Rechtsruck in Brasilien

Mit Gott in den Präsidentenpalast

24:12 Minuten
07.10.2018, Brasilien, Rio de Janeiro: Unterstützer des rechtspopulistischen Kandidaten bei der Präsidentenwahl, Bolsonaro, jubeln während der Wahlen und warten auf die Wahlergebnise.
Unterstützer des Rechtspopulisten Bolsonaro: Sie sind die Gewinner der Präsidentschaftswahl 2018. © dpa / Ian Cheibub
Mit Ivo Maruscyzk, Karl-Ludolf Huebener, Itamar Silva und Ellen Häring  · 29.10.2018
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55 Prozent der Brasilianer haben Jair Bolsonaro ins höchste Staatsamt gewählt. Der Ex-Militär will Waffen für alle, hält Schwarze für faul und Homosexuelle für pervers. Wesentlich zu seinem Sieg beigetragen haben die Evangelikalen: Ihr Einfluss wächst.
58 Millionen Brasilianer haben dem rechtsradikalen Politiker ihre Stimme gegeben. Am 1. Januar 2019 übernimmt er das Präsidentenamt im fünftbevölkerungsreichsten Land der Erde. Die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 lobter er im Wahlkampf und lancierte zusammen mit Anhängern viele Lügen über die politischen Konkurrenten auf Plattformen wie Facebook und Twitter. Linke Politiker und Aktivisten wolle er verfolgen, bis sie im Ausland oder im Gefängnis seien.
Diese Haltung verfolgt der 63-Jährige schon länger. Er ist seit 25 Jahren Abgeordneter im brasilianischen Parlament und war bei acht unterschiedlichen Parteien - aktuell bei der sozialliberalen PSL. In den 80er Jahren war er als Falschirmspringer zwei Wochen in Militärhaft, weil er öffentlich einen höheren Sold einforderte. Jetzt steht das Militär hinter ihm. Genauso wie die Evangelikalen:
"Brasilien über alles. Doch Gott über alle." Damit warb Jair Messias Bolsonaro im Wahlkampf um Stimmen. Der rechtsradikale Oberst der Reserve kündigte schon vor der Wahl an, seine Präsidentschaft als "Mission Gottes" aufzufassen.
Gewählt wurde Bolsonaro nicht zuletzt, weil er von evangelikalen Pastoren und Kirchen massiv unterstützt wurde. Er steht ihnen sehr nahe.

Aufstieg der evangelikalen Pfingstbewegung

Die Anhängerschaft der Pfingstler hat in Brasilien rasant zugenommen. Bis in die Sechszigerjahre waren praktisch alle Brasilianer Katholiken. Nur weniger als vier Prozent der Bevölkerung bekannten sich damals zur evangelikalen Pfingstbewegung. Heute sind es mehr als 25 Prozent. Tendenz: weiter steigend. Der Anteil der Katholiken pendelt um 60 Prozent.
Gigantisches Kirchenportal
Der Salomontempel der Universalkirche des steinreichen Predigers Macedo fasst 10.000 Gläubige© Kalr-Ludolf Hübener
Die Pfingstbewegung ist in zwei große Gruppen geteilt: in die traditionellen Pfingstler und die Neopfingstler. Ihr Einfluss auf Gesellschaft und Politik wächst unaufhörlich. Für Pfingstler war Politik lange Zeit ein Tabu. Sie sei des Teufels, hieß es. Doch das änderte sich mit dem Ende der Militärdiktatur 1985 und dem Aufkommen der Neo-Pfingstler. Nun wird politisches Engagement zum himmlischen Plan.

Medienmacht eines Kirchen-Unternehmers

"Ich bedanke mich sehr für die unendliche Güte und unerklärliche Liebe, die Gott uns allen zeigt und die mich, ganz nach seinen Plänen, in dieses Amt geführt hat", sagt Marcelo Crivella. Er ist Bischof der evangelikalen "Universal-Kirche des Reiches Gottes", der wohl einflussreichsten Pfingstkirche. Seit Anfang 2017 ist er Oberbürgermeister von Rio de Janeiro.
Porträtfoto von Jair Bolsonaro, im Oktober 2018 zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt
Jair Bolsonaro verdankt seinen Wahlerfolg nicht zuletzt der Unterstützung durch die Kirchen im Land.© picture alliance/dpa/Dario Oliveira
Crivellas Onkel ist Edir Macedo. Er ist Gründer, Oberhirte und Bischof der Universal-Kirche. Macedo stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Laufbahn als Prediger begann er auf den Straßen Rio de Janeiros. Sein erstes Gotteshaus richtete er 1977 in einer Lagerhalle ein. Heute gebietet er über 5000 Tempel in über 100 Ländern der Welt. Ein multinationales Unternehmen.
1990 kaufte Edir Macedo "Record TV". Das ist inzwischen die zweitgrößte Fernsehanstalt Brasiliens, nach dem Globo-Konzern. Record kann in vielen Ländern Südamerikas empfangen werden. Dort werden neben Nachrichten, Telenovelas mit biblischem Hintergrund, Shows und Fußball oder auch Teufelsaustreibungen und Wunderheilungen übertragen.
Auf Unterstützung von Macedo und "Record" konnte Bolsonaro im Wahlkampf zählen.
Die US-Zeitschrift "Forbes" schätzt das Vermögen des geschäftstüchtigen Kirchenfürsten auf über eine Milliarde Dollar. Er ist damit der reichste Prediger in der evangelikalen Welt. Auch durch Gewinne aus anderen "Universal"-Unternehmen wie Radiosendern, Verlagen, Zeitungen, Reiseagenturen, Banken und Immobilien. Und nicht zuletzt durch den "Zehnten", den alle Pfingst-Kirchen von ihren Gläubigen einfordern. Auch in den Armenvierteln, den Favelas.

Die Kirchen wirken dort, wo der Staat versagt

Dafür bieten Macedos Pastoren praktische Hilfe in den Favelas an. Der Sozialwissenschaftler Matheus Tancredo hat beobachtet:
"Oft ist eine evangelikale Kirche dort präsent, wo der Staat nicht hinkommt. Sie haben einen Apparat, um zu helfen. Nahrungsmittel werden so verteilt. Es wird versucht, dem arbeitslosen Gläubigen einen Job zu verschaffen. Einer Hausfrau wird geholfen, damit der Sohn von Drogen loskommt. Die Universalkirche hat sogar einen Gesundheitsdienst."
Marilene de Paula, die an einer Untersuchung über "Religion und Politik" mitgearbeitet hat, fügt hinzu: "Pfingstler arbeiten vor allem mit den Armen an der Peripherie, aber es gibt auch andere Zielgruppen."
Und die kommen aus der Mittel- und Oberschicht. Edir Macedo wie auch andere evangelikale Pastoren predigen die "Theologie des Wohlstandes". Reichtum wird als Zeichen der Liebe Gottes interpretiert. Je mehr ein Gläubiger spendet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Gott ihn auserkoren hat und mit materiellem Wohlergehen belohnt.

Der Konservatismus der Kirchen bestimmt die Politik

Strikt lehnen die meisten Pfingstler gleichgeschlechtliche Ehen und Genderpolitik ab. Das zerstöre das herkömmliche Bild der Familie, sagt Marilene de Paula: "Es ist ein Modell von Familie, deren Norm die Hetero-Familie ist. Es ist eine Familie, in der der Mann das Sagen hat."
Wie stark Einfluss und Druck evangelikaler Pastoren sein können, haben zahlreiche Politiker zu spüren bekommen. Beim Thema Abtreibung sind bislang fast alle Präsidentschaftskandidaten eingeknickt. Zuletzt verpflichtete sich Bolsonaros Gegenkandidat, Fernando Haddad von Partei der Arbeiter, kein Gesetzesvorhaben zu präsentieren, das Abtreibung legalisieren würde.
Eine Frau hält bei einer Demonstration gegen den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro ein Bild von Bolsonaro mit der Aufschrift "Vomito" ("Erbrochene") hoch. Zahlreiche Menschen gingen in Sao Paulo gegen Bolsonaro und seinen rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs auf die Straße.
Protest gegen Bolsonaros rassistischen, frauen- und schwulenfeindlichen Kurs© picture alliance / dpa / Pablo Albarenga
1982 gab es gerade mal zwei evangelikale Parlamentarier im brasilianischen Kongress. Inzwischen zählt die "Front der Evangelikalen" fast 100 Abgeordnete, von insgesamt über 500 Abgeordneten. Henrique Viera, Baptistenpastor und linker Politiker, resümiert:
"Die ‚Front der Evangelikalen Parlamentarier‘ ist sehr konservativ. Sie ist ein Hindernis für die Menschenrechte, für die Demokratie und den laizistischen Staat. Sie ist ein Hindernis für die Kämpfe verschiedener fortschrittlicher Gruppen, die etwa für die Rechte von Frauen, Schwarzen, Lesben, Schwulen oder Transsexuellen kämpfen. Die Front stimmt sich systematisch mit konservativsten Abgeordneten ab, mit Leuten aus dem Agrobusiness etwa oder der Waffenindustrie."

Die Neo-Pfingstler neigen zum Totalitarismus

Vor allem die Neo-Pfingstler hätten langfristige Pläne, ist nicht nur Henrique Vieira überzeugt:
"Sie haben einen Plan für Macht und Gesellschaft. Und der ist gefährlich, denn er tendiert zum Totalitarismus. Weshalb wohl? Sie versuchen der Gesellschaft mittels Gesetzen und öffentlicher Politik ihre Doktrin aufzuzwingen. Das ist zwangsläufig antidemokratisch, weil sie nicht mit unterschiedlichen Meinungen zusammenleben, sondern das Verhalten der Menschen lenken wollen."
Die Zustimmung zu Bolsonaro macht die konservativen Evangelikalen noch stärker. Dass Menschen gelenkt werden sollten, auch mit totalitären Mitteln – dafür hat Bolsonaro im Wahlkampf geworben und auch keinen Zweifel daran gelassen, wie er mit Minderheiten umzugehen gedenkt.
"Wenn der Sohn die ersten Anzeichen von Schwulsein zeigt, muss ihm eine gehörige Tracht Prügel verpasst werden, damit er sein Verhalten ändert. Einige Bekannte haben mir gesagt: 'Wie gut, dass sie mich als Kind geschlagen haben: Mein Papa hat mir so beigebracht, ein ganzer Mann zu sein!'"
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