Rechtsstaat und Randale

Der Ruf nach dem "starken Staat"

04:33 Minuten
Illustration: Richterhammer.
Ein starker Staat soll nicht nur geltendes Recht konsequent durchsetzen, sagt Eva Marlene Hausteiner. Es muss auch kontrolliert werden, dass er sich selbst nicht darüber hinwegsetzt. © Getty Images / filo
Von Eva Marlene Hausteiner · 15.01.2023
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Böller-Eskapaden an Silvester, dann die Lützerath-Besetzung - immer mehr Stimmen fordern eine stärkere Präsenz der Staatsmacht. Doch in diesen Rufen drückt sich oft ein verkürztes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit aus, meint Eva Marlene Hausteiner.
Silvester-Randale, Kunst-Vandalismus, Klebe-Aktionen, Lützerath-Besetzung: Es sind viele unterschiedliche Anlässe, die derzeit den Ruf nach dem "Rechtsstaat" erklingen lassen. Denn wollen wir das nicht eigentlich alle: einen handlungsfähigen Staat, der auf die Einhaltung der Gesetze pocht und Übertretungen ahndet? Der Sicherheit garantiert, hierfür das Gewaltmonopol nutzt und für Recht und Ordnung sorgt?
All diese Assoziationen und Erwartungen sind mit dem Begriff des Rechtsstaates verbunden. Er ist vielleicht deshalb so attraktiv und in der politischen Debatte beliebt, weil er nüchtern und unparteilich wirkt: Das Rechtsstaatsprinzip ist nicht nur dem Grundgesetz eingeschrieben, sondern es gilt gemeinhin als Grundpfeiler funktionierender, echter Demokratie.

Ohne demokratische Kontrolle kein Rechtsstaat

Doch der Rechtsstaat – das ist eben nicht einfach die Durchsetzung von Recht und Ordnung, von Law and Order, durch einen strengen und machtvollen Staat, zum Beispiel durch seine Polizei. Ja, der moderne Staat kennzeichnet sich durch die Herausbildung, die Verrechtlichung und die sicherheitliche Verteidigung der Staatsgewalt.
Nicht umsonst wurde die Wissenschaft von der inneren Ordnung des Gemeinwesens ab Mitte des 18. Jahrhunderts als "Policeywissenschaft" tituliert: Staatspraktiker und auch -denker wie Jeremy Bentham entwickelten und bündelten neue Macht- und Regulierungsmittel im Dienst von Sicherheit und Effizienz.
Doch demokratisch autorisierte Rechtsetzung, also die Gesetzgebung durch das Parlament, ist gerade der Gegenentwurf zur rein sicherheitsorientierten Staatsmaschine.
Eva Marlene Hausteiner
Rechtsstaatlichkeit setzt die demokratische Kontrolle der Staatsmacht voraus, betont Eva Marlene Hausteiner.© David Elmes
Der Staat wirkt durch das Recht und das Recht muss demokratisch legitim sein. Vor allem aber – und das ist der Knackpunkt – ist der Staat erst dann wirklich Rechtsstaat, wenn er selbst an das Recht gebunden ist.
Die demokratische Kontrolle der Staatsgewalt ist das Herzstück des liberalen Verfassungsdenkens seit John Locke. Es ist besorgt darum, dass der starke Staat zu stark wird. Ohne Staat mag moderne Volksherrschaft nicht funktionieren, aber die größte Gefahr geht gleichzeitig von einem Staat aus, der selbst schrankenlos durchgreift. Mit Kant: Der Staat schafft Recht, ist aber selbst fundamental daran gebunden.

Vorsicht vor populistischer Vereinfachung

Wer aber garantiert dann eigentlich den so verstandenen Rechtsstaat? Dies sind vor allem die Gerichte, die penibel darauf achten sollen, dass die Exekutive weder ihr Mandat noch die Rechte der Bürgerinnen und Bürger verletzt und Rechenschaft über ihr Tun ablegt.
Doch auch die Bürgerinnen und Bürger selbst verwirklichen den Rechtsstaat: Sie können ebenfalls Rechenschaft einfordern und ihren Forderungen nicht nur an der Wahlurne Ausdruck verleihen, sondern auch auf der Straße, also: auf Demos und in Protesten – nötigenfalls sogar durch zivilen Ungehorsam.

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Ist der Ruf nach dem Rechtsstaat also nur gemeint als mehr Recht und Ordnung auf den Straßen, schärferes Strafrecht, präemptive polizeiliche Maßnahmen notfalls auch auf Kosten von Grundrechten, dann haben wir es mit einer Form populistischer Vereinfachung von Rechtsstaatlichkeit zu tun. Sie läuft Gefahr, antidemokratisch zu wirken, also hinter die Erkenntnisse genau jenes modernen Staatsdenkens, auf das sie sich beruft, zurückzufallen.
Wer A sagt, muss auch B sagen; wer Law and Order fordert, muss auch eine Einhegung und Kontrolle der Polizei wollen. Schon wahr: Ein Staat, der Recht und Gesetz nicht durchsetzt, ist nicht wünschenswert. Aber ein Staat, der sich zu diesem Zweck selbst über das Recht hinwegsetzt – nach dem nonchalanten Berliner Wahlkampf-Motto der AfD: "Klimakleber in den Knast" – ist gerade kein Rechtsstaat.

Eva Marlene Hausteiner ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht zu politischen Narrativen und Rechtfertigungsstrategien, zu Föderalismus und Imperien und ist Redaktionsmitglied der "Politischen Vierteljahresschrift".

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