursachen und sonstiger Hintergründe aus Deutschland abgeschoben. Denn sie hätten schließlich schon da einen Asylantrag stellen können. Ob sie dort ein faires Verfahren bekommen hätten, interessiert dabei nicht. Und so bekam auch das von Karin betreute junge Paar die Aufforderung, Deutschland wieder zu verlassen.
"Jetzt kriegt ihr Eure Papiere, irgendwann demnächst Euren Flugtermin und dann müsst ihr weg. Das war schon eine Sache, die musste ich erst mal verdauen und auch überlegen …"
Wie sinnvoll ist es? Wie sinnvoll ist es, jemanden monatelang hier zu haben, mit ihm Deutsch zu üben, zu sprechen, alles durchzumachen, Hoffnungen zu hegen, vielleicht schon mal im Hintergedanken zu haben, wenn das ganze Verfahren durchlaufen ist: Wo kriegt man eine Wohnung usw.? Und dann heißt es plötzlich: Nein, ist nicht. Das interessiert uns gar nicht, warum ihr hier seid.
Die beiden jungen Iraker lernen seit Monaten intensiv Deutsch – obwohl sie auf den staatlich geförderten Kurs noch keinen Anspruch haben. Und mit diesen ersten Sprachkenntnissen helfen sie den Ehrenamtlichen jetzt schon im Umgang mit Neuankömmlingen. Denn Menschen, die Arabisch dolmetschen können, sind auf dem Lande rar. Die beiden möchten in Deutschland bleiben – aber sie dürfen nicht.
"Ja, das ist nicht so einfach gewesen. Und daran habe ich nach wie vor zu knabbern. Denn was noch dazu kommt, ist ja dies: Durch den engeren Kontakt, den wir haben, bin ich auch diejenige, die negative Nachrichten vermitteln muss. Und das ist ganz schön schwer."
Nicht die Innenminister sind es, die den Flüchtlingen gegenüber sitzen, die die Post vom Amt erläutern müssen. Die ehrenamtlichen Helfer sind es. Sie müssen klar machen, dass es nicht ihre Entscheidung ist und nicht ihre mangelnde Unterstützungsbereitschaft, wenn die Menschen abgeschoben werden. Bei aller Bereicherung, die Wiebke durch ihr Engagement für Flüchtlinge erlebt hat, ist auch sie des Öfteren frustriert. Ihr fehlt es an gelebter Willkommenskultur gerade dort, wo sie sie durchaus erwartet hätte:
"In Deutschland ist es einfach so strukturiert, dass alle deutsch sprechen müssen, wenn sie etwas haben wollen. Es gibt kaum Anträge – mittlerweile gibt es das Gott sei Dank, das hat aber auch die letzten zwölf Monate hervorgebracht – Anträge auf fremder Sprache. Es ist ganz schwer, in deutsche Strukturen reinzukriegen, dass man sich da öffnen muss. Es gibt beim Jobcenter immer noch Mitarbeiter, die kein Englisch können, aber Flüchtlinge bearbeiten. So was kommt immer noch vor. Da müssen sich Deutsche ein bisschen bewegen."
Trägheit der Behörden erschwert Freiwilligenarbeit
Das weiß und bedauert auch Serpil Midyatli. Zumal wenn die Arbeit der Ehrenamtlichen erschwert wird, weil die Kooperationsbereitschaft so mancher Behörde vielleicht etwas träge ist.
"Eigentlich könnte man ja dankbar sein, dass die Flüchtlinge von Ehrenamtlichen begleitet werden. Aber jetzt im ländlichen Raum – die sind das vielleicht auch gar nicht gewohnt gewesen, mit so vielen Menschen aus so vielen verschiedenen Nationen umzugehen.
Ob Ordnungsämter, Sozialämter, Jugendämter, Jobcenter oder Ehrenamt – eigentlich alle, die mit Flüchtlingen zu tun haben, sind durch den derzeitigen Ansturm überlastet. Und im Umgang mit ausländischen Mitbürgern kann noch vieles besser werden, meint auch Serpil Midyatli:
"Wir haben inzwischen auch die Möglichkeit, dass man Interkulturelle Kompetenztrainings machen kann, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch zu schulen. In einigen größeren Städten haben die Ausländerbehörden zumindest das schon mal absolviert, damit man bei Menschen aus anderen Kulturen auch weiß, warum sie bei einigen Themen vielleicht anders reagieren, als andere Bevölkerungsgruppen, das ist auf jeden Fall was, was man flächendeckend ausweiten müsste."
Und auch in der Bevölkerung muss sich mancher noch bewegen, wenn das willkommen heißen anderer Kulturen nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben soll. Wiebke beispielsweise hat erlebt, dass es auf dem Land zwar eine große Hilfsbereitschaft gibt, wenn es darum geht, alte Kleidung, Möbel, Geschirr und Fahrräder zu spenden. Es gebe aber nach wie vor große Vorbehalte, wenn die Menschen nach ihrer Anerkennung als Flüchtling aus der Asylunterkunft ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen wollen.
"Das ist natürlich schwierig, weil man vorher keinen Anspruch auf Deutschunterricht hatte. Wenn man das nicht ehrenamtlich bekommen hat, dann kann man ja auf Serbokroatisch oder auf Suaheli oder auf Russisch kaum hier eine Wohnung finden. Ich weiß auch nicht, wie das ist, als ledige Mutter aus Schwarzafrika, ob man hier sofort einen Vermieter findet."
Die ersten Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, sind bereits wieder weg: umgezogen, vom Dorf in die Stadt. Nach Rendsburg, Schleswig, Itzehoe. Dorthin, wo nicht ein Großteil des Geldes für Busfahrkarten drauf geht, wo es Menschen gibt, die nicht nur Deutsch und Plattdeutsch sprechen, dorthin wo "multikulti"bereits zum Straßenbild gehört.
"Weil sie da andere Eritreer treffen oder weil da schon eine syrische Gemeinschaft ist. Und ich kann es so gut verstehen, dass sie dahin wollen, weil sie da noch weniger einsam sind. Das ist einfach schwer, so etwas zu organisieren."
Manche dürfen nicht bleiben, manche können nicht bleiben, manche wollen auch nicht bleiben. Dann schickt das Amt die nächsten Neuankömmlinge nach Höxmark, Damp, Fleckeby und in andere Dörfer und Gemeinden. Und die Willkommenskreise beginnen mit jedem Flüchtling und jeder Familie wieder von vorn – vor allem aus Menschlichkeit, aber auch in der Hoffnung, dass dann doch mal jemand bleibt.
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