Reihe: Schöne Bescherung

Verhunzte Unikate

Blick in den Saal des ICC, der 5000 Personen fasst, während des Fernsehwunschkonzerts. Das Internationale Congress Centrum Berlin (ICC) wurde mit der ZDF-Sendung "Musik ist Trumpf" in Betrieb genommen.
Zur Eröffnung des Kongresszentrums ICC in Berlin wurden Fotos von Gerhard Ullmann angekauft - heute hängen sie halb kaputt im Foyer. © picture alliance / Dieter Klar
Von Jochen Stöckmann |
Im Berliner Kongresszentrum ICC befinden sich mehr als 100 Originalabzüge des Architekturfotografen Gerhard Ullmann. Allerdings verkommen seine Bilder dort, weil sie unsachgemäß behandelt werden und sich niemand für sie verantwortlich fühlt.
Wer etwas über die Baugeschichte Berlins erfahren will, der stößt unweigerlich auf den Namen des 2012 verstorbenen Fotografen und Architekturkritikers Gerhard Ullmann. 1970 etwa erschien seine Fotoserie über den Alltag in der Wohnsiedlung Märkisches Viertel im Fachblatt "deutsche bauzeitung“, aber auch unter der Schlagzeile "Leben im Ameisenhaufen“ im Magazin "Stern“. Der ausgebildete Architekt zeichnete die Geschichte der Kreuzberger Hinterhöfe mit einer Ausstellung und in einem reich bebilderten Katalogbuch nach. Er beleuchtete Probleme und Chancen der IBA 87 in Wort und Bild, analysierte mit exemplarischen Aufnahmen die Folgen des Mauerfalls oder verfolgte in einem Bildessay die Veränderungen im städtischen Leben an der Karl-Marx-Allee. All das weiß Wilfried Dechau zu schätzen, denn der langjährige Chefredakteur der "deutschen bauzeitung“ hat viel von Ullmann veröffentlicht. Skeptisch reagiert Dechau allerdings, als er von der "Kunst am Bau“ hört, einer Arbeit Ullmanns, die 1980 zur Eröffnung des Berliner Kongresszentrums ICC angekauft wurde.
"Ich hab ein bisschen ein Problem mit der Kunst am Bau, weil das den über ihre Provinz nie hinausgekommenen Künstlern so ein durch die Stadt zugesichertes Zubrot war, damit sie der Stadt nicht sonst auf der Tasche liegen. Na, vielleicht sind auch gute Sachen dabei herausgekommen, das will ich nicht in Abrede stellen, aber es fallen einem dann doch eher die Objekte ein, wo es einen schaudert."
Zählen Ullmanns ICC-Fotos auch zu dieser zu Recht vergessenen "Kunst am Bau“? Es bedarf einiger Telefonate, um diese Frage in dem vor einer grundlegenden Asbestsanierung oder dem endgültigen Abriss stehenden Kongresszentrum ganz konkret zu beantworten. Nach der Anmeldung beim Pförtner beginnt die Suche. Und dann, vor einem der Auditorien, vier ungewöhnlich große, fast zwei Meter hohe Schwarz-Weiß-Abzüge, Aufnahmen der Arbeiter, die beim Bau des ICC über die in den Himmel ragenden Stahlgerüste balancieren. Eine ungewöhnliche Architekturfotografie, aber für Kongressbesucher heute kaum noch einen Blick mehr wert: die Bilder sind lädiert, in den Ecken klaffen tiefe Löcher, ragen unförmige Befestigungsschrauben hervor. Eine Etage tiefer dann, im Dämmerlicht des menschenleeren Foyers eine ganze Galerie kleinerer Aufnahmen im Format 24 mal 36 Zentimeter. Die Zählung ergibt: Hier werden – seit 1980 – insgesamt 110 Originalabzüge ausgestellt, darunter zehn Großformate. Um genau zu sein: Die Fotos wurden einigermaßen achtlos hingehängt, einige sind aus den teilweise gesplitterten Wechselrahmen verschwunden. Also Kunst am Bau – as usual?
"Da möchte man die Hausmeister patschen dafür"
"Bei Ullmann, jetzt wo ich die Bilder gesehen hab, da krieg ich einen Schauder aus ganz anderen Gründen. Das tut mir richtig weh, das anzusehen, wie Fotos wirklich guter Qualität so verhunzt sind. Da nützt es ja noch nicht einmal was, diese Bilder aus dem ICC zu retten: Die Bilder sind längst kaputt, weil sich keiner darum gekümmert hat."
Dass Ullmanns Fotos heute noch ins Auge springen, zeigt sich in Berlin-Mitte in einer Ausstellung der Kunststiftung Poll. Auch dort sind Originalabzüge zu sehen, eine erste Auswahl aus dem umfänglichen Nachlass, der noch weitgehend unbearbeitet ist. Als Kenner der Architekturfotografie und besonders von Ullmanns Werk entdeckt Dechau viele alte Bekannte. Und mit Blick auf die Fotos im ICC befürchtet er das Schlimmste:
"Ich habe von Ullmann so viele Bilder gezeigt bekommen, so viele Bilder gesehen. Da wundert es mich schon, dass ich eine solche ausgezeichnete Baustellenfotografie-Serie von ihm nie gezeigt bekommen habe, sie selber nie gesehen habe. Und wenn das dann die einzig übriggebliebenen Originale und damit inzwischen – in Klammern: verhunzten – Unikate wären, dann wäre es extrem schade darum. Da möchte man die Hausmeister patschen dafür, dass sie dann auch noch mit untauglichen Mitteln, mit dem Bosch-Hammer oder ich weiß nicht womit durch die Bilder durchgebohrt haben um sie irgendwie an der Wand zu befestigen. Es tut weh!"
Doch auch wenn sich die Negative der ICC-Serie im Nachlass finden sollten, sind die Schäden irreparabel. Denn Gerhard Ullmann hatte selbst für die Auswahl der Motive und die Abzüge gesorgt, im Berliner Kongresszentrum verkommt also so etwas wie eine "Foto-Installation“, ein Unikat, etwas Einmaliges. Aber niemand stemmt sich gegen diesen Verlust. Die Berliner Senatskulturverwaltung lehnt jede Verantwortung ab mit der Begründung, dass es sich gar nicht um "Kunst am Bau“ handelt: Tatsächlich wurden Ullmanns Fotos 1980 aus "zusätzlichen Mitteln“ von der Messe AG erworben, wie es auf der Internetseite des ICC heißt. Damit aber befindet sich die Kunst zumindest indirekt im Besitz des Landes Berlin. Und irgendjemand sollte dort zuständig sein für die Pflege und Erhaltung – nicht nur dieser "schönen Bescherung“, sondern überhaupt aller Kunstbestände der öffentlichen Hand.
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