Reihe über soziale Gerechtigkeit

Bei der Pflege der Mutter verarmt

Jemand hält die Hand eines alten Menschen.
"Pflege macht dich arm. Und auf andere Weise reich", sagt Renate Lonn, die sich jahrelang um ihre schwerstkranke Mutter gekümmert hat. © dpa / Hans Wiedl
Von Elin Rosteck · 30.08.2017
Renate Lonn hat sieben Jahre ihre schwerstkranke Mutter gepflegt - und ihren Beruf als Sekretärin aufgegeben. Hätte sie ihre Mutter damals in ein Pflegeheim gegeben, hätte der Staat sich an den Kosten beteiligt. So aber steuert die 60-Jährige direkt auf die Altersarmut zu.
"So, heute haben wir lange geschlafen. Wegen Emma. Wegen Sturm Emma. Jetzt sind wir wach. Jetzt singen wir einen..."
Ein Video, vor vielen Jahren aufgenommen. Man sieht darin: Renate Lonn auf dem Sofa. Neben ihr die Mutter. Die hält sich an einigen Stofftieren fest und hat die Augen zusammengekniffen.
Nach und nach entspannt sich die alte Dame und singt sogar mit. Ein kleines Wunder, das nur die Tochter zustande bringen kann. Sie pflegt ihre Mutter, sieben Jahre lang rund um die Uhr. Und davor, mit Unterbrechungen, auch schon viele Jahre.
"Pflege macht dich arm. Und auf andere Weise reich."
Renate Lonn vor einer Fotowand in ihrer Wohnung.
Renate Lonn vor einer Fotowand in ihrer Wohnung.© Elin Rosteck
Erst hat die Mutter Krebs. Dann beginnt die Demenz, fortschreitend, irreversibel. Am Ende liegt sie nur noch im Bett, kann nur über ihre Augen kommunizieren. Renate, die Tochter kümmert sich, zieht am Ende sogar bei der Mutter in die Wohnung. Keine Kinobesuche mehr, keine Freunde, und vor allem: kein eigenes Einkommen.
"Da gibt's ja diesen Irrglauben, dass das Pflegegeld für die Angehörigen ist. Ist es nicht. Es wird für die Betroffenen, also für die Patienten, verwendet."

Pflege ist Privatsache

Die Tochter lebt damals von der Rente der Mutter, knappst das bisschen ab, was sie für sich zum Leben braucht. Nach dem Tod der Mutter muss Renate Lonn Hartz IV anmelden. Keine Kur, keine Erholung, keine Extra-Behandlung.
"Das ist eine Riesenungerechtigkeit, was man da mit uns macht..."

Soziale Gerechtigkeit hat sich die SPD in diesem Wahlkampf ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Aber auch alle anderen Parteien wollen mit dem Thema punkten und Wähler gewinnen. Wir fragen in unserer Reihe "Ist unsere Gesellschaft wirklich ungerecht?" - und stellen Menschen vor, die eigentlich alles richtig machen, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.


Renate Lonn engagiert sich politisch, im Verein "Wir pflegen", Sparte: Pflege macht arm. Renate Lonn wird arm sein im Alter.
"Jeder denkt ja, wir bekommen eine Rente nach einem fiktiven Gehalt. Wir bekommen sogar Rentenpunkteabzüge, wenn wir uns auch nur erdreisten, ein Mal die Woche, im Monat, eine Hilfe anzunehmen, da gibt es schon Rentenabzüge."
Jobaussichten? Fehlanzeige, in ihrem Alter. Renate Lonn ist 56, als die Mutter stirbt, heute schon 60.
1,9 Millionen Menschen in Deutschland pflegen einen Angehörigen, Tendenz steigend. Ein Pflegefall dauert im Durchschnitt sieben Jahre. Dennoch gibt es keine staatliche Stelle für pflegende Angehörige nach der Pflege. Pflege ist Privatsache.
"Ich war ganz schön neben der Spur. Dass ich mich gefragt habe, ob das sogar eine Art Traumatisierung gewesen ist."

Wunsch: Gehalt für pflegende Angehörige

Von gesetzlichen Neuerungen in der Pflege bekommt Renate Lonn damals nichts mit. Aber es hat sich seit 2008 vieles verändert, einiges sogar verbessert. So sollen hauptberufliche Pflegekräfte bald mehr Geld verdienen. Prima, sagt Renate Lonn, aber was ist mit Leuten wie ihr?
"Wenn du Pflegekräfte da hast, der Tag hat 24 Stunden, dann hast du die ein zwei Stunden am Tag und gut ist, den Rest machst du. Du eignest dir was an, alles für deinen Menschen und du kämpfst. So, und da fühle ich mit wirklich ungerecht behandelt, wenn ich dann in Hartz IV stehe, wo ich nicht hingehöre."
Immerhin, das Amt hat sie bis heute nicht in die Pflege gesteckt, wo sie mit ihrer Erfahrung mit Kusshand genommen würde, als Hilfskraft. Aber Pflege, das hat sie nur für ihre Mutter getan. Gerne getan.
"Pflege macht dich arm. Und auf andere Weise reich."
Sie wünscht sich ein Gehalt für pflegende Angehörige, die wie sie alles andere hingeben. Dann würde sie sich jetzt nicht so bestraft fühlen, dann hätte sie auch selbst Anspruch auf eine kleine Rente. Aber klar, das würde den Staat viel Geld kosten. Das will keine Partei recht anpacken.
Sie hat sich informiert, Aug' in Aug' vor Ort, an den Wahlständen, bei allen Parteien.
"So, wo ist hier bei Ihnen der Punkt für pflegende Angehörige, wie sehen Sie das? Die waren ja ehrlich genug... Ich habe wirklich das Empfinden, dass man sich abfinden muss damit. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich für pflegende Angehörige richtig was tut."
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