Michael Haneke wird 80

Der ungemütliche Moralist des Kinos

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Der österreichische Filmregisseur Michael Haneke
Hat die Mittel, um Zuschauer zum Nachdenken zu bringen: Der österreichische Filmregisseur Michael Haneke © picture alliance / Horst Galuschka/dpa
Von Anke Leweke · 22.03.2022
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Seine Filme sind eine Zumutung im besten Sinne, und radikal durchleuchtet Michael Haneke darin die Abgründe der bürgerlichen Existenz. Er will den Zuschauer zwingen, „seine eigenen Antworten zu finden“, sagt Haneke. Jetzt wird der Autorenfilmer 80.
Menschenversteher oder Marionettenmeister, Moralist oder Moralapostel? Eins ist jedenfalls klar: Der österreichische Regisseur Michael Haneke will sein Publikum herausfordern mit seinen unterkühlten Bildern, seinem sezierenden Blick auf Figuren, die wie Fremde in ihrem eigenen Dasein wirken.
Etwa die Mittelschichtsfamilie aus „Der siebente Kontinent“ deren Alltag so mechanisch wie ein Uhrwerk abläuft, deren Mitglieder gemeinsam unter einem Dach aneinander vorbei leben. 

Mit dem Anspruch, spannend zu erzählen

Man könnte auch von einer Konfrontation mit einer existenziellen Leere sprechen, die so zwingend erzählt ist, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Genau das erwartet Michael Haneke von einem Film. 

„Ich sage, wenn man ins Kino geht, will man anders rausgehen, als man reingegangen ist. Bei 90 Prozent der Filme, die man sieht, geht man ja gelangweilt raus. Es gibt aber wirklich Filme, die einem Herz und Hirn umdrehen, deshalb liebt man ja auch das Kino.“ 

Michael Haneke

Man kann von einer Zumutung im produktiven Sinne sprechen. Tatsächlich wirken Hanekes Figuren wie Marionetten, allerdings hängen sie an den Fäden einer Existenz, die sie sich selbst geschaffen haben.

Blick auf Abgründe der menschlichen Existenz

Gerade seine frühen Filme sind eine Auseinandersetzung mit einem Bürgertum, dessen Abgründe er ausleuchtet. Haneke selbst spricht von einer "Vergletscherung der Gefühle" angesichts einer Lebensweise, die nur darauf ausgerichtet ist, sich selbst zu erhalten. Und wer kein Mitgefühl mehr kennt, verliert auch das Gefühl für sich selbst und die nächste Umgebung.
So wie der Teenager aus „Benny’s Video“ aus dem Jahr 1992, der seine Umwelt nur noch medial vermittelt wahrnehmen kann. Sein Zimmer ist verdunkelt, die Kamera läuft. „Was ist das? Das ist die Aussicht! Welche Aussicht? Na ja, aus dem Fenster! Live?“ 

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Letztlich werden Hanekes bürgerlichen Familien von einer Gewalt eingeholt, die sie selbst geschaffen haben, die aus ihren eigenen Kreisen kommt. Weil er nichts mehr spürt, wird Benny eine Freundin wie ein Versuchskaninchen umbringen. Seine Eltern werden diesen Mord kaschieren.

Höflichkeit als Mittel der Bedrohung

Die adrett gekleideten jungen Männer aus „Funny Games“ mit ihren weißen Plastikhandschuhen wiederum verschaffen sich unter einem fadenscheinigen Vorwand Zutritt zu einem Ferienhaus.

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Von ihrer Höflichkeit geht etwas Bedrohliches aus. „Hören Sie zu, junger Mann, ich weiß nicht, was Sie für ein Spiel spielen. Ich denke jedenfalls nicht dran, mitzuspielen. Also gehen Sie jetzt bitte. – Was für ein Spiel? Entschuldigen Sie bitte gnädige Frau, ich weiß jetzt nicht, warum Sie unfreundlich sind. – Bitte gehen Sie.“ 

Der Zuschauer soll Antworten finden

Die beiden werden bleiben, und das Publikum muss mitansehen, wie eine Familie in quälend langen Einstellungen in Folterhaft genommen wird. Die Gewalt in diesem Film ist nicht konsumierbar. Haneke erläutert:

„Erklärungen sind immer Verharmlosungen. Erklärungen von so komplexen Vorgängen, wie sie Gewaltanwendungen im Allgemeinen vorausgehen, sind immer kurzschlüssig und werden speziell im Genrefilm immer nur zur Beruhigung des Zuschauers verwendet. Ich denke aber, dass es dem Zuschauer wesentlich mehr nützt, ihn mit den Fragen sehr intensiv zu konfrontieren. Und ihn zu zwingen, seine eigenen Antworten zu finden, weil nur diese ihm nutzen können.“

Hanekes Filme sind moralisches Kino

Das Publikum wird auf sich selbst zurückgeworfen. Mit seinen Filmen eröffnet Haneke Denk- und Diskursräume. Er lässt uns über eine Kindheit und Jugend nachdenken, die, wie in „Das weiße Band“, von Repression und Unterdrückung geprägt ist, und eine nachfolgende Generation hervorbringt, die diese Gewaltspirale fortsetzen wird.
Sein vor 18 Jahren in Frankreich gedrehter Film „Caché“ wiederum ist eine Aufforderung, sich mit einer jahrzehntelang verdrängten Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen.
Hanekes Kino ist ein moralisches Kino, weil wir uns dazu verhalten, weil wir darauf reagieren müssen. Und braucht es nicht auch ein tiefes Verständnis, um sich den Abgründen und Schwächen der menschlichen Existenz zu stellen? Michael Haneke tut das mit jedem seiner Filme radikal und schonungslos. Dabei gibt er die Hoffnung nicht auf, dass Veränderung möglich ist.
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