Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
Was bringt Qualifizierung für Arbeitslose?
Im SPD-Wahlkampf soll die Korrektur der Agenda 2010 im Mittelpunkt stehen. Schon jetzt steht fest: Wer sich während einer Arbeitslosigkeit qualifiziert, soll länger Arbeitslosengeld bekommen. Eine schwierige Aufgabe, findet die Philosophin Gesine Palmer.
Die Agenda 2010 bedarf einer Reform – das sieht auch die wiedererwachte SPD ein. Das Konzept des "ALG Q" soll Arbeitslosen, die sich qualifizieren, den Rücken frei halten. Nur: Was ist eigentlich mit Qualifikation gemeint? Wem kommt sie zugute? Und ist Qualifikation überhaupt ein Prozess, der immer nur nach vorn führt?
Letzteres glaubt nicht einmal die Creme der Qualifizierer, der Coaches, der Managementtrainer, der Spindoktoren und Menschenmacher. Hörten wir sie sonst unentwegt flöten: "Mal ganz zurück gehen, in sich selbst oder in die Welt, je nachdem – auf jeden Fall aber erstmal alles niederreißen, um dann neu aufzubauen!"
Kaum etwas verkauft sich besser als Geschichten von Menschen, die alles losgelassen haben, was wir sonst so ängstlich festzuhalten versuchen. Solche Rezepte haben die Meister der emotionalen Planwirtschaft am liebsten, seien sie nun Künstler, Sektenführer oder eben Coaches.
Um ihnen zumindest ein Stück weit zu folgen, begeben sich Manager für ein paar Tage oder Wochen in die Wüste, und Firmenchefs nehmen Auszeiten in Klöstern, um auf neue Gedanken zu kommen, ihre Einstellung zu ändern oder überhaupt einen neuen Menschen aus sich zu machen.
Letzteres glaubt nicht einmal die Creme der Qualifizierer, der Coaches, der Managementtrainer, der Spindoktoren und Menschenmacher. Hörten wir sie sonst unentwegt flöten: "Mal ganz zurück gehen, in sich selbst oder in die Welt, je nachdem – auf jeden Fall aber erstmal alles niederreißen, um dann neu aufzubauen!"
Kaum etwas verkauft sich besser als Geschichten von Menschen, die alles losgelassen haben, was wir sonst so ängstlich festzuhalten versuchen. Solche Rezepte haben die Meister der emotionalen Planwirtschaft am liebsten, seien sie nun Künstler, Sektenführer oder eben Coaches.
Um ihnen zumindest ein Stück weit zu folgen, begeben sich Manager für ein paar Tage oder Wochen in die Wüste, und Firmenchefs nehmen Auszeiten in Klöstern, um auf neue Gedanken zu kommen, ihre Einstellung zu ändern oder überhaupt einen neuen Menschen aus sich zu machen.
Nicht jedem ist mit einem Coach geholfen
Wer sie auf diesem Wege begleiten darf, kann damit gutes Geld verdienen. Aber nicht jeder Coach bringt es dahin. Viele sind längst von der Agentur für Arbeit mit dem Brot-und-Butter-Geschäft der sogenannten Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beschäftigt. Und was machen sie dort genau?
In diesem Auftrag gibt es feine Abstufungen. Da sind die klassischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Mittelschicht, die wegen betriebsbedingter Kündigungen oder einer unglücklichen Befristungskonstellation für kurze Zeit arbeitslos werden. Das sind keine Leute, die mal ganz groß raus kommen werden, sondern Leute, die ein bisschen Pech hatten, aber mit ein bisschen Unterstützung wieder aufs Gleis kommen, ohne alles verlieren müssen.
Diese – und nur sie! – kommen für eine Qualifikation der klassischen Art in Frage. Da reicht es, dass der Geselle eines Faches noch die Meisterprüfung ablegt, dass die solide Sekretärin einen EDV-Lehrgang macht und sich zur Büroassistentin mit Computerkenntnissen fortbildet und so weiter. Die richtigen Maßnahmen sind schnell gefunden und werden ordentlich absolviert, die Arbeitslosen bewerben sich eigeninitiativ überall und finden irgendwann wieder eine Stelle.
In diesem Auftrag gibt es feine Abstufungen. Da sind die klassischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Mittelschicht, die wegen betriebsbedingter Kündigungen oder einer unglücklichen Befristungskonstellation für kurze Zeit arbeitslos werden. Das sind keine Leute, die mal ganz groß raus kommen werden, sondern Leute, die ein bisschen Pech hatten, aber mit ein bisschen Unterstützung wieder aufs Gleis kommen, ohne alles verlieren müssen.
Diese – und nur sie! – kommen für eine Qualifikation der klassischen Art in Frage. Da reicht es, dass der Geselle eines Faches noch die Meisterprüfung ablegt, dass die solide Sekretärin einen EDV-Lehrgang macht und sich zur Büroassistentin mit Computerkenntnissen fortbildet und so weiter. Die richtigen Maßnahmen sind schnell gefunden und werden ordentlich absolviert, die Arbeitslosen bewerben sich eigeninitiativ überall und finden irgendwann wieder eine Stelle.
Was Langzeitarbeitlosen nicht hilft
Anders ist es mit den Langzeitarbeitslosen. Diese haben oft eine Karriere der regelrechten Dequalifikation hinter sich. Nicht nur für ein paar Wochen Wüste, sondern realer und unfreiwilliger Verlust von allem: Haus, persönlichem sozialen Netzwerk, Selbstachtung. Nur dass dabei kein messianischer Persönlichkeitskern freigelegt wurde, sondern einfach nur Verzweiflung. "An sich nicht schlecht", sagt der daueroptimistische Coach, "das entspricht sogar unseren Lehren. Da können wir ganz neu anfangen!"
Und der Sachbearbeiter verordnet nun die Maßnahmen "Lernbereitschaft fördern", "Perspektiven verändern" aus dem Sozialgesetzbuch. Dabei glaubt bei den Langzeitarbeitslosen eigentlich niemand mehr daran, nicht mal die SPD. Denn für die Bezieher vom Arbeitslosengeld II ist ja keine finanzielle Verbesserung vorgesehen. So wird auch weiterhin, wer wirklich am unteren Ende einer Abwertungskette angekommen ist, mit dem Rest seiner Selbstachtung jeden Versuch, ihn nun im Sinne seiner Abwerter neu aufzubauen, mit einem gewissen Recht ablehnen.
Vielleicht müssen hier doch zuerst die Menschmacher und die Propagandisten des totalen Trainings etwas neu lernen: Qualifikation und Wertschöpfung fangen auch bei den Geringsten mit der Wertschätzung dessen an, was sie können und was sie wollen. Wer Qualifikationsaufträge vergibt, sollte insofern die Qualifizierer strenger prüfen als die ohnehin meist kaputtgeprüften Zuqualifizierenden.
Vielleicht müssen hier doch zuerst die Menschmacher und die Propagandisten des totalen Trainings etwas neu lernen: Qualifikation und Wertschöpfung fangen auch bei den Geringsten mit der Wertschätzung dessen an, was sie können und was sie wollen. Wer Qualifikationsaufträge vergibt, sollte insofern die Qualifizierer strenger prüfen als die ohnehin meist kaputtgeprüften Zuqualifizierenden.