Regisseur Frank Castorf zum 70. 

Zwischen Trash und Theorie

05:06 Minuten
Intendant Frank Castorf (M) verabschiedet sich am 01.07.2017 in Berlin nach seiner letzten Vorstellung von "Baumeister Solness" (Ibsen) mit den Schauspielern auf der Bühne der Volksbühne.
Frank Castorfs beim Abschied von der Volksbühne im Juli 2017. Sein Theater ist ein Theater der Selbstverausgabung. © picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken
Von Susanne Burkhardt · 17.07.2021
Audio herunterladen
Er hat die Theaterlandschaft aufgemischt und die Volksbühne Berlin zum Kult-Ort gemacht: Der Verweigerer des Konsens, Frank Castorf, ist einer der wichtigsten Theatermacher dieses Landes. Zudem einer der meist nachgeäfften. Nun wird er 70 Jahre alt.
Frank Castorf hat das Theaterpublikum über viele Jahre verstört und begeistert. An seinem Haus, der Berliner Volksbühne, die er von 1992 bis 2017 leitete, wurden Regisseure wie René Pollesch, Herbert Fritsch, Dimiter Gotscheff, Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler berühmt, aber auch Schauspielerinnen wie Kathrin Angerer, Sophie Rois und Schauspieler wie Milan Peschel oder Henry Hübchen.
Seine stundenlangen Dostojewski-Abende sind längst Theaterlegende. Nachdem der Berliner Kultursenator Tim Renner vor vier Jahren seine Intendanz vorzeitig beendete, inszeniert Castorf heute als freier Regisseur: Oper in Bayreuth und Theater in Zürich, Wien, Berlin oder Hamburg.
Seine Bilanz bislang: in fast 30 Jahren an der Berliner Volksbühne mehr als 70 Inszenierungen. Postdramatisches Theater zu "angewandter Psychologie, Philosophie oder Pornografie", wie es Castorf selbst nennt. Wir verdanken ihm unvergessliche Russen: "Dämonen", "Erniedrigte und Beleidigte" und einen "Idiot".

Theater der Selbstverausgabung

Sein Theater: ein Gesamtkunstwerk zwischen Trash und Theorie, ein Theater der Selbstverausgabung. Das Gegenteil von Normalität. Grenzüberschreitendes Denken und die Ahnung der Möglichkeit einer anderen Gesellschaft.
Er habe immer versucht, sagte Castorf in den 90er-Jahren, "traurige Märchen über die Existenz des Menschen zu erzählen" und sich darüber der Tagespolitik zu nähern. Bei ihm heißt das auch: die Verweigerung des Konsenses. Freude an Paradoxien und die Ablehnung des Üblichen.

Ermüdend, aber unverwechselbar

Und überhaupt: Dagegensein, ob gegen Identitätspolitik, Genderdebatten oder Pandemieregeln. Castorfs Theater, das scheint heute manchmal das Ewig-Gleiche und mitunter nicht mehr ganz zeitgemäß. Und hin und wieder nach acht Stunden auch ein bisschen ermüdend. Dabei aber immer unverwechselbar.
Frank Castorf, der Eisenwarenhändler-Sohn aus Berlin, ist und bleibt einer der wichtigsten Theatermacher, die dieses Land hat. Und einer der meist kopierten und meist nachgeäfften und somit einflussreichsten. Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag!
Mehr zum Thema