Refrakt

Mit der Guerrilla-App durch die Gemäldegalerie

Besucher gehen in Berlin in die Gemäldegalerie am Kulturforum.
Die Guerilla-Ausstellung "Objects in Mirror are Closer than they Appear" war zunächst nicht von der Berliner Gemäldegalerie abgesegnet. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Miriam Sandabad · 06.08.2015
Refrakt heißt eine App, die Jahrhunderte alte Werke ins digitale Zeitalter holen will. Sie hebt die physikalischen Gesetze der analogen Malerei aus den Angeln - und verfremdet die Kunstwerke in der Berliner Gemäldegalerie virtuell.
Carla Streckwall: "Das ist der Sündenfall, dargestellt sind Adam und Eva, von Jan Gossaert, aus dem Jahr 1525 - und ja, in der digitalen Welt sieht es aber ganz anders aus." (lacht)
In der digitalen Welt nämlich schiebt sich ein großer, rosafarbener Elefant vor den Sündenfall und steht plötzlich mitten in der Berliner Gemäldegalerie. Keine drogenbedingte Halluzination - sondern Kunst!
Refrakt heißt die App für Smartphone und Tablet, mit der Carla Streckwall und Alexander Govoni Jahrhunderte alte Werke ins digitale 2015 holen. Sie finden: Unser alltäglicher Umgang mit neuen Medien hat uns einen sechsten Sinn wachsen lassen. Wir nehmen unsere Umwelt nur noch durch einen digitalen Filter wahr. Genau diesen Sinn gilt es mit ihrer Software zu täuschen.
Alexander Govoni: "Man muss sie sich einfach nur installieren und kann dann damit ins Museum gehen (...) und dann öffnet man die App, richtet einfach die Kamera auf die Gemälde und sieht was passiert und lässt sich überraschen."
Bewusst Verunsicherung erzeugen
Die Technik Augmented Reality macht es möglich - also eine erweiterte Realität, die in Computerspielen längst gang und gäbe ist, und auch ins Museum gehört, findet das Duo:
"... weil wir festgestellt haben, dass das Museum an sich schon ein Ort der Simulation ist, also Werke von unterschiedlichen Künstlern aus unterschiedlichen Epochen werden in einen Kontext gestellt und somit ergibt sich etwas Neues. Und zusätzlich beinhaltet jedes Kunstwerk in sich schon eine Simulation von Welten, die eigentlich gar nicht anwesend sind. Und das fanden wir sehr reizvoll und wollten eben noch eine Ebene der Simulation hinzufügen und diesen digitalen Raum mit unseren Arbeiten füllen."
Das Kunstprojekt sucht die Kommunikation mit den Besuchern. Das macht auch eines der Lieblingswerke von Carla Streckwall deutlich:
"Und zwar ist das von Anton van Dyck, eine Frau, sehr dunkel gehalten, man sieht eigentlich nur ganz klar ihr Gesicht und ihre Hände weiß hervorstechen, ansonsten ist sie im schwarzen Gewand hinter dunklem Hintergrund. Genau, wenn man jetzt auch wieder ein bisschen weiter zurückgeht und durch die App schaut, dann wird der Bildschirm schwarz - und das Ganze hat den Hintergrund, dass wir eben von den Restauratoren erfahren haben, dass das Bild sehr lange über einem Kamin hing und sehr verrußt war und man eben eine ganz ganz große Arbeit reinlegen musste, das Bild zu reinigen und dann wieder so ein bisschen wenigstens erstrahlen zu lassen. Und wenn man jetzt mit dem Finger aufs Display fährt, dann kann man das Bild selber reinigen - das heißt, an dem Punkt, wo der Finger ist, wird die Lady sichtbar."
Beine verschwinden, Treppen bewegen sich
Die App hält noch andere Überraschungen bereit: Auf einem niederländischen Gemälde verschwinden die Füße Jesus während seiner Himmelfahrt aus dem Bild, Treppen und Gewänder bewegen sich in den Raum hinein und berühren fast die Betrachter, Stillleben widersprechen ihrer Natur und wuchern aus ihren Rahmen heraus. Refrakt hebt die physikalischen Gesetze der analogen Malerei aus den Angeln und hat klare Ziele: Die Wahrnehmung der Besucher herausfordern und in Frage stellen - und den Blick fürs Original schärfen.
"Es geht darum zu verwirren, das ist schön, wenn wir das schaffen - es wurde auch gefragt ganz oft, ob wir nicht eigentlich den Gemälden die Show stehlen, dass die Leute nur noch durch den Bildschirm schauen und sich die Gemälde selbst gar nicht mehr anschauen. Es ist natürlich eine sehr große Ausstellung, das heißt, es kann durchaus mal sein, dass da ein Gemälde übersehen wird, wenn man einfach von dem Bildschirm so geflasht ist - aber es ist eben doch auch oft so, dass man noch mal genauer hinschauen will und sich das Gemälde dahinter eigentlich angucken und sich fragt: 'Hä, was ist denn jetzt echt und was ist nicht echt oder was ist virtuell und was ist Realität.' Also, ich denke auch, dass das so einen ganz großen Verunsicherungsmoment erzeugt."
82 Gemälde haben die beiden Künstler virtuell verfremdet: Ihre Guerilla-Ausstellung trägt den Titel "Objects in Mirror are Closer than they Appear" und war zunächst nicht von der Gemäldegalerie abgesegnet - doch jetzt wirbt sie für das Projekt. Denn die virtuelle Spielerei gibt der klassischen Kunst durchaus einen Mehrwert - vielleicht den wichtigsten in der Kunstvermittlung:
"Ich denke, was ganz wichtig ist bei unserer Arbeit, ist der Kontrast, den wir schaffen, zwischen dieser digitalen Arbeit und den ganz alten Gemälden. Einfach ein Stilelement zu erweitern und dem Betrachter eigentlich eine eigene Interpretation zuzulassen. Also gar nicht zu viel eigene Geschichte mit reinbringen, sondern vielleicht Teile aus dem Bild betonen und dadurch dann den Betrachter einfach für sich denken zu lassen."
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