Regisseur Klaus "Bad Boy" Lemke

Verführung mit kleinen schmutzigen Geheimnissen

10:22 Minuten
Klaus Lemke bei der Preview des Kinofilms 'Ein Callgirl für Geister' im Theatiner Filmtheater München.
Freigeist des unabhängigen Kinos: Der Regisseur Klaus Lemke produziert seine Filme seit den 1960er-Jahren auf eigene Faust. © dpa/ Geisler-Fotopress/ Steffi Adam
Klaus Lemke im Gespräch mit Massimo Maio · 26.10.2021
Audio herunterladen
Klaus Lemke dreht Filme mit Laien und ohne Fördergeld, um frei zu sein. So entstand das Drama "Berlin Izza Bitch" und - mit Aufnahmen unvollendeter Filme aus über 50 Jahren - die Doku "Bad Boy Lemke": eine Liebeserklärung an das unabhängige Kino.
Fünfzig Euro auf die Hand pro Drehtag, zu diesem Kurs produziert Klaus Lemke seine Filme, oft mit Darstellerinnen und Darstellern von der Straße. Staatliche Förderung lehnt er ab. In ihr sieht der 1940 geborene Regisseur eine Ursache für unselige Abhängigkeiten und künstlerische Kompromisse, die dem deutschen Kino aus seiner Sicht enorm geschadet haben.

Werkschau abgebrochener Projekte

Im Laufe des eigenen Schaffens hat er viele Projekte abgebrochen, sei es aus Kompromisslosigkeit, sei es, weil ihm das Geld ausging oder Mitwirkende davonliefen. Aus zahlreichen Aufnahmen unvollendeter Projekte hat Lemke die autobiografische Dokumentation "Bad Boy Lemke" zusammengestellt – einen Film, der die Philosophie des Regisseurs gut zum Ausdruck bringt.
"Wenn es im Kino passiert, dass die übliche Religion der Dinge verblasst, und plötzlich findet man sich wieder in einer Filmfigur, dann brennen plötzlich tausend Kerzen in einem", sagt Lemke in der Dokumentation. Ein intensives Kinoerlebnis könne einem das Gefühl vermitteln, "dass man etwas besser zu sich selbst passt, wenn man aus dem Kino rauskommt".

Das Glück, aus dem eigenen Kopf zu verschwinden

"Film ist ein Versprechen auf das Glück, dass man mal eine Stunde aus sich selbst verschwinden kann", ergänzt Lemke im Interview. "Es ist pure Verführung: Man verführt die Leute erst mal mit kleinen, etwas schmutzigen Geheimnissen, und dann rutschen die da rein und vergessen jeden ideologischen Overdrive, werden diese Personen, leben mit diesen Personen auf der Leinwand, und der Plappermann im Kopf ist dann endlich mal ruhig."
Mit seiner kompromisslosen Haltung hat Klaus Lemke sich seit den 1960er-Jahren den Ruf eines Kino-Rebellen erworben. Frühe Filme wie "48 Stunden bis Acapulco", "Rocker" oder "Amore" genießen Kultstatus. Ein Dreh mit Brigitte Bardot scheiterte. Die Diva habe ihn beim Poker besiegt, erzählt Lemke, ihr Einsatz sei der Filmvertrag gewesen.

"Geballtes Bündel an Energie"

Lemkes jüngstes Werk "Berlin Izza Bitch", aufgenommen im Corona-Sommer 2020 und vom WDR als "haischwarze Komödie" im neapolitanischen Stil angekündigt, kreist um Gentrifizierung, Intrigen und Verführung: Eine 80-jährige Dame schaffe es, einen jugendlichen Liebhaber dahin zu bekommen, jemanden umzubringen und das dann zu vertuschen und zu beschönigen, erzählt Lemke. Dabei übertrage die Geschichte ein so "geballtes Bündel an Energie" auf das Publikum, "dass man hinterher den Film und den Fernseher in die Arme nehmen könnte."
Es klingt ganz danach, als sei der freigeistige Filmemacher seinem Credo in mehr als 50 Schaffensjahren bis heute treu geblieben. In "Bad Boy Lemke" bringt er es so auf den Punkt:
"Die einzige Antwort auf die geballte Irrationalität des Leben ist, dem Leben noch etwas irrationaler daherzukommen, indem man tapfer ins Dunkle stolpert, vielleicht auch mal in ein Kino, ohne zu wissen, was einen erwartet. Denn was vorher bewusst ist, betäubt nur den Instinkt, und der Instinkt ist das Einzige, worum es im modernen Film geht."
Mehr zum Thema