Regisseur Apichatpong Weerasethakul

"Soldaten sind Teil des täglichen Lebens"

Moderation: Patrick Wellinski |
Der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul ist hierzulande immer noch ein Geheimtipp. Und das, obwohl er schon vor fünf Jahren die Goldene Palme von Cannes gewann. Ein Gespräch über seinen neuen Film "Cemetery of Splendour", die Rolle des Militärs in Thailand und die dortige Filmszene.
Patrick Wellinski: Ihr neuster Film soll, ihrer Aussage nach, ein sehr persönlicher Film sein, auch weil Sie "Cemetery of Splendour" in ihrer Heimatstadt gedreht haben. Stimmt das?
Apichatpong Weerasethakul: Ja. Wobei, ich würde sagen, dass jeder meiner Filme sehr persönlich ist. Doch ich glaube, dass mein neuster sehr stark ausdrückt, welche Gefühle und Emotionen ich gegenüber meinem Land, aber auch gegenüber meiner Heimatstadt habe. Und wissen Sie, es ist ja auch ein Kreis der sich mit diesem Film schließt. Meinen ersten Film vor 15 Jahren habe ich auch dort gedreht. Und jetzt kehre ich eben zurück.
Wellinski: Wie haben Ihre Kindheitserinnerungen an Ihre Heimat diesen Film denn jetzt direkt beeinflusst?
Apichatpong: Nun ja, es hat nicht nur mit mir zu tun. Das gilt für uns alle: Unsere Kindheitserinnerungen prägen uns sehr stark. Diese Zeit, in der wir gewisse Vorlieben entwickeln, die sehen, spüren und erleben, die uns für unser weiteres Leben formen. Und Filme drehen bedeutet für mich immer diesen formativen Jahren hinterher zu spüren. Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr wie alt ich bin. Diese filmischen Reisen ... wissen Sie ... rein filmisch bin ich noch Teenager.
Wellinski: In Ihrem Film befinden wir uns in einem Krankenhaus, in dem Soldaten von einer seltsamen Schlafkrankheit befallen sind. Das Krankenhaus als Ort, ist bei Ihnen recht häufig ein Element Ihrer Filme. Warum denn?
Apichatpong: Ich bin - wenn Sie so wollen - in Krankenhäusern aufgewachsen, weil meine Eltern Ärzte waren. Und wir lebten in speziellen Ärztewohnungen in der Nähe dieses Krankenhauses in meiner thailändischen Heimatstadt. Und das war mein Spielplatz. Ich verbrachte viel Zeit im Arztzimmer, im Krankenhausflur, spielte und beobachtete das Treiben dort.
Und für mich ist die Zeit, die sie im Krankenhaus erleben, eine andere Art der Zeit. Sie vergeht langsamer. Die Patienten warten ja. Sie warten auf Heilung, auf die Resultate oder ähnliches. Und dieser Rhythmus ist auf mich übergangen. Ich lebe in diesem Rhythmus und inszeniere so auch meine Filme.
"Rückwirkend schockieren mich all diese Killermaschinen noch heute"
Wellinski: Das Andere, das Ihre Filme prägt, das ist Ihre Faszination mit dem Militär. Also die Soldaten, die schlafen ja, sind müde vom Krieg, vom letzten, vom vorletzten und auch von dem davor - die Zeiten vermischen sich ja bei Ihnen - aber das Militär, das Sie zeigen, das ist ja nicht nur ein politischer Handgriff, oder?
Apichatpong: Nun, Soldaten und das Militär sind weiterhin ein Teil des täglichen Lebens in Thailand. Und so natürlich auch der Politik. Als ich aufwuchs, war das noch stärker. Sie waren überall. Und ich war als Teenager selbst beim Militär. Weil ich musste. Jeder Hochschüler musste in Thailand einmal die Woche zum Militärtraining. Und sie brachten uns das Schießen bei mit Waffen und Granaten. All diese Killermaschinen, wissen Sie, rückwirkend betrachtet schockiert mich das noch heute. Und ich versuche zu begreifen, wie das passieren konnte, dass das Militär so ein präsenter Teil unserer Politik wurde. Mein Blick auf diese Institution ist daher eine Mischung aus Wut und Traurigkeit. Aber gleichzeitig bin oder war ich selber Teil dieser Gewalt.
Wellinski: Aber wie politisch ist das Bild des "schlafenden Soldaten", der ja in Ihrem Film diesmal ganz im Vordergrund steht?
Apichatpong: Für mich gibt es viele Möglichkeiten, auf das Thema "Schlaf" zu gucken. Zum einen ist der Schlaf ja auch eine Möglichkeit der Realität zu entfliehen. Zum anderen kann es auch ein Symbol der Macht- und Kraftlosigkeit sein. Ich würde wohl eher zur ersten Sichtweise tendieren. Ich habe, wie Sie ja auch, Lebensenergie, doch ich will sie häufig Umleiten, in einen anderen Raum und Zeit schicken. Das kann man aber nicht kontrollieren. Es ist so wie mit Steuern. Sie zahlen sie, können aber nicht ganz bestimmen, für was das Geld ausgegeben wird. Und ich schicke meine Energie nun mal gerne an meine Freunde, Familie, Menschen die ich liebe. Aber ich weiß nicht, wie viel ankommt. Und ist erschöpfend. So denke ich auch über mein Verhältnis zu Thailand. Ich will es lieben, aber es kommt immer weniger zurück. Da hilft es vielleicht, sich in den Schlaf zu flüchten.
Regisseur Apichatpong Weerasethakul ist Thailands bekanntester Filmemacher.
Regisseur Apichatpong Weerasethakul ist Thailands bekanntester Filmemacher.© dpa/ picture-alliance/ The Nation
Wellinski: Sehen Sie sich denn eigentlich als dezidiert politischer Künstler?
Apichatpong: Nein, ganz und gar nicht. Bei mir ist es eher so: Ich liebe das Leben und sehe meine Kunst als eine andere Form des Tagebuchschreibens, meines ganz persönlichen Tagebuchs. Und wenn ich dann erlebe wie sehr sich Thailand in den letzten zehn Jahren verändert hat, wie sehr die Politik in unser Privatleben hineinfunkt, dann wird die Politik auf sehr natürliche Weise auch Teil dieses Tagebuchs.
Wellinski: Das Träumen und der Schlaf sind wichtige Motive in Ihrem aktuellen Film, aber überhaupt in all Ihren Werken, um ehrlich zu sein, auch denen die Sie nicht fürs Kino machen. Wie wichtig sind dahingehend Ihre eigenen Träume in diesem Kontext? Es gibt ja Regiekollegen von Ihnen, wie Billy Wilder oder Federico Fellini, die sehr stark auf ihre eigenen Träume zurückgegriffen haben ...
Apichatpong: Es gibt eine große Ähnlichkeit zwischen dem Prinzip Traum und dem Prinzip Kino. In beiden befinden wir uns im Dunkel und wir fernen auf eine Reise mitgenommen, in ein Gebiet, wo unser Bewusstsein zum Teil ausgeschaltet wird. Und auch ich notiere mit manchmal meine Träume und verwende sie in meinen Filmen. Besonders in meinem letzten Film "Onkel Bonmee erinnert sich an seine frühen Leben" war das der Fall. Für meinen jetzigen Film habe ich sehr viel über Schlafkrankheiten gelesen aber auch darüber, welche heilende Wirkung der Schlaf auf uns Menschen haben kann. Und seitdem denke ich auch, dass eine Verbindung zwischen unserem Wohlbefinden und dem Kino gibt. Das Kino kann uns heilen und uns helfen in dieser Welt zu überleben.
Wellinski: Das ist ein sehr schöner Gedanke, wenn ich das an dieser Stelle einmal sagen darf. Man muss sich ihren neusten Film voller Schichten vorstellen. Da ist eine sehr persönliche Schicht, von der haben wir schon gesprochen: Die historische des Landes. Es geht da um Könige und Königinnen, deren Geiste plötzlich in die Menschen von heute fahren. Und Sie als Regisseur sind immer sehr nach an den Mythen und Legenden Ihres Landes. Und vielleicht ist das nicht immer sehr verständlich für uns hier in Europa. Aber das Schöne in Ihren Filmen ist ja auch, dass die spirituelle Welt mit der normalen irgendwie koexistiert. Ist das etwas sehr thailändisches?
Apichatpong: Nun, glauben Sie mir, wenn heute ein Geist einem Thai begegnen würde, würde der auch voller Angst weg rennen. Aber es stimmt, ich will mit dieser Selbstverständlichkeit zeigen, dass wir im Grunde sehr entspannt mit unserer spirituellen Seite umgehen. Und das es da manchmal keine Grenze zwischen uns und der anderen unsichtbaren Welt gibt. Und das ist ein Teil der Kultur. Eine Mischung aus Hinduismus, Buddhismus und Animismus. Das zeigt ja auch wie wunderbar absurd meine Kultur ist, und wie sich das in unterschiedlichen Realitätsebenen wiederspiegelt.
"So eine interkulturelle Ehe wird als elegante Lösung vieler Probleme angesehen"
Wellinski: Sind Sie eigentlich ein gläubiger Künstler?
Apichatpong: Nicht wirklich. Ich glaube an die Freiheit. Daraus folgt natürlich, dass ich jeden Gläubigen respektiere und toleriere. Bei mir ist es eher so, dass ich mit dem Alter immer weniger empfänglich für das Übernatürliche bin. Aber ich interessiere mich verstärkt für spirituelle Zeichen und Symbole, die uns anzeigen, was und wann wir glauben. Und das prägt meine Arbeit eher.
Wellinski: Eine der beiden Frauen in Ihrem Film, mit der wir durch den Film wandern, hat einen ausländischen Ehemann. Und dann sehen wir Plakate in der Stadt, die dazu aufrufen Europäer zu heiraten, um in die EU zu kommen. Das ist etwas, das wir aus Ihren anderen Filmen auch kennen. Welche Bedeutung hat das denn für Sie?
Apichatpong: Der Film spielt ja in meiner Heimatregion, im Nordosten Thailands. Und das Phänomen der interkulturellen Ehepartnerschaft ist dort weit verbreitet. Vor allem zwischen jüngeren Thai-Frauen und älteren - vor allem - europäischen Männern. Der wichtigste Grund dafür ist die Tatsache, dass die Gegend die ärmste des Landes ist und so eine Ehe als elegante Lösung vieler Probleme angesehen wird. Und ich habe mich da am Leben meiner Schauspielerin orientiert. Ihr erster Mann war Hans, ein Deutscher. Und ihr dritter, das ist dieser sehr nette ältere Amerikaner. Und die beiden haben im echten Leben eine wunderbare Symbiose gefunden. Eine echte Liebe, die ich einfangen wollte. Meistens kommen die älteren Männer her, damit eine jüngere Frau sich um sie kümmert. Hier ist das anders herum. Er kam nach Thailand um für sie zu sorgen, weil sie gehbehindert ist. Es sind meine Freunde und ich bin stolz, dass ich diese Zärtlichkeit in meiner Arbeit wiedergeben konnte.
Wellinski: Sie kommen ja eigentlich aus der Installationskunst. Sie waren auf der Documenta präsent. In vielen Museen der Welt sind Ihre Arbeiten ausgestellt. Welche Rolle spielt denn da das Kino in dem ganzen Spektrum Ihrer Arbeit?
Apichatpong: Nun, meine Arbeiten kommen alle aus der gleichen Welt aber sie sind gleichzeitig komplett andere Wesen, andere Tiere, wenn Sie so wollen. Im Kino geht es ja vor allem darum das Publikum zu hypnotisieren und auf eine andere Reise mitzunehmen. Andererseits ist die Explosion unterschiedlicher Ausdrucksmomente in der Installationskunst ist für die Betrachter eine komplett andere Art der Erfahrung werden. Das Publikum ist dann weniger passiv, wird aktiviert, sie können umher wandern und ihre Aufmerksamkeitspanne wird so fragmentiert. Es geht mir also darum, die gleichen Themen und Motive auf unterschiedliche Weise auszudrücken.
Wellinski: Sie sind mit Abstand der bekannteste thailändische Filmemacher im Westen. Für uns jedenfalls werden Sie so zum Repräsentanten einer ganzen Filmkultur. Wie steht es denn gerade um das Kino in Thailand?
Apichatpong: Es sind vor allem wirtschaftliche und politische Einflüsse, die das Kino in Thailand gerade bestimmen. Das verhindert, dass eine junge Generation von Künstlern sich wirklich frei ausdrücken zu können. Die Filmstudios haben auch ihre Probleme, Filme zu finanzieren, weil unser Absatzmarkt recht klein ist. Viel Problematischer ist jedoch eine gewisse Selbstzensur, die bei uns vorherrscht, weil man Probleme mit dem Militärregime gar nicht erst eingehen möchte. Über diesen Mix an Einflüssen denke ich häufig nach. Ich ziehe mal negative, aber auch mal positive Schlüsse daraus. Weil es ja auch die Kreativität stärkt, wenn man sich möglichst subversiv ausdrücken muss. Aber wenn das Subversive zur Routine wird, ist das auch nicht gerade gut.
Wellinski: Aber wie ist das eigentlich. Sie sind ja dennoch sehr präsent im Ausland. Gewinnen regelmäßig die ganz großen Preise auf Filmfestivals. Hilft Ihnen diese Anerkennung im Ausland zu Hause Stoffe durchzusetzen, die so vielleicht nicht durchsetzen könnten?
Apichatpong: Ich denke: ja. Es ist sehr wichtig für Künstler, anerkannt zu werden, weil das der einzige Weg ist, gleichgesinnte Unterstützer zu finden und zu gewinnen. Egal, wo auf der Welt. Und ich habe dieses Glück ganz viele - verrückte - Menschen zu treffen. Menschen mit Geld, die dazu bereits sind, es in etwas zu investieren, dass sich finanziell nicht gerade lohnt, aber in ein Projekt, das etwas bedeutet. Und ich denke, dass das Künstlerdasein dahingehend eine ganz große unbekannte Reise für mich geworden ist.
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