Reclam-Museum Leipzig

Den Bildungshunger stillen

Hans-Jochen Marquardt, Vorsitzender des Literarischen Museums und Initiator der Reclam-Ausstellung, zeigt im Reclam-Museum in Leipzig eine Ausgabe der Reclam Wochenend-Bücherei, die zwischen 1927 und 1930 in einer Blechkassette auf den Markt kam.
Hans-Jochen Marquardt ist Vorsitzender des Literarischen Museums und Initiator der Reclam-Ausstellung. © Hendrik Schmidt / dpa / picture alliance
Von Nadja Bascheck |
Aus Schule und Studium sind die kleinen gelben Reclam-Hefte nicht wegzudenken. Germanist Hans-Jochen Marquardt sammelt sie seit 50 Jahren. Mit seinem Verein hat er jetzt ein eigenes Museum in Leipzig eröffnet – und das beheimatet so manchen Schatz.
Es ist voll in dem kleinen Museum, der Besucherandrang ist groß. Nur 50 Quadratmeter misst der Raum im Souterrain. Trotzdem stecken hier über 10.000 Bücher drin, mehr als die Hälfte davon in einem antiken Bücherschrank mit aufklappbaren Türen. Die Hefte sind abgegriffen, vergilbt, teils über 100 Jahre alt. Gegenüber steht ein Regal mit neueren Ausgaben, viele davon im bekannten Gelb.
In den Vitrinen reihen sich verzierte Bände und Schriften, Bücherkoffer und Feldbibliothek: Das Ergebnis von Hans-Jochen Marquardts Sammelleidenschaft. Vor 50 Jahren fing alles an. Sein Vater war zu DDR-Zeiten Verlagsleiter, aber das spiele keine große Rolle.

Viel Bildung für wenig Geld

"Das Faszinosum bestand für mich darin, dass der Verleger eben diese Idee hatte, für wenig Geld einem großen Publikum wirklich billig Literatur anzubieten und damit den Bildungshunger zu befriedigen, der am Ende des 19. Jahrhunderts sehr, sehr groß war in breiten Teilen der Bevölkerung", sagt Marquardt.
Ein griffiges Zitat liefert die Festrede von Thomas Mann zum 100. Verlagsjubiläum 1928. Schauspielerin und Autorin Cornelia Heyse liest einen Auszug daraus vor: "Ut vivat populus. Damit das Volk trinke. Den Spruch hätte das Haus, das wir feiern, zu dem Wahlspruch machen können an dem Tage seiner Gründung. Es lebe und wirke fort! Noch in den Enkel der Enkel."

Mit viel Liebe gemacht

Eine Ururenkelin des Verlagsgründers Anton Philipp Reclam ist extra von Stuttgart nach Leipzig gereist. Rainhilt Reclam ist begeistert von der Ausstellung, sie findet sie "wahnsinnig spannend, weil ganz viele Sachen kenn ich überhaupt nicht. Im Laufe der Jahrzehnte kriegt man sowas gar nicht mit und ich find das extrem interessant. Das ist mit so viel Liebe gemacht und man spürt das überall."
Buchrücken verschiedener Reclam-Hefte stehen in einem Regal in der Ausstellung des Reclam-Museums in Leipzig. Das neue Reclam-Museum zeigt mehr als 10.000 Hefte der Leipziger und Stuttgarter Produktion. Der Reclam-Verlag wurde 1828 in Leipzig von Anton Philipp Reclam gegründet.
Der Reclam-Verlag wurde 1828 in Leipzig von Anton Philipp Reclam gegründet.© Hendrik Schmidt / dpa / picture alliance
Es ist auch ein Stück deutsch-deutsche Vergangenheit, die aus den Regalwänden spricht. 1828 wird der Verlag in Leipzig gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht Ernst Reclam nach Stuttgart und eröffnet einen neuen Reclam-Verlag. Die Universalbibliothek setzt er fort. Der Leipziger Verlag steht zu DDR-Zeiten unter staatlicher Beteiligung, erst nach der Wende ist er wieder in privatem Besitz. 2006 schließt er. Marquardt will heute das kulturelle Erbe der Stadt aufrecht erhalten:
"Weil ich eben denke, dass der Reclam-Verlag im kulturellen Gedächtnis der Stadt und der Region noch tief verankert ist. Und es ist eben eine Weltfirma. Reclams Universal-Bibliothek ist weltberühmt bis heute. Es gibt kaum etwas Vergleichbares, wenn man sich diese Reihe anschaut, die nun 151 Jahre alt ist. Die älteste, noch existierende deutschsprachige Taschenbuchreihe."

Die Highlights

Die Universal-Bibliothek enthält neben den Klassikern der Literaturgeschichte auch Schriften aus vielen anderen Bereichen und steht im Fokus der chronologischen Ausstellung. Besonders stolz ist der 65-jährige Marquardt auf eine Druckfreigabe der Erzählung "In der alten Sonne" - unterschrieben von Hermann Hesse.
Ein weiteres Highlight ist wohl der Literaturautomat, der vom Verlag als Dauerleihgabe kommt und die Besucher zum Ausprobieren animiert. Es ein Nachbau aus den Neunzigerjahren in der Optik von 1912. Früher stand der Automat etwa an Bahnhöfen und versorgte die Menschen mit Literatur.

Mit Blick auf das alte Verlagsgebäude

Hergestellt wurden die Originale gegenüber dem Museum. Aus dem Fenster blickt man hoch auf die Fassade des historischen Verlagsgebäudes. Vor ein paar Jahren war der Verein kurzzeitig dort untergekommen. Marquardt: "Da wären wir natürlich gern geblieben, weil es ein authentischer Reclam-Ort ist, wo Hans-Emil Reclam gewohnt hat und ein paar Jahre dann auch Ernst Reclam. Aber das war dann leider nicht möglich, da zu bleiben."
Nach siebenjähriger Suche stellt der gemeinnützige Schulträger Rahn Education den Raum auf seinem Schulcampus zur Verfügung – kostenfrei. Hans-Jochen Marquardt will Führungen und Veranstaltungen anbieten. Eintritt nimmt er dafür nicht, alles läuft auf Spendenbasis. Refinanzieren wird sich die Sammlung sowieso nie, sagt er. Es sei eben eine Leidenschaft.

Pause in der Präsenzbibliothek

Finanzielle Unterstützung vom Verlag gibt es nicht. Geschäftsführer Wolfgang Kattenek sagt, dass das Familienunternehmen damals nach Stuttgart gegangen und nicht mehr in der Form in Leipzig präsent gewesen sei:
"Für den Reclam-Verlag freut mich natürlich, dass gezeigt wird, wo er herkommt, wie er sich entwickelt hat und natürlich sind auch ein paar Ausstellungsstücke da, die zeigen den aktuellen Stand, wie er jetzt ist. Und ich erwarte für den Reclam-Verlag wirtschaftlich natürlich gar nichts, sondern ich freue mich darüber, dass Leute sich diese ganze Entwicklung angucken können."
Bei der Führung durch den Raum hören die Besucher aufmerksam zu. Wer alleine durch die Ausstellung geht, braucht bei dem Umfang der Sammlung Zeit. Für eine Pause kann man auch in einem Sessel Platz nehmen und sich an der Präsenzbibliothek bedienen. Die besteht immerhin aus über 4000 Bänden.
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