"Künstlerische Freiheit durch Bestechung"

Moderation: Gabi Wuttke · 22.08.2007
Im Dezember wird es in Thailand Neuwahlen geben. Seit dem Putsch gegen Ministerpräsident Thaksin regiert eine Militärchunta. Die Journalistin Miriam Rossius hat einen Monat für die englischsprachige Tageszeitung "The Nation" in Bangkok gearbeitet. Sie berichtet über Doppelmoral, Korruption und darüber, wie sehr die Thailänder König Bhumibol verehren.
Gabi Wuttke: Thailand bereitet sich auf Neuwahlen vor. Im Dezember sollen sie stattfinden, also knapp drei Monate nach dem Verfassungsreferendum vom Sonntag, für das es weit weniger Zustimmung gab als erwartet. Vorgelegt wurde es von der Militärchunta, die vor knapp einem Jahr den eigensinnigen Ministerpräsidenten und Medienmogul Thaksin gestürzt hatte, und das mit Zustimmung des Königs. Als Rückkehr zur Demokratie hatte die Übergangsregierung ihren Entwurf angepriesen und tat, was alle thailändischen Regierungen tun. Sie machte den staatlichen Rundfunk zu ihrem Sprachrohr, was heißt, Kritik am Referendum gab es im Staatsfernsehen nicht. Meine Kollegin Miriam Rossius hat einen Monat für die große englischsprachige Tageszeitung "The Nation" in Bangkok gearbeitet. Jetzt ist sie her im Studio. Frau Rossius, wie unabhängig kann "The Nation" berichten?

Miriam Rossius: Also die Kollegen sagen, sie fühlen sich im Grunde kaum beschnitten. Ich konnte das zunächst nicht wirklich glauben. Aber es liegt zum einen daran, dass englischsprachige Tageszeitungen tatsächlich sehr viel weniger unter Aufsicht stehen als thailändische Zeitungen und dass Zeitungen im Allgemeinen weniger kontrolliert werden als zum Beispiel Radio, als beispielsweise Fernsehen, was für 80 Prozent der Bevölkerung die Informationsquelle Nummer eins ist. Und es hat aber auch damit zu tun, woran die Redakteure bei der "Nation" ihre Freiheit messen. Also sie sagen, es ist zumindest nicht schlimmer geworden als unter Thaksin, in der Zeit von...

Wuttke: Das ist ja relativ zu sehen.

Rossius: Also während der Regierungszeit von Thaksin haben sie ihn in seiner Amtsausübung sehr scharf kritisiert, er hat ihnen daraufhin den Geldhahn zugedreht in dem Sinne, dass er einfach allen Unternehmen, bei denen er mitmischte, gesagt hat, schaltet dort keine Anzeigen mehr. Und er hat bei einer Menge Unternehmen seine Finger im Spiel.

Wuttke: Allerdings.

Rossius: Die "Nation" hat das publik gemacht, diesen Anzeigenstopp, was ihnen eine Menge Anerkennung eingebracht hat, aber ein großes finanzielles Problem einfach darstellte, sodass die Redakteure sagen, wir haben uns in den vergangenen Jahren eine Art mehr oder weniger freiwillige Selbstkontrolle auch angewöhnt und davon müssen wir uns jetzt natürlich mühsam lösen. Die Zeiten, um das zu tun, sind nicht die besten. Aber sie bemühen sich darum. Die "Nation" ist auch mal entstanden aus der Demokratie und Studentenbewegung Thailands in den 70er Jahren. Also so leicht lassen die sich nicht beschränken und tanzen nicht so leicht nach der Pfeife anderer. Es wird also kritisch berichtet über die Militärregierung, auch über die Demonstrationen, die über Wochen fast täglich stattgefunden haben. Wenn sie die Zeitung aufschlagen, würde ihnen nicht sofort ins Auge springen, da ist irgendetwas zensiert, das scheint mir hier komisch. Aber es ist so, dass der Ton oft moderater ist, diplomatischer, als das, was wir gewöhnt sind. Man zieht es bei heiklen Themen mitunter vor, seinen Standpunkt andere vertreten, äußern zu lassen, indem man dritte zitiert – zum Beispiel den französischen Botschafter, wenn er also sagt, na ja, in Frankreich haben wir auch ein Ministerium für Kultur und Medien, das ist aber nicht da, um Kontrolle auszuüben, weil wir auf dem Standpunkt stehen, Kunst und Medien funktionieren sehr viel besser und machen nur Sinn, wenn sie sich entfalten können.

Wuttke: Und welche Tricks hat man angewendet, um eine, nehme ich jetzt mal an, kritische Position zu diesem Verfassungsreferendum auch kundtun zu können?

Rossius: Gar nicht unbedingt Tricks. Es wurde zum einen über diesen Entscheidungsprozess berichtet. Dazu haben ja sehr, sehr viele Leute Stellung genommen, Politologen, Leute aus dem Ausland, Wirtschaftsleute, die hat man zitiert, man hat Kolumnen für sie eingerichtet, pro und contra, also sodass man sich um eine ausgewogene Berichterstattung bemüht hat. Es gab auch kritische Kolumnen von Redakteuren der "Nation" selbst. Das musste gar nicht unbedingt so trickreich stattfinden. Es gab da auch nicht so viel Druck, was unter anderem daran lag, dass die "Nation" sich vorher durch diese heftige Kritik an Thaksin hervorgetan hat, was ihnen Pluspunkte brachte bei der Übergangsregierung.

Wuttke: Ich habe es eingangs erwähnt, in den Medien in Thailand gibt es drei große Tabus: die Monarchie, den Buddhismus und nackte Haut. Wobei ja Sextourismus und Thailand quasi als Synonyme verwendet werden. Also ist das ein schöner Fall von Doppelmoral?

Rossius: Ist es in jedem Fall. Man muss aber dazu sagen, Sextourismus macht nur einen ganz, ganz geringen Teil der Prostitution in Thailand aus. Das, was den Ausländern natürlich an den Urlaubsorten sofort ins Auge springt, ist dieser Sextourismus. Aber 90 Prozent der Kunden von thailändischen Prostituierten sind einheimische Männer. Und die Mehrheit der Frauen arbeitet auf dem Land in kleinen Bordellen. Nichtsdestotrotz ist das natürlich eine Doppelmoral. Grundsätzlich gilt aber wirklich, dass Thailand eine sehr prüde Gesellschaft ist. Also es wird kaum vorkommen, dass Thailänderinnen sich im Bikini an den Strand legen. Die tragen Hosen, die bis zum Knie gehen wenigsten, T-Shirts. Mich hat eine Kollegin gefragt, die sehr offen ist, im Westen studiert hat und gesagt hat, also ich finde, unheimlich viele Errungenschaften und Freiheiten, die es dort gibt, die hätte ich hier auch gerne, gerade als Frau, aber ich werde nie verstehen können, wie ihr euch oben ohne an den Strand legen könnt, wenn andere Leute zuschauen, das ist etwas so Intimes, ich begreife das einfach nicht.

Wuttke: Haben Sie denn anders herum begriffen, warum offensichtlich König Bhumibol etwa eine Person ist, die offensichtlich ja noch unangreifbarer scheint als die Royals?

Rossius: Ja, das ist von außen wirklich schwer greifbar. Dieser Heiligenschein, der ihn umgibt, der wird auch selten in Frage gestellt. Wenn man montags durch Bangkok oder durch andere Städte läuft, dann sieht man unglaublich viele Leute in gelben Polohemden, weil Bhumibol an einem Montag geboren ist und gelb ist seine Farbe. Die Leute tragen diese Hemden freiwillig. Dazu zwingt sie niemand. Damit zeigen sie ihre Ehrerbietung, ihren Respekt, und der kommt in sehr, sehr vielen Fällen von Herzen. Eine Erklärung dafür wäre zum Beispiel, dass er schon immer da war. Er regiert seit 1946. So lange sitzt er auf dem Thron. Viele können sich Thailand ohne ihn nicht vorstellen. Er gilt als weise, als weltoffen, wissenschaftlich begabt. Es gab ja im Internet vor einigen Monaten ein Video, was auf dem Portal "youtube" kursierte. Das zeigte Bhumibol mit Eselsohren, mit einem Affengesicht, und es gab einen großen Skandal darum. Alle Thais, mit denen ich gesprochen habe, die waren darüber entsetzt, und man hat gespürt, dass sie das im Herzen geschmerzt hat. Ich denke, das ist etwas, was man so akzeptieren muss. Und man kann es nicht unbedingt erklären aus unserer Sicht.

Wuttke: Das ist aber ja ganz interessant, dass das Internet auch nachdem, was Sie geschildert haben, ein Medium ist, wo man auch der Zensur entgehen kann, wo man nicht mehr so unbedingt darauf achten muss, was man sagt, um Schwierigkeiten zu kriegen. Kommen wir mal, nachdem, was Sie über die Berichterstattung der "Nation" gesagt haben, auf die Kunst zu sprechen. Wie kann sich ein Künstler in Thailand bewegen, wenn er den Anspruch hat, seine Gesellschaft kritisch zu spiegeln, aber nicht unbedingt in ein Fettnäpfchen treten möchte?

Rossius: Das kann schwierig sein. Ein gutes Beispiel ist der Film. Es gab viel Aufhebens um einen Film von Apichatpong Weerasethakul. Das ist ein international sehr, sehr geachteter Regisseur, war in diesem Jahr auch nach Cannes eingeladen, hat es 2004 als erster Thailänder überhaupt geschafft, in den Wettbewerb eingeladen zu werden, hat prompt den Preis der Jury gewonnen, wurde von offizieller Seite komplett ignoriert. Und der hat jetzt einen neuen Film in die Kinos gebracht, das heißt, er wollte ihn in die Kinos bringen, die Zensur hat ihn zerpflückt. Die Zensoren urteilen nach einem Gesetz, dass von 1930 ist. Das heißt, das thailändische Filmgesetz ist 77 Jahre alt.

Wuttke: Da konnte der Film gerade laufen.

Rossius: So ungefähr. Genau, so ist es. Beanstandet wurde unter anderem eine Szene, in der ein Mönch Gitarre spielt, eine andere Szene, in der zwei Mönche sich mit einem Spielzeug-UFO amüsieren. Da hieß es von der Zensurbehörde, respektlos, geht nicht, muss herausgeschnitten werden. Ja, ich sehe an Ihrem Blick – genau.

Wuttke: Ich bin völlig verständnislos.

Rossius: Das war der Regisseur auch. Denn so konservativ kann er in seinen schlimmsten Träumen gar nicht denken, wie diese Zensoren zum Teil urteilen. Er hat also gar nicht unbedingt beabsichtigt, einen Tabubruch zu begehen, zumal er sagt, er sei ein religiöser Mensch. Aber das wurde so empfunden. Und er hatte keine andere Wahl, als diese Szenen herauszuschneiden oder seinen Film zurück zu ziehen. Und er hat seinen Film zurückgezogen. Andere Regisseure gehen gleich ins Ausland, drehen zum Beispiel in Singapur, was früher mit als die konservativste Region in Südostasien galt und sich sehr geöffnet hat. Eine Möglichkeit, die jetzt vielleicht ein wenig erstaunlich klingt, die aber eine sehr große Rolle dabei spielt, sich künstlerische Freiheit zu verschaffen, ist Bestechung. Thailand ist ein korruptes Land.

Wuttke: Viele andere auch.

Rossius: Ja, in Thailand gehört das zum Alltag. Also selbst die Leiter des Internationalen Filmfestivals von Bangkok sagen, ja, wir haben uns damit arrangiert, wir haben keine andere Wahl, wir wollen die Leute ja nicht mit keuschen, langweiligen Filmen langweilen. Wenn wir unser Festival vorbereiten und wissen, da laufen so einige Dinge, die könnten den Behörden nicht gefallen, dann müssen wir unseren Kotau machen und sagen, bitte, bitte, nur zwei Screenings, also wir zeigen den Film nur zwei Mal, wir schieben ein bisschen Geld über den Tisch und dann ist das in Ordnung.

Wuttke: Nun haben Sie ja sehr eindringlich geschildert, dass über allem in Thailand der König schwebt und darunter sich dann die Regierungen eingruppieren, je nachdem, aus welchem Lager sie nun kommen. Thaksin hat gehen müssen, jetzt sind es die Generäle. Fast ein Jahr ist es her, dass sie ihn gestürzt haben. Nun hat die Militärchunta weit weniger Rückhalt in der Bevölkerung als erwartet, das hat dieses Referendum ja auch gezeigt. Deshalb noch die Frage, wie gespalten dieses Land eigentlich ist?

Rossius: Das ist etwas, wovor die Thais sehr große Angst haben. Das macht ihnen große Sorge, dass das Land gespalten wird in Thaksin-Anhänger, in Thaksin-Gegner. Es ist aber so, dass sie in Thailand sofort bemerken werden, dass noch eine ganz andere Sache eine große Rolle spielt, die ihre Wurzeln in einer Zeit hat, die lange, lange vor dem Putsch liegt. Und das ist die Gewalt im Tiefen Süden des Landes, als Tiefer Süden bezeichnet man die Provinzen an der Grenze zu Malaysia. Die Zeitungen sind voll von Hinrichtungen, die es dort täglich gibt. Es ist ein Konflikt zwischen Buddhisten und zwischen malaiisch-stämmigen Muslimen, der ursprünglich ein ethnischer war und jetzt eine religiöse Dimension annimmt, von der die Thais Angst haben, dass er das ganze Land ergreift und womöglich auch die ganze Region. Die Bevölkerung dort unten wird terrorisiert. Und das ist etwas, was die Leute fast noch mehr in Angst versetzt als der Putsch und die Folgen dieses Putsches.

Wuttke: Vielen Dank, Miriam Rossius, gerade zurück aus Thailand, über die Situation der Politik, der Medien und der Kunst ein knappes Jahr nach dem Putsch und drei Monate vor den Neuwahlen. Vielen Dank!

Rossius: Gerne!